Interview

Funny van Dannen: „Die Nazis haben die ganze Volksmusik versaut“

Unverdrossen singt der deutsche Liedermacher Funny van Dannen, einer der großen Ironiker unserer Zeit, über die Freuden und Katastrophen des Lebens. Im Interview erzählt er, warum er nie jammert, was er von Karl Lauterbach hält und worüber er keine Witze mehr machen würde.

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Das Leben als großes Verbindungsproblem: Das telefonische Gespräch mit Funny van Dannen beginnt, wie könnte es anders sein, mit der Erkenntnis, dass manche Dinge auch nach zweieinhalb Jahren Pandemie nicht einfacher werden. Der deutsche Liedermacher, geboren als Franz-Josef Hagmanns-Dajka in Tüddern an der holländischen Grenze, bricht das Eis zwischen Berlin und Wien mit Small Talk über Corona- und Impferfahrungen, über die Kinder und die Hitzewelle. Für sein aktuelles, wie stets live eingespieltes Album hat sich der inzwischen 64-Jährige vier lange Jahre Zeit gelassen. Um seine liebevollen Lebensabschnitts-Songs einzuspielen, die zwischen feiner Ironie, Alltagsbeobachtungen und lebensbejahender Poesie schillern, benötigt er bis heute nur seine Gitarre und diese unverkennbare Stimme. Gut, dass der passionierte Maler und Schriftsteller, der 1988 neben Christiane Rösinger und Almut Klotz zu den Mitbegründern der Berliner Kultband Lassie Singers gehörte und für die Düsseldorfer Rockband Die Toten Hosen textet, sein Herz auf der Zunge trägt.

Funny van Dannen
Ihre neueste Songsammlung haben Sie „Kolossale Gegenwart“ genannt. Hat man schon mit der Gegenwart genug zu tun, um sich zumindest um die Zukunft keine Sorgen mehr machen zu müssen?
Van Dannen
 Ich habe Pessimismus im Kopf und Optimismus im Herzen. Die Gegenwart ist tatsächlich kolossal; man ist davon so eingenommen, dass es schwierig ist, die Zukunft richtig einzuschätzen. 
„Alles muss man selber machen“, heißt es in einem Ihrer neuen Lieder. Texten Sie, um sich selbst zu therapieren – oder sind Sie der Seelentröster Ihres Publikums?
Van Dannen
Vielleicht ist etwas Therapeutisches dabei. Für eine Zielgruppe schreibe ich nicht. Bei mir überwiegt immer noch die Freude am Songschreiben. 
Vergeht Ihnen die Leichtigkeit nie?
Van Dannen
Grundsätzlich bin ich eine rheinische Frohnatur. Als Kind war ich viel krank, hatte Bronchitis, seitdem bin ich schon froh, wenn ich frei atmen kann und gesund bin. Das hilft mir, eine gewisse Zufriedenheit zu haben und nicht die ganze Zeit zu meckern. Meine Generation ist in einer guten, goldenen Zeit aufgewachsen, während ein Teil der Welt bereits in Kriegen und Krisen versunken ist. 
Bei welchen Themen geht Ihnen der Witz aus?
Van Dannen
Blindlings lustig zu sein, ist Quatsch. Es gibt Themen, die mit der alten Form von Humor nicht mehr zu bewältigen sind. Über die Entwicklungen in den USA seit Donald Trump noch Witze zu machen, fällt mir schwer. Wenn es um Krieg geht, hört es für mich ganz auf.
Ihr sarkastisches Lied „Lesbische schwarze Behinderte“ von 1999 wurde bei rechten Kundgebungen gespielt. Wie gehen Sie damit um?
Van Dannen
So etwas kann leider immer passieren – mit Bildern, mit Melodien. Die Nazis haben die ganze Volksmusik versaut. Als „Lesbische schwarze Behinderte“ veröffentlicht wurde, konnte ich mir nicht vorstellen, dass dies einmal missbräuchlich verwendet werden würde. Heute müsste ich erst überlegen, ob ich einen solchen Song veröffentlichen wollte. 
Politisch korrekt arbeiten Sie dennoch nicht.
Van Dannen
Mir ist klar, dass sich Machtverhältnisse auch durch die Sprache ausdrücken. Das Problem sind die Übertreibungen, die dem Ganzen schaden. Ich möchte mich nicht in vorauseilendem Gehorsam auf bestimmte Geschichten oder grammatikalische Konstruktionen einlassen, die ich abwegig finde.
In „Karl Lauterbach“ singen Sie über die Omnipräsenz des deutschen Gesundheitsministers. Inzwischen ist auch Langzeitkanzlerin Angela Merkel Geschichte. Verändert dies die Perspektiven eines politischen Liedermachers?
Van Dannen
Die Verhältnisse haben sich nicht so verändert, dass ich meine politische Haltung überdenken müsste. Karl Lauterbach ist ein Medienphänomen, auf allen Kanälen, allen Titelblättern, wie damals Guido Westerwelle – und dann muss ich reagieren. Kanzler Olaf Scholz macht seine Sache bisher ganz gut, auch wenn mich das Emotionslose manchmal nervt. Aber es ist eben nicht einfach, in der Hysterie ruhig zu bleiben und das Richtige zu tun.
Ihr Urteil über die Ära Merkel?
Van Dannen
Och sehe viele Versäumnisse. Die Situation der Mittellosen, die Knappheit im Bildungs-, Pflege- und Krankenbereich, diese Themen werden seit ewigen Zeiten verschoben. Dann fallen die Russen in der Ukraine ein – und plötzlich ist ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro möglich. Ich finde es 
beschämend, wie schnell Riesensummen aufgestellt werden können, die vorher angeblich nicht vorhanden waren.
Sie sagen von sich, dass Sie nie die geborene Rampensau waren. Fühlen Sie sich heute auf der Bühne wohler?
Van Dannen
Grundsätzlich bin ich Maler. Ich muss nicht auf einer Bühne stehen und mich produzieren. Außerdem liegt es mir nicht, ein Lied tausend Mal singen zu müssen und das über Jahrzehnte zu wiederholen. Wenn ein Song fertig und eingespielt ist, bin ich zufrieden. Man kann es sich im Leben leider nicht immer aussuchen. Mit der Malerei hat es nie so geklappt, dass ich davon leben konnte. Die Musik war mein zweiter Weg. 
Was können Sie musikalisch ausdrücken, das Sie mit der Malerei nicht zuwege bringen?
Van Dannen
In Wien hat mir eine Astrologin einmal gesagt, dass die Sprache mein Ding sei. Ich war immer der Meinung, es wären die Farben. Singen ist der direkteste Ausdruck. In einer Stimme liegen im Prinzip der ganze Mensch und das ganze Leben. 
Haben Sie mit Ihren Liedern etwas verändert?
Van Dannen
Die Intention gab es nicht. Ich glaube aber, dass ich fernab des Versuchs, die Welt zu verändern, im Einzelnen etwas bewirken kann, indem ich Menschen anspreche, Gemeinsamkeiten schaffe. Ein guter Song kann einen Schatz darstellen. 
Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.