Günter Brus

Günter Brus: "Mir ging es wohl ähnlich wie Kokoschka"

Günter Brus gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter der Performancekunst. Mit profil sprach der 79-Jährige über das Jahr 1968, die Notwendigkeit von Tabubrüchen und die "politisch beglaubigte Umweltvernichtung".

Drucken

Schriftgröße

INTERVIEW: CLEMENS ENGERT

profil: Sie waren einer der künstlerischen und gesellschaftlichen Hauptakteure im Österreich des Jahres 1968. Welcher Zeitgeist herrschte damals? Brus: Wiens Fassaden waren grau und die Menschen auch. An vielen Straßenecken warteten Polizisten auf das Ausfüllen eines Strafmandates. Ich selbst erhielt ein solches wegen Betretens einer Rasenfläche von vier Meter Länge. Die Obrigkeiten waren von einem Pseudo-Katholizismus durchsetzt, nicht selten vom Geist des Nationalsozialismus.

profil: Sehen Sie sich im Rückblick als Teil einer Bewegung, die die Gesellschaft nachhaltig verändert hat? Brus: Ich denke schon. Wir strebten an, dass sich die Kunst verändert und dadurch indirekt auch die Gesellschaft.

profil: Sie wurden damals quasi gesellschaftlich geächtet. Ihre Aktionen wurden salopp als „Ferkeleien“ bezeichnet und Sie wurden gerichtlich verfolgt. Hatten Sie mit einer derart starken Reaktion gerechnet? Brus: Ich habe die Folgen meiner Aktionen bewusst mitbedacht, allerdings nicht das Ausmaß und die Gehässigkeit der Tagespresse. Diese kommentierte die Ereignisse so übertrieben, als müsse man das Bundesheer gegen diese „Umtriebe“ einsetzen.

profil: Sind künstlerische Tabubrüche notwendig, um Veränderungen herbeizuführen? Brus: Ich kenne keine Kunstrichtung des 20. Jahrhunderts, die am Anfang keine Skandale ausgelöst hätte. Sei es der Impressionismus, der Dadaismus, der Surrealismus oder der Kubismus. Schlussendlich führte dies bis zu den „Bücherbrennungen“ und zum Begriff der „Entarteten Kunst“.

profil: Welche Wirkung hätte Ihrer Meinung nach eine Aktion wie „Kunst und Revolution“ heute? Brus: Heute besteht in Europa wohl kaum Anlass, eine solche Aktion zu initiieren. Allenfalls wären entschiedene Proteste gegen die politisch beglaubigte Umweltvernichtung angebracht. Aber das Beispiel der österreichischen Grünen zeigt deutlich auf, dass die Bürgerschaft wenig Interesse an Veränderungen in diesem Bereich hat. Dazu gesellt sich der Aufstieg der Rechtspopulisten, die mehr am Erhalt der eigenen Nation interessiert sind als am Untergang der Welt.

Nicht nur das Durchbrechen von Tabus wurde damals angestrebt, sondern auch die Notwendigkeit einer Internationalisierung der Kunst.

profil: Ihre Aktionen hatten mitunter auch einen Staats-kritischen Aspekt. Wie könnte eine künstlerisch eindringliche Form des politischen Protestes heute aussehen? Brus: Das muss die jüngere Generation der Künstler entscheiden. Meine Aktionen waren allerdings in erster Linie von künstlerisch-philosophischer Natur geprägt und nicht politisch motiviert.

profil: Sie haben einmal gesagt, dass Sie vom Aktionismus abgekehrt sind, da als letzte Konsequenz eigentlich nur mehr der öffentliche Selbstmord als finaler künstlerischer Tabubruch geblieben wäre. Können die Aktionskünstler von heute eigentlich insofern nur mehr das kopieren, was Sie und andere bereits ausgereizt haben? Brus: Nicht nur das Durchbrechen von Tabus wurde damals angestrebt, sondern auch die Notwendigkeit einer Internationalisierung der Kunst. Auch heute gibt es brisante Themen, die eine künstlerische Auseinandersetzung erfordern. Allerdings, wenn man die Kunstzeitschriften durchblättert, so sieht man in diesem Bereich auch viele Imitationen.

profil: Im Jahr 1996 erhielten Sie den „Großen Österreichischen Staatspreis für Bildende Kunst“ für Ihr Lebenswerk. Empfanden Sie diese Auszeichnung als Genugtuung oder eher als eine Art Hohn, da sie ja rund 25 Jahre zuvor noch wegen „Herabwürdigung der österreichischen Staatssymbole“ verurteilt wurden? Brus: Weder das eine noch das andere. Es hatte ja bis dorthin eine kulturklimatische Veränderung stattgefunden. Mir ging es wohl ähnlich wie Oskar Kokoschka, der einst behauptete, das österreichische Staatsgebiet nie mehr betreten zu wollen. Dann malte er den österreichischen Bundespräsidenten und die Staatsoper.

profil: Anlässlich Ihres 80. Geburtstages findet ab dem 2. Februar eine Ausstellung im Wiener Belvedere 21 statt. Empfinden Sie im Rückblick so etwas wie Zufriedenheit mit Ihrem künstlerischen Gesamtwerk? Brus: Zweifelsohne freue ich mich über diese große Schau und das Erscheinen meines neuen Buches, wenngleich das Wort „Zufriedenheit“ aus dem Befinden eines Künstlers verbannt gehört.

GÜNTER BRUS UNRUHE NACH DEM STURM 02. Februar 2018 bis 12. August 2018 Belvedere 21, Arsenalstraße 1, 1030 Wien

Als einer der wichtigsten Wegbereiter der Performancekunst macht Günter Brus in den 1960er-Jahren den Körper zum Ort seiner künstlerischen Auseinandersetzung und verstört damit die Öffentlichkeit. Anlässlich seines 80. Geburtstags würdigt das Belvedere 21 sein Gesamtwerk mit einer umfassenden Retrospektive.