100 Jahre Zsolnay
Es gehören immer zwei dazu. Auf der einen Seite die Autorinnen und Autoren mit ihren Manuskripten, auf der anderen ein Verlag, der diese Texte unters Völkchen der Leserinnen und Leser bringt. Kaum ein Verleger deutscher Sprache hat diese Arbeit am Wort in schönere Sätze gefasst: „Ich kann dazu nur ein Wort sagen, das auf alle Berufe zutrifft. Dieses eine Wort heißt: Liebe. Liebe zum Buch, zu den Menschen.“ Es war dem Literaturliebhaber und Blumenzüchter Paul Zsolnay (1895–1961) als Verleger von Anfang an ein Anliegen, Bücher zu machen: Er bot seinen ganzen Erfindungsreichtum auf, um der Literatur zu ihrem fast schon natürlichen Recht zu verhelfen; seit der Gründung des Verlags vor genau 100 Jahren wurde dieses Zsolnay-Prinzip keine Sekunde lang infrage gestellt. Lang ist die Liste der großen Namen jenes Verlags: Franz Werfel, John Galsworthy, Sinclair Lewis, A. J. Cronin, H. G. Wells, Heinrich Mann, Max Brod, Carl Sternheim, Leo Perutz, Friedrich Torberg, Hilde Spiel, Franz Vranitzky, Heinrich Treichl, Barbara Coudenhove-Kalergi, Karl-Markus Gauß, Friedrich Achleitner usw. Seit 25 Jahren leitet der Historiker Herbert Ohrlinger, Jahrgang 1961, den Verlag, der 1996 vom Münchner Editionshaus Hanser erworben wurde. Ohrlinger erledigt seine Arbeit, der schönen Tradition gemäß, mit jeder Menge Liebe.
Natürlich reicht es nicht immer für die Veröffentlichung. Aber da gibt es schöne, tröstende Worte, an die sich Autorinnen und Autoren ihr restliches Leben lang klammern können. Sehr beliebt: „Wir haben Ihr faszinierendes Manuskript mit großem Interesse gelesen. Leider sprengt es den Rahmen unseres Programms.“ Ob sie weiterschreiben sollen? „Unbedingt.“ Ob sie beim nächsten Mal wieder anfragen dürfen? „Jederzeit.“ Das gibt Kraft. Viele schaffen dadurch den Entzug und probieren es nie wieder.
Schwieriger und aufwendiger gestaltet sich die wertschätzende Betreuung der fürs Verlagsprogramm Auserwählten. Faustregel: Jede und jeder einzelne von ihnen hat wahrscheinlich das beste Buch des Jahres geschrieben. Paradoxerweise schlägt sich das nicht und nicht in Verkaufszahlen nieder, aber das soll niemanden irritieren, so funktioniert eben der Markt – nie, wenn man ihn braucht. Die Enttäuschung sitzt bei vielen tief, und die Therapeuten vom Verlag sind gefordert: „Dein Buch ist seiner Zeit voraus.“ (Es ist also sehr wohl das beste Buch des Jahres, nur eben eines anderen, späteren Jahres, hoffentlich erlebst du es noch.) Oder: „Ist halt nicht Mainstream, nichts für die Masse.“ Kurzum: „Literarisch zu anspruchsvoll.“ – Hier widersprechen leider ganz gern die gnadenlosen Rohlinge von der Presse, die viel Spaß am Zerstückeln von Neuerscheinungen haben. Was sich vom psychologisch geschulten Verlagsteam folgendermaßen abfedern lässt: „Die haben dein Buch nicht verstanden.“ Oder: „Die sind nur neidig, weil sie selbst gern ein Buch veröffentlichen würden.“ Oder, besonders aufbauend: „Besser eine schlechte Kritik als gar keine, Werbung ist Werbung.“ Funktioniert auch umgekehrt, wenn es überhaupt kein Medieninteresse gibt: „Das ist ein gutes Zeichen. Die wissen nicht, was sie kritisieren sollen, das spricht für die Qualität deines Textes.“
Das Misstrauen von Autoren hat stählerne Wurzeln. In ihrer Verzweiflung stellen manche gar die Leistung ihres Hauses infrage und schielen argwöhnisch zu ihren Kolleginnen und Kollegen von anderen Verlagen, deren Bücher viel besser platziert sind und sogar die Auslagen schmücken. Die Erklärung liegt auf der Hand:
„Die Händler haben zu viel davon bestellt, jetzt versuchen sie natürlich, die Bücher loszuwerden. Kauft aber eh keiner.“ Und wie erklären sich dann die Spitzenplätze der anderen Autorinnen und Autoren in den Bestsellerlisten? „Kannst du vergessen, die meisten Listen sind gefakt, das ist
teuer bezahltes Marketing.“ Gegenfrage: „Und wieso bezahlt man für mein Marketing nicht teuer?“ – So. Und jetzt sind wir bei der Gewissensfrage. „Wir sind hier bei Zsolnay. Da geht es um gute, niveauvolle, anspruchsvolle Literatur. Die ist nicht käuflich. Dein Buch ist der beste Beweis dafür.“
Der Autor
Daniel Glattauer, 64, ist einer der erfolgreichsten Gegenwartsautoren Österreichs: Er hat über viereinhalb Millionen Bücher verkauft, viele seiner Romane wurden verfilmt und für die Bühne adaptiert. Der Großteil von Glattauers Romanen, darunter „Gut gegen Nordwind“ (2006), „Alle sieben Wellen“ (2009) und „Geschenkt“ (2014), erschien im Deuticke Verlag, zwischen 2005 und 2019 ein Imprint von Zsolnay. Glattauers jüngster Roman „Die spürst du nicht“ wurde im Vorjahr bei Zsolnay veröffentlicht.