Geschichten aus dem Wiener Wald: Ring frei!
Irgendwann landet Marianne, eines der vielen „süßen Wiener Mädels“ des abgründigen österreichisch-ungarischen Dramatikers Ödön von Horváth, die keinen Platz im Leben finden, als Tänzerin nackt in einem halbseidenen Varieté. Meist wird das eindeutig erotisch gedeutet. Wie Johan Simons und sein Ensemble diese Szene im Burgtheater anlegen, muss man gesehen haben: Maria Happel und Sarah Viktoria Frick machen daraus eine aberwitzige expressionistische Performance, in der Patriarchats-Symbole (Zigarre!) ironisch zweckentfremdet werden. Die beiden finden ein Stück Freiheit in einer liberalen Kunst, die schon bald von den Nazis verboten werden wird.
Der niederländische Regisseur Johan Simons räumt für „Geschichten aus dem Wiener Wald“ die Bühne weitgehend frei, legt den Fokus auf die einsamen Menschen, die alle ständig anwesend bleiben und einander umkreisen wie Planeten. Anfangs bleibt das noch eher konventionelles Schauspielertheater, entwickelt erst nach und nach seinen Sog. Nicholas Ofczarek gibt als Fleischer Oskar tatsächlich einen enorm zarten und sensiblen Kraftlackel, Sarah Viktoria Frick eine famos rebellische Marianne.
Man hört den Text nicht unbedingt neu, Simons zeigt eher, was über die Worte hinaus geht. Frei nach Wittgenstein: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man tanzen. Wild ringt Marianne ihre neue Liebe, den Hallodri Alfred (Felix Rech als biegsamer Beau) nieder wie eine Beute, um am Ende doch wieder bei Oskar zu landen und einen letzten Tanz zwischen hartem Ringkampf und verzweifelter Nähe hinzulegen. Simons präsentiert einen Reigen der vergeblichen Gefühle, alle lieben aneinander vorbei. Verlierer sind die Frauen. Anders als bei Horváth verlässt Marianne am Ende das trostlose Setting.