Friederike Mayröckers "Pathos und Schwalbe"
Friederike Mayröcker, 93, kennt seit ihrem Debüt "Larifari" (1956) ein Ziel im Leben: "ich müszte den ganzen Tag für mich haben um unbändig, ich meine schreiend, schreiben zu können", notiert die Wiener Dichterin in gewohnt eigenwilliger Orthografie in "Pathos und Schwalbe". Das Schreiben muss sein, auch wenn Alter und körperliche Gebrechen Mayröcker in den Sommermonaten 2015 vorübergehend ins Krankenhaus zwangen. "Pathos und Schwalbe" ist eine Art Denkschrift des langen Spitalaufenthalts, die Mayröckers Notizen und Kritzeleien zu einem dichten Prosageflecht verwebt, in das subtiler Humor ebenso eingeflochten ist wie kühne Bilder sowie die stets überraschenden Resultate ihrer unaufhörlichen Ausspäherei der sogenannten Wirklichkeit, die Augen und Ohren öffnet. Die Grundfesten von Mayröckers Poesie?"Verlesungen, Verhörungen, Verschreibungen."
Vor dem Hintergrund der beklemmenden Medizinroutine entstehen die Aufzeichnungen, die Mayröcker später in ihrer legendären Wiener Zettel-Chaos-Klause zum Buch formt. "ich folge dir mit den Augen, wenn du die Strasze (querst), weil ich Angst um dich habe immer um dich Angst, dasz ein rasendes Auto dich erfaszt und zerbricht dasz du in qualvollen (Gestaden) ich meine dasz deines Leibes Gefieder miszhandelt oder ich phantasiere, die Hölle", schickt Mayröcker einer Besucherin hinterher, in Schriftbildern mit Einschüben, Kursivschrift oder Weißräumen, die im Buch Gemälden gleichen. "mein Kopf ist ein Bienenschwarm", wechselt Mayröcker von der überfallsartigen Betrübnis im Spitalsbett zum anberaumten Untersuchungstermin: "Dr. Keusch Kniegespenst, linkes Knie röntgenisieren, Achtung." Und dann imaginiert sie sich wieder ins Freie. Sie umkreist in Gedanken das Schiller-Denkmal in der Wiener Innenstadt: "Exkremente zu Füszen des Dichters, bärtiger Mond wir schreiben den 25. April 2016." Schreiben muss sein.
Friederike Mayröcker: Pathos und Schwalbe. Suhrkamp, 266 S., EUR 24,70