Gastkommentar: Ein bisschen unbescheiden
„Aber meine Herrschaften, nur hübsch gemütlich, mit der Ruhe kommt man noch einmal so weit“, möchte man dem in profil vor einer Woche auf meine – sicher nicht freundliche – Salzburg-Vorschau antwortenden Salzburger Leitungsduo entgegenhalten. Das Zitat wird gesungen vom Zahlkellner Leopold, der es „Im Weißen Rössl“, nicht fern von Salzburg, mit seiner Wirtin Josepha auch nicht leicht hat. Leopold trägt Tracht, so wie – ich gestehe – meine Wenigkeit bisweilen auch, denn in Salzburg ist das landestypische Verkleiden halt schön.
Ich weiß nun allerdings nicht, was die Mode und der zum Zwecke der Verköstigung bei Pressekonferenzen ausgeschenkte Wein in dieser Antwort zu suchen haben. Denn es ist wohl mein Recht, ja meine Pflicht, bereits vorab auf die Papierform eines Festivals zu blicken, genau wie die Besucher, die auf Basis des zu erwartenden Programms entscheiden, was sie kaufen wollen. Und ich kann – mit bald 27-jähriger Berufserfahrung und 25 Salzburg-Sommern – ein wenig beurteilen, was mich da erwartet. Und das ist eben, pardon, nicht viel – mit Ausnahme von „Die Eroberung von Mexico“, einer Idee, die nicht die Direktion hatte, sondern der Dirigent Ingo Metzmacher mit und für Peter Konwitschny, der damit sein längst fälliges Debüt an der Salzach gibt. Das ist einmalig, das ist festspielwürdig. Genau deshalb hat es in profil weit mehr Raum bekommen als meine einschätzende Vorschau.
Ich finde übrigens nicht Salzburg „schauerlich“, sondern bloß das aktuelle Programmangebot der Festspiele langweilig
Ich finde übrigens nicht Salzburg „schauerlich“, sondern bloß das aktuelle Programmangebot der Festspiele langweilig, das ist etwas anderes. Ich finde es fad, weil ich darin jede Art von Überraschung, Wagemut und unkonventionellem Denken vermisse. Hier wird heuer nur eingeladen, was sich bewährt hat; das streichen die vielen Wiederaufnahmen heraus, die alle schön und gut sind (und von mir meistenteils auch so rezensiert wurden). Ich habe mich aber nicht um die alten Hüte zu kümmern, sondern vor allem um die neuen Modelle.
Und da kann ich mir ganz gut ausmalen, was ich mir etwa unter einem primär wegen Jonas Kaufmann (der die Rolle vielfach anderswo gesungen hat) ausverkauften „Fidelio“ mit langjährig hier arbeitenden Kunstschaffenden vorzustellen habe. „Fidelio“ gehört, auch wenn Frau Rabl-Stadler und Herr Bechtolf das anders darstellen, laut Statistik zu den meistgespielten Salzburg-Opern; sie steht auf Rang sieben und wurde nach 1990 (Ostern wie Sommer), 1996 und 1998 an der Salzach auch noch 2003 zu Ostern und 2009 konzertant gegeben, also durchaus, wie von mir formuliert, „gefühlt alle fünf Jahre“.
Und wenn einem der Interviewpartner Konwitschny eine Überschriftenperle wie „Salzburg ist asozial!“ zuwirft, wird man sie nicht fortkollern lassen. Denn auch ich habe meine Probleme damit, dass die Kartenpreise für das, was ich liebe und einer breiten Leserschaft zugänglich machen möchte, immer höher werden. Da kann man noch so sehr auf billige Tickets hinweisen. Die gelten vielleicht für Mozartmatineen und Nebenprogramme. Für „Fidelio“ aber kosten die (wenigen) billigen Karten 61 Euro, für „Mackie Messer“ 42 Euro. Mittlere Kategorien sind mit 178 beziehungsweise 120 Euro längst keine Schnäppchenware mehr.
Die Sehnsucht danach, unliebsame Kritiker mundtot zu machen, scheint noch zu bestehen
Und zugegeben: „Mackie Messer“ machen nicht die Tiger Lillies, wie ich irrtümlich schrieb, sondern der für ihre Bühnenwerke verantwortliche, eine sehr ähnliche Ästhetik pflegende Julian Crouch. Es dirigiert der Arrangeur (nicht Komponist), und es spielt ein für den „Jedermann“ zusammengestelltes Ad-hoc-Ensemble von Salzburger Musikern. Korrekt. Aber gut?
Ein Interimsintendant und Schauspielchef, der auch noch eineinhalb von sechs Neuinszenierungen selbst besorgt, aber grundsätzlich keine Telefoninterviews gibt und Fragen gern vorab fordert, darf das gut finden, das ist sein Job. Ich finde es eben weniger gut. Und ich muss mich auf Herrn Bechtolfs „Figaro“ nicht freuen, nachdem seine beiden anderen Mozart-Festspielinszenierungen von der nahezu gesamten deutschsprachigen Presse verrissen worden waren wie selten zuvor etwas in Salzburg.
Was ist das für ein merkwürdiges Journalismusverständnis, in dem Kritik als „üble Nachrede“ denunziert wird, während mit Vorab-Lob gerne und dauernd geworben wird? Könnte es sein, dass man durch die vor allem mit netten PR-Artikeln gefüllten, durch Anzeigen mitfinanzierten und in Salzburg großzügig verteilten Tageszeitungs-Sonderbeilagen ein klein bisschen unbescheiden geworden ist? „Schlagt ihn tot, den Hund, er ist ein Rezensent!“, schrieb Goethe einst. Die Sehnsucht danach, unliebsame Kritiker mundtot zu machen, scheint noch zu bestehen.
Manuel Brug, 50, ist seit 1988 journalistisch tätig. Der gebürtige Münchner arbeitet seit 1998 als Klassik-, Tanz- und Musical-Kritiker der Tageszeitung „Die Welt“ und seit 2005 für profil als Klassikkritiker.