Grossstadtgeflüster: "Schweiß, Punk und Soundprobleme"
profil: 12 Jahre Bandgeschichte – was hat sich seit den Anfangszeiten verändert? Jen Bender: Wir sind natürlich älter geworden, aber es ist immer noch spaßig und lässig. Trotzdem senken sich die Erwartungshaltungen und das Adrenalin geht auch zurück. Wir sind entspannter geworden.
profil: Ihr seid älter geworden – auch weiser? Bender: Nein. Die Entscheidungsangst ist nicht mehr so groß. Ich weiß heute viel besser als früher, wenn ich mich für eine Sache entscheide, es vielleicht zu Lasten einer anderen Sache geht. Wahrscheinlich ist mir heute viel klarer, dass Kontrolle doch eine große Illusion ist.
Wir haben doch alle Musik im Herzen.
profil: Wie hat alles angefangen? Bender: Rapha wurde mir vorgestellt, wir sollten „etwas zusammen machen“. Ich hatte damals ohnehin nach jemandem gesucht um ein paar Ideen zu verwirklichen. Dann saßen wir gemeinsam im Studio und haben Kaffee getrunken und gemerkt, dass wir beide Bock auf den gleichen Scheiß haben. Im Endeffekt sitzen wir da immer noch. Chris und Rapha kannten einander schon vorher vom Popkurs Hamburg. Chris wurde unser Schlagzeuger. Wir sind schnell zusammengewachsen und wurden alsbald ein Trio. Wir haben doch alle Musik im Herzen.
profil: Hat sich eure Fangemeinde verändert? Bender: Wir waren immer so vielfältig und keiner Subkultur eindeutig zugehörig, dass unsere Fans in erster Linie Menschen sind, die gerne auf Konzerte gehen und Musik hören. Natürlich gibt es einige Fans, die mit uns mitgealtert sind. Aber im Großen und Ganzen sind unsere Fans ein buntes Durcheinander und das ist gut so.
profil: Ist die Zeit der großen Berlin-Party vorbei? Bender: Berlin ist toll, wenn man in Feierlaune ist, weil man da eine riesige Auswahl hat. Trotzdem kann da auch schnell Langweile aufkommen. Man geht eben in einen Club und den findet man entweder geil, oder man zieht weiter. Ich bin ja mehr so der Kneipen- und Konzertmensch, gehe nicht so oft in Clubs. Generell habe ich auch das Gefühl, dass Dienstag in Berlin ein toter Tag ist. Wenn mir an so einem Tag die feierwilligen Touristen entgegentorkeln und mich fragen, wo sie denn jetzt hingehen sollen, fällt mir dann meistens auch nichts ein. Mittwochs und Donnerstags ist das schon besser.
profil: Wie ist euer Verhältnis zu Wien? Bender: In Wien wurden wir immer mit weit aufgerissenen Armen empfangen. Wenn wir jetzt mal in Schubladen denken, hat der Klischee-Wiener mit dem Klischee-Berliner ja auch viele Gemeinsamkeiten. Da wird Schnippigkeit schon mal als Unfreundlichkeit falsch verstanden. Wobei der Berliner wahrscheinlich noch etwas ruppiger ist, der Wiener eleganter. Wir hegen aber auch mit dem Radiosender FM4, der in Wien seine Homebase hat, eine enge Verbundenheit. Das war damals der erste und einzige Radiosender, der „Ich muss gar nix“ gespielt hat. In Österreich haben wir auch unsere erste große Show gespielt. Die Leute sind gekommen nur um uns zu hören.
profil: Spielt ihr lieber auf Festivals oder kleinen Konzerten? Bender: Ich möchte beides nicht missen. Festivals und Konzerte haben einen jeweils eigenen Charme. Wir haben zwar bewusst eine kleine Clubtour in Deutschland gemacht, weil wir wieder Bock auf Schweiß, Punk und Soundprobleme hatten, aber wir machen Festivals genauso gerne wie Konzerte. Wenn wir dann auf der Bühne stehen und diese mitwabernde Masse sehen, geht es nur noch darum sich gemeinsam einen schönen Abend zu machen, zu dem jeder seinen Beitrag leistet.
profil: Wie definiert ihr künstlerische Freiheit? Bender: Künstlerische Freiheit ist sehr schwierig zu erlangen. In unseren Breiten liegt die ja eigentlich auf der Straße und man kann sie greifen, weil wir politisch nicht eingezwängt sind und nicht am Hungertuch nagen. Aber um künstlerisch wirklich frei zu sein, muss man sich von allen Erwartungen lösen. Das betrifft natürlich auch das Kapital. In dem Moment, in dem ich mit meiner Kunst Geld verdienen muss, bin ich nicht mehr frei. Man sagt ja auch „Zuerst kommt die Bohème, dann das Kapital“.
Wir machen Musik und zeigen sie jemandem, wenn wir das wollen.
profil: Mit eurem Song „Fickt-Euch-Allee“ habt ihr die Charts erobert. Habt ihr mit diesem Erfolg gerechnet? Bender: Nein, gar nicht. Wir sind ohne Erwartungen oder bestimmte Hoffnungen an die Sache herangegangen. Wir wollten mal wieder die Eier schaukeln lassen und ein bisschen zurück zur Hobbyband. Das Video haben wir gemacht, weil man das heutzutage eben tut.
profil: Wo ist eure „Fickt-Euch-Allee“? Bender: Am Arsch vorbei, am Kreuzweisee.
profil: Wie geht es weiter? Bender: Erwartungsfrei. Wir wollen dieses Jahr noch eine Episode 2 machen, und spielen auch noch auf ein paar Festivals. Wir hatten aber keinen Bock uns noch einmal 3 Jahre im Studio einzuschließen und auf diesen einen großen Tag hinzuarbeiten. Wir machen Musik und zeigen sie jemandem, wenn wir das wollen. Deshalb produzieren wir keine Alben mehr, sondern nur noch EPs.
GROSSSTADGEFLÜSTER Das Berliner Trio, Raphael, Chris und Jen, hat bereits vier Alben veröffentlicht. 2015 brachte die Elektro-Punk-Band mit "Episode 1" eine EP heraus. Die zugehörige Single "Fickt-Euch-Allee" startete auch in den österreichischen Charts durch. Aktuell tourt die Band in Deutschland. Zum FM4 Geburtstagsfest am 23. Jänner 2016 in der Ottakringer Brauerei spielen Grossstadtgeflüster wieder in Wien.