Kino

Für zehn Oscars nominiert: Das Kinokunstspektakel „The Brutalist“

Brady Corbets monumentales 70mm-Kinostück „The Brutalist“ dringt tief in die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts – und in den amerikanischen Alptraum ein.

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Auf dem Papier mutet die Zusammenkunft all der existenziellen Themen, mit denen Brady Corbet seinen neuen Film ausgestattet hat, überfordernd an: Holocaust, Migration und Arbeit, Macht, Kunst und Kapitalismus. „The Brutalist“, dreieinhalb Stunden lang und gedreht auf 70mm-Material, ist monumental und symphonisch – eine paradoxe Mischung aus Maßlosigkeit und Präzision.

Ein Tiefstapler war Corbet nie: Als Teenager schon hat das Wunderkind, heute 36, im Kino Eindruck hinterlassen, 2007 etwa als Soziopath in Michael Hanekes US-Eigen-Remake „Funny Games“. Sein Regiedebüt, die Faschismus-Allegorie „The Childhood of a Leader“ (2015), drehte der Amerikaner mit 25. Nach „Vox Lux“ (2018), seiner eher glücklosen zweiten Inszenierung, machte Corbet erst einmal Pause. Um im September 2024 beim Filmfest in Venedig ein verblüffendes, mit seiner Partnerin Mona Fastvold geschriebenes Kinokunstspektakel zu enthüllen, das nun auch in Österreich zu besichtigen ist: „The Brutalist“ dramatisiert die Nachkriegsbiografie eines fiktiven, von Adrien Brody souverän verkörperten Architekten, der den Holocaust überlebt hat, in den USA aber auf einen dubiosen Gönner (Guy Pearce) trifft, der sein Leben zu zerstören droht.

Zehn Oscar-Nominierungen in praktisch allen wesentlichen Kategorien hat „The Brutalist“ zuletzt errungen. Der zu sanfter Selbstüberschätzung neigende Corbet hat ein Werk vorgelegt, das nun analog dazu, bei aller Sympathie für dessen unkonventionelle Form, von weiten Teilen der internationalen Kritik für zu genial gehalten wird. Denn beileibe nicht alles an diesem überambitionierten, sich immer wieder verzettelnden Film geht auf. Den Status als eine der auffälligsten Kinoproduktionen der Gegenwart hat er sich aber redlich verdient.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.