Kulturtipp

Grundgefühl: Angst – im Jüdischen Museum steht eine Emotion zur Debatte

In Wiens Jüdischem Museum denkt man in einer neuen Ausstellung über die vielen Formen der Unsicherheit und der Beklemmung nach.

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Passender kann man diesen Tag, an dem die globale politische Destabilisierung so entschieden vorangetrieben wurde, kulturell wohl nicht bespielen: Das Grundgefühl der Angst, die der politische Autoritarismus klug für sich zu nutzen weiß, steht ab heute (bis 27. April 2025) im Zentrum einer gleichnamigen Ausstellung, die am Wiener Judenplatz, am zweiten Standort des Jüdischen Museums, zu sehen ist. Im Versuch einer historischen Erkundung jener universellen Emotion hat Kuratorin Andrea Winklbauer Gemälde, Ritualobjekte, Videos und Fotos versammelt, die über spezifisch jüdische Perspektiven hinaus auch ins Allgemeine zielen. Die Schau deutet das Grundgefühl der Angst in alle Richtungen aus – sozial, politisch, psychologisch und religiös, berührt die Angst vor Kriegen und Pandemien, die Gottesfurcht, den Aberglauben.

Die Furcht als Indikator für die Verfasstheit einer Gesellschaft liegt der Ausstellung als Idee zugrunde: Angst ist oft alles andere als ein schlechter Ratgeber, denn sie kann, wie jeder kursorische Rundblick über die Kriegs- und Krisenpanoramen unserer Tage nahelegt, gut begründet sein und als Schutzmechanismus wirken. Der Frage etwa, was der gerade weltweit wieder eskalierende Antisemitismus in Jüdinnen und Juden auslöst, weicht diese Ausstellung nicht aus – unerlässlich in einer Zeit, da schon das öffentliche Tragen des Davidsterns ein Risiko bedeuten kann.

Bilder aus Grauen erregenden Epochen versinnbildlichen die psychischen Wirkungen von Unsicherheit und Bedrohung: Felix Nussbaum, deutsch-jüdischer Künstler der Neuen Sachlichkeit, porträtierte sich und seine Nichte 1941 in dem Gemälde „Angst“, in Panik vor dem nahenden Untergang durch den nationalsozialistischen Terror. Vom „Sturm über Europa“ kündet die Zeitungsschlagzeile im Hintergrund des Bildes.

Um 1780 hat der österreichische Landschaftsmaler Michael Wutky den Ausbruch des Vesuvs über den Golf von Neapel dargestellt, in glühenden Rottönen und finsteren Rauschschwaden. Eine sehr viel gegenwärtigere – und menschengemachte – Katastrophe stellt der israelische Künstler Ziv Koren in einer seiner Fotoserien aus: Er zeigt das Grauen des Terrors der Hamas am 7. Oktober 2023 im Kibbuz Nir Oz indirekt, ohne die Toten abzubilden.

„Du bist doch Jude und weißt, was Angst ist“, schrieb ein verzweifelter Franz Kafka am 2. Juni 1920, vier Jahre vor seinem frühen Tod, an seine Freundin Milena Jesenská: Im selben Brief fragte der Schriftsteller sich selbst und sie: „Wo sind die Weltgesetze und die ganze Polizei des Himmels?“ Er sei „so müde, wie man durch Alter überhaupt nicht werden“ könne, er fürchte sich „vor der ungeheuren Müdigkeit, die dieser ungeheuren Unruhe folgen“ werde. Eine Schau zur Zeit.

Judenplatz 8, 1010 Wien, geöffnet von Sonntag bis Donnerstag, 10 bis 18 Uhr; freitags 10 bis 14 Uhr.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.