Affäre

„Geist der Raubritterei“: Wie geht es an der Angewandten weiter?

An der Wiener Universität für angewandte Kunst kehrt keine Ruhe ein. Das mit heftigen Vorwürfen konfrontierte Rektorat mauert, immer mehr Betroffene melden sich zu Wort. Studierende arbeiten nun daran, neue Transparenz am Haus herzustellen.

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Auf der Homepage der Universität für angewandte Kunst herrscht buntes Allerlei, der Punkt „Aktuelles“ birgt Informationen zu neuen Professorinnen, die Slideshow darüber bewirbt museale Interventionen, die Vienna Design Week und den Anfang November stattfindenden Tag der offenen Tür am der Wiener Kunsthochschule.

Als „Open House“ empfinden viele Studierende und Lehrende die Institution am Oskar-Kokoschka-Platz jedoch längst nicht mehr. Die seit Wochen weithin geführte Debatte über den harschen und unprofessionellen Umgang des Rektorats mit Belegschaft und Studierenden findet sich auf der Website der Angewandten nicht einmal ansatzweise wieder: kein Statement der seit einem Jahr amtierenden, von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern heftig kritisierten Rektorin Petra Schaper Rinkel, keine Gegendarstellung zur Situation am Haus, keine kalmierenden Worte von Senat oder Universitätsrat. In der Chefetage der Angewandten tut man so, als wäre nichts geschehen und hält sich an traditionelle Management-Untugenden: ans Mauern, Bunkern und Aussitzen. 

Vor fünf Wochen erschien in profil ein Artikel, der sich ausführlich mit dem Führungsstil der Rektorin auseinandersetzte. ORF und „Standard“ zogen nach. Vor einer Woche nun schritten die Studierenden zur Tat und gründeten eine Online-Plattform zur Offenlegung interner Probleme, „zur Sammlung anonymer Informationen aus erster Hand über Interaktionen von Angestellten und Studierenden mit der Rektorin“. Dieser Beschwerdebriefkasten (auf Instagram unter „transparenz.angewandte“ abzurufen), in dem „konkrete, verifizierbare Vorfälle“ kompiliert werden sollen, diene dazu, „eine Politik der radikalen Transparenz innerhalb der Universität zu fördern“. Denn das „Prinzip der Ein-Personen-Herrschaft“ sei mit der Leitung einer Kunsthochschule nicht vereinbar.

Die laufende profil-Recherche zur besorgniserregenden Atmosphäre an der Angewandten, so teilt die anonym agierende Transparenz-Gruppe auf Nachfrage mit, habe „viel bewirkt“ und „großen Anklang gefunden“; denn ein „Klima der Angst“ habe keinen Platz an ihrer Institution, daher bitte man um Verbreitung einer detaillierten, ebenfalls anonym zu beantwortenden Umfrage in der Causa.

Psychosoziale Beratung eliminiert

Seit Mitte August haben sich indes zahllose Menschen bei profil gemeldet, um ihre Erfahrungsberichte weiterzugeben; es sind irritierende Erzählungen, die aus dem Haus zu uns dringen – etwa jene von der fristlosen Kündigung der psychosozialen Beratungsstelle an der Angewandten. Susanne Jalka, die seit 14 Jahren dort psychologischen Beistand geleistet hat, berichtet: Neben einer Reihe von Seminaren, die sie seit 2002 zu den Themenfeldern Konfliktkultur und soziale Kompetenz an der Angewandten abhalte, sei sie seit 2010 auch in der psychosozialen Beratung am Haus tätig. Diese wurde von Gerald Bast, Schaper Rinkels Amtsvorgänger, in Zusammenarbeit mit der Hochschülerschaft eingeführt, nachdem sich ein Student das Leben genommen hatte. „Man schlug damals vor, eine Art Krisenintervention am Haus einzurichten. Das hat all die Jahre tadellos funktioniert, Bast hatte Handschlagqualität, auf sein Wort konnte man sich verlassen.“ Diesen Beratungsdienst hat Jalka gemeinsam mit dem Psychotherapeuten und Analytiker Alexander Parte geleitet, der Studierenden in Krisensituationen Kurztherapien anbot. „Ich arbeitete, obwohl auch Analytikerin, dort als Beraterin. Durchschnittlich zwei bis drei Leute in der Woche meldeten sich bei uns, baten um Hilfe in der Bewältigung diverser Krisen, die von Privatem bis zu Drogenproblemen reichten, die Arbeit an der Angewandten betrafen und um die Leistungsbeurteilung und Auseinandersetzungen mit ProfessorInnen kreisten.“

Ende Mai 2024 sandte Schaper Rinkel eine E-Mail an Alexander Parte, in der sie ihm knapp mitteilte, sie löse „mit sofortiger Wirkung" die Zusammenarbeit mit ihm und Susanne Jalka, da die Vereinbarung über die Erbringung psychosozialer Beratung „vor vielen Jahren offenbar lediglich mündlich abgemacht“ worden sei. „Ich selbst hatte bis dahin keinerlei negative Kontakte mit dem Rektorat“, erzählt Jalka, „dennoch erhielt auch ich am selben Tag noch eine E-Mail mit den Worten, ich sei hiermit fristlos gekündigt." Am nächsten Tag sei das seit Jahren bestens funktionierende Angebot für psychosoziale Beratung ersatzlos von der Website gestrichen worden. „Und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der junge Menschen in erhöhtem Maße psychisch labil sind und mit den vielen Krisen, die um uns sind, oft kaum noch zurecht kommen.“ Die verantwortungslose Auflösung der Beratungsstelle – eine Maßnahme, die in laufende Behandlungsprozesse eingriff – sorgte für Fassungslosigkeit. 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.