Kultur

Günter Brus: Stich ins Auge

Unauslöschliche Bildgewalt und zeichnerischer Feinsinn: Erinnerung an den Künstler Günter Brus, der vor wenigen Tagen 85-jährig gestorben ist.

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Der mit schwarzer Farbe gespaltene Mensch; der geschundene, sich selbst traktierende Körper; das gegen repressive Institutionen wie Staat, Kirche und Gesellschaft mit Zangen, Klingen, Nägeln, Äxten und kübelweise Ölfarbe antretende Künstler-Individuum: Die Arbeiten des Günter Brus, insbesondere die während der 1960er-Jahre konzipierten und ausgeführten Aktionen, haben den Zug zum Stich ins Auge. Günter Brus hat Ikonisches produziert, einige der denkwürdigsten Bilder der österreichischen Nachkriegskunst zuwege gebracht. Sein „Wiener Spaziergang“, den er 1965, erst 26 Jahre alt, als weißgekalkter, wie entzwei geschlagener Schmerzensmann im Anzug, als Skulptur seiner selbst absolvierte, gehört zweifellos zu seinen stärksten Motiven.

Nun ist, nach Rudolf Schwarzkogler, Otto Muehl und Hermann Nitsch, der letzte Mitbegründer des Wiener Aktionismus abgetreten: Am Samstag vergangener Woche starb der Künstler Günter Brus 85-jährig in Graz, wenige Tage vor der Eröffnung einer großen Retrospektive seiner Arbeiten im Kunsthaus Bregenz.

Der Steirer, der zunächst die Grazer Kunstgewerbeschule besuchte und danach an Wiens Angewandter informelle Malerei studierte, war viel mehr als nur ein großer Aktionskünstler, auch wenn die berühmten, zwischen Selbstbemalung und Autoaggression pendelnden Performances – von „Ana“ (1964) bis „Zerreißprobe“ (1970) – seinen Ruf begründet hatten. Aber Brus erwies sich, nach dem knappen Jahrzehnt des Wiener Aktionismus, der um 1970 verebbte, auch als Meister der gestischen Malerei und der zarten Zeichnung, er war Dichter (seine Textproduktion drang häufig in die Bilder selbst), Romancier und Amateurmusiker. Stets an seiner Seite, als furchtlose Kollaborateurin: Anna Brus, die Ehefrau des Künstlers, die als Akteurin nicht nur an den Performances ihres Mannes teilnahm, sondern immer wieder auch an jenen von Muehl und Schwarzkogler.

Strich und Schnittwunde

Im persönlichen Gespräch wirkte Günter Brus stets verhalten, feinfühlig und offen. „Der Körper wurde zur Leinwand. Und dann wurde der Körper zum Strich, später zur Schnittwunde“, erinnerte er sich in einem profil-Interview von 2006. Und: „In der Selbstverletzung hab ich meine Grenzen gefunden.“

Nach der exzessiven Universitätsaktion „Kunst und Revolution“ im Juni 1968 kriminalisierte man Brus. Ausgerechnet Heinrich Gross, der Ex-Nationalsozialist und nie verurteilte Kindermörder am Wiener Spiegelgrund, attestierte Brus eine „Psychopathie“, eine unbedingte halbjährige Haftstrafe wurde verhängt. Anna und Günter Brus flohen, um dem Gefängnis und der Zwangstrennung von ihrer kleinen Tochter zu entgehen, nach Berlin, wo ihnen ein Klima der (vergleichsweisen) Freiheit entgegenschlug. Dreimal nahm Brus zwischen 1972 und 1982 an der Documenta teil, 1979 kehrte er zurück nach Österreich, erfuhr die Rehabilitation in seinem Herkunftsland erst in seinen Vierzigern. Den Großen Staatspreis erhielt er 1997, fast 60-jährig. 2011 wurde mit dem „Bruseum“ in der Grazer Neuen Galerie ein eigener Ausstellungsort für seine Werke eröffnet.

Die Ehre, die einem Bild- und Wortvirtuosen wie ihm gebührte, kam spät. Immerhin kam sie. Sein Werk wird, wie der breite schwarze Farbstrich, der den durch Wien Spazierenden zu spalten schien, in den Köpfen und den Kunstgeschichten bleiben.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.