Pop

Freiluftdruck: Fluch und Segen der sommerlichen Musikfestivals

Ganz Österreich wird gegenwärtig von Konzertserien aller Genres beschallt, in hoch spezialisierten oder bewusst niederschwelligen Festivals. Doch die Branche ist aus guten Gründen nervös. Fünf Beobachtungen zum heimischen Musikfest- und Open-Air-Konzertsommer 2024.

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Wenn man sich bei einem Musikfestivalbesuch wie im falschen Film fühlt, ist das selten ein beruhigendes Zeichen. Gleich mehrfach konnte man sich in den vergangenen Wochen bei mitteleuropäischen Open-Air-Konzert-Events des Eindrucks nicht erwehren, versehentlich auf das Set eines Blockbusters geraten zu sein, der außer Rand und Band geratene Naturgewalten zum Thema hat. Während die wild durch die Luft wirbelnden Sand- und Staubmassen beim Hip-Hop-Happening Rolling Loud Europe trotz aller verursachten Augen- und Atemwegsprobleme auch noch ironische „Dune 3?“-TikToks hervorrufen konnten (die verheerende Abreisesituation sorgte dann für weit weniger Erheiterung), stellte sich die Situation eine paar Tage später beim slowakischen Pohoda Festival schon weitaus gravierender dar. Die Veranstaltung, 100 Kilometer Luftlinie von der österreichischen Grenze abgehalten, wurde derart heftig vom Winde verweht, dass man sich im aktuellen Katastrophenfilm „Twisters“ wähnte – ein vorzeitiger Abbruch war die einzig angebrachte Reaktion. Doch nicht nur akute Auswirkungen des Klimawandels haben die Großwetterlage für solche als unbeschwerte Alltags-Kontrastprogramme angelegten Großveranstaltungen stark verändert.

Angesichts modifizierter Marktbedingungen und Konsumgewohnheiten sowie diverser anderer neuer Unwägbarkeiten steht die Branche nach der kurzen Post-Corona-Euphorie vor zahllosen Herausforderungen und Veränderungen. Anlass für einige Beobachtungen aus dem laufenden Festivalsommer, der in diesen Tagen mit dem Popfest und den MetaStadt Open Airs auch in der Bundeshauptstadt Einzug hält.

1 Österreich und Hip-Hop-Festivals: Es bleibt kompliziert

Sieht man von der eher unerwarteten rezenten Country-Renaissance ab, so stellt Hip-Hop unbestritten die kommerziell durchschlagendste und künstlerisch prägendste U-Musik-Spielart der letzten eineinhalb Jahrzehnte dar. Der weltweite Siegeszug des Rap Game hat natürlich auch in der österreichischen Festivallandschaft seine Spuren hinterlassen: In dieser Saison findet sich kaum ein größeres Open-Air-Event, das in seinen genrebunt gemischten Line-ups auf die Anziehungskraft angesagter Reimschmiede (nach Reimschmiedinnen muss man leider oft etwas länger suchen) verzichten möchte. Das einst rocklastige Frequency wird ab 14. August in St. Pölten auf die Rudolfsheimer Rap-Ikone RAF Camora, Ski Aggu (das ist der Skibrillen-Typ, der Ottos „Friesenjung“ zu fragwürdiger neuer Popularität verhalf) und einen gewissen Sido setzen, das Lido Sounds hatte in Linz zuletzt Acts wie die erwachsen gewordene Berliner Bad-Taste-Guerilla K.I.Z., Good-Vibes-Dancehall-Queen Nina Chuba oder die maximalistischen Spaßdekonstrukteure Deichkind zu Gast.

Nur mit Festivals, die sich ausschließlich dem Genre widmen, hatte Österreich bisher weniger Glück: Das Hip-Hop Open Austria war nach Gastspielen in der Open Air Arena Wien und auf dem Festivalgelände Wiesen in den 2010er-Jahren schnell wieder Geschichte, das erst im vergangenen Sommer gestartete Not Afraid Festival schaffte 2024 keine vollwertige zweite Runde. Womöglich hat Letzteres ja auch mit dem jüngsten, aufsehenerregenden Neuzugang im heimischen Festivalzirkus zu tun: Rolling Loud, die selbst ernannte global größte Hip-Hop-Festival-Marke, ließ seine europäische Ausgabe nach einem von Tumulten gekennzeichneten Gastspiel in München 2023 heuer in Ebreichsdorf, of all places, auf dem Areal des Magna Racino über die Bühnen gehen. Die Veranstalterunion aus dem auf den Austro-Markt drängenden Branchen-Weltmarktführer Live Nation und der heimischen Leutgeb Entertainment Group hatte dafür zumindest keine Kosten gescheut: Neben und nach regional weltberühmten Rap-Erscheinungen wie dem Wiener MC-Cosplayer Money Boy sorgten auch internationale Genre-Schwergewichte wie Nicki Minaj, Travis Scott und Playboi Carti dort, wo sonst nur Hufe klappern, mit Trap-Beats und Triplet-Reimen für womöglich weed-gestütztes Abfeiern – zuweilen gelang die Übung sogar annähernd pünktlich und motiviert.