Ein grauer, wolkenloser Himmel spannt sich an diesem Dienstagnachmittag über Gmunden. Gemeinsam mit 22 weiteren Gemeinden in den Bundesländern Oberösterreich und Steiermark kürte sich die Stadt am Traunsee zu Europas diesjähriger Kulturhauptstadt. Das Salzkammergut will dabei vieles miteinander verbinden, wenn nicht fast alles: Touristenmassen und Eingesessene, Stadt und Land, Gegenwart und Zukunft, Natur und Kultur, Brauchtum und Avantgarde, Erinnerung und Identität, Wirtschaft und Politik.
Mission halb geglückt
Es ist ein groß angedachtes Jahr, das am delikaten Problem seiner vielen Vorhaben laboriert: 365 Salzkammergut-Kultur-Tagesabschnitte unter erweitertem Begriff, der sich in die Welt wie in die Nähe richtet. Ausstellungen, Gesprächsreihen, Theateraufführungen, Expeditionen, Geschichten von Menschen und Orten in dem Landstrich zwischen Bergen und Seen ducken sich unter das Dach des Großprojekts. „Kultur salzt Europa“, lautet das Motto. Ein flotter Leitspruch ist das eine; das andere ist der knifflige Auftrag, Disparates unter einem scheinbar einigenden Dach zu vereinen, kulturelle Meta-Ebenen herauszuschälen. In Gmunden ist diese Mission allenfalls halb geglückt. Die Stadt ist in große, beinahe historische Kulturzusammenhänge geraten. Noch ist nicht ganz klar, was Gmunden damit anfangen soll.
Haltestelle „Gmundner Keramik“. Keramik salzt Gmunden seit eh und je. In der „Gmundner Keramik Manufaktur“ sind23 Teller ausgestellt. Alles Einzelstücke, den 23 Kultursalzkammergut-Orten gewidmet, eine auf Porzellan gemalte Spurensuche auf Grundlage traditioneller Ornamente aus den Regionen. Eine Sammlung schöner Schalen. Die Malerinnen der Manufaktur erzählen in einem Film in Dauerschleife davon, wie die 23 Teller entstanden, untermalt von dahintreibendem Rhythmus. Man möchte am liebsten selbst zum Pinsel greifen.
Verschwänden über Nacht die wenigen Hinweise auf die Kulturhauptstadt im hauseigenen Ausstellungsraum der Manufaktur und das Schild in der Verkaufszone, das auf die rotblaue Porzellan-Sonderedition verweist, es wäre nicht weiter tragisch. Viel Keramik-Kleinklein, das die Kulturhauptstadt wie en passant mitnimmt. Salz im Getriebe.
Vielleicht liegt das kulturhauptstädtische Nebenher auch daran, dass sich Gmunden dieser Tage auf andere Ereignisse freut. Die Kulinarik-Interieur-Festivität „Salzkammergutmesse“ rollt an, eine Elektrosupermarkteröffnung steht bevor, für den „Liebstattsonntag“, den Tag der Lebkuchenherzen, sind die Bäume bunt geschmückt.
Berg, Bahn und Binnensee
Weiter mit der Tram. Haltestelle „Klosterplatz“. Es ist leicht, den Gmundner Stadtkern pittoresk und die von der Wiener Universität für angewandte Kunst gestaltete „Klosterplatz“-Station interessant zu finden. Ein sanfter Fremdkörper, der über das Kulturjahr hinaus bleiben wird: weiße Keramikelemente am Dach und am Boden des Terminals, ein gelbes Paddel am Heck. Berg, Bahn und Binnensee sind einander in Gmunden sehr nah.
Neben dem Salz der Keramik ist Gmunden als Sommerfrischeort in der Zeit der k. u. k. Monarchie und für eine TV-Endlosserie bekannt, die aus dem Seeschloss Ort das „Schlosshotel Orth“ machte. In surrender Geschäftigkeit wurde im „Schlosshotel Orth“ geliebt und geheiratet. Davon hat sich das kleine Kastell auf der Insel im Traunsee bis heute nicht ganz erholt. „Festsäle-Restaurant-Hochzeitskirche-Standesamt“, verkündet ein Wegweiser. Im Wappensaal soll schon bald die Kulturhauptstadtausstellung „Eros der Sommerfrische“ eröffnen, ein Kernthema seit Kaisers Tagen. Franz Joseph I. war saisonaler Dauergast in Gmunden und Pionier des Hochzeitswesens, da die Jahrhundertehe von Sisi und Franz im Schlösschen am See durch die Verlobung ihren Anfang nahm. An diesem Nachmittag liegt das Schloss ruhig da, kein Hämmern, kein Sägen, kein Mensch hier, keine vernehmlichen Vorarbeiten für „Eros der Sommerfrische“. Immerhin finden auch keine Hochzeiten statt.
Ums Eck vom Seeschloss steht die Villa Toscana, ein weiterer Nebenschauplatz des Hauptstadtjahres. Im ehemaligen Anwesen der Modernistin Margarethe Stonborough-Wittgenstein sind unter dem Titel „Zwischen den Zeiten und Künsten“ etliche Kulturevents geplant, Performances, Salons, Podiumsdiskussionen und eine Ausstellung. Derweil herrscht noch Ruhe in der Villa. Und die beiden mannshohen Buchstaben auf dem Rasen vor dem imponierenden Domizil? Soll das „JA“ im Grün unumschränkte Zustimmung zum Kulturhauptstadtjahr signalisieren? Hochzeitshochamt auch vor der Villa Toscana: „Dieses JA ist ein Symbol fürs Heiraten und steht auch für die positive Energie im Salzkammergut“, erklärt eine Notiz: „Ja! Wir lieben! Ja! Das Leben ist schön. Ja! Wir leben. Und sind dankbar für diese schöne Landschaft!“
Kaisers Klo
Letzte Station auf der Tramfahrt. „Rathausplatz“. Das Kammerhofmuseum, in dem die lange Historie der Stadt am See versammelt ist, zeigt die Ausstellung „Grafik in Europa“. Zu sehen sind 115 Arbeiten von 71 Künstlerinnen und Künstlern aus 22 EU-Ländern samt dazu passender Weinetiketten-Edition. „Grafik in Europa“ ist auch so etwas wie das Lebenswerk des Gmundner Künstlers Josef Linschinger, der sich seit Jahrzehnten dem Zeigen und Aufzeigen der visuellen Poesie widmet. „Grafik in Europa“ salzt die Kulturhauptstadt Gmunden. Nicht umgekehrt.
Ganz am Ende geht es dorthin, wo auch der Kaiser zu Fuß hinging. Bereits die Dichter Gerhard Rühm und Konrad Bayer wussten: „Scheißen und Brunzen sind Kunsten.“ Insofern ist es nur folgerichtig, dass sich die Dauerausstellung „Klo und so“ im Kammerhofmuseum abseits der Grafikschau im dritten Stock sehr alltäglichen Bedürfnissen widmet, denen auch Kaiser und Kapellmeister nachgeben mussten. In der Schau mit Leihgaben eines örtlichen Sanitärkeramikherstellers ist das WC des Dirigenten Herbert von Karajan ebenso zu sehen wie das Zimmerklosett Franz Josephs mit Weichholzsitz. Weit musste der Kaiser nicht gehen.