Haneke-Kameramann Christian Berger: „Nicht vor Mitleid weinen“
profil: Es war überraschend, zu erfahren, dass Sie – ein markanter Vertreter des europäischen Arthouse-Films – ein amerikanisches Superstar-Drama fotografieren würden. Wie kam es dazu? Christian Berger: Mich hat Hollywood ja nie interessiert. Da gab es kein Mangelgefühl. Auch meine Oscar-Nominierung 2010 für „Das weiße Band“ ließ mich relativ kalt. Deshalb nahm ich den Auftrag eher locker. Und das ist keine Koketterie.
profil: Wie erreichte Sie denn die Anfrage? Berger: Die kam erst anonym, für ein ungenanntes Filmprojekt. Das liegt daran, dass man in Hollywood panische Angst davor hat, dass ein Drehbuch oder auch nur die Idee zu einem Film etwas zu früh an die Öffentlichkeit kommen könnte. Man fragte also nur nach, ob ich Zeit hätte für eine größere Produktion. Aber ich konnte mich ja nicht verpflichten, ohne zu wissen, worum es ging und wer involviert sein würde.
profil: Keine Andeutung, wer Regie führen würde? Kein Hinweis, wer auftreten sollte? Berger: Und kein Drehbuch! Das war ein bisschen wenig. Schließlich rief die Regisseurin selbst an, stellte sich freundlich als Angelina Jolie vor, aber das kam mir plötzlich alles so unglaubwürdig vor – und ich kannte die Schmähs mancher Kollegen ja schon.
profil: Sie glaubten an einen schlechten Scherz? Berger: Ja, klar: Hollywood is calling. Den Kalauer kennt man, wenn man in der Filmbranche arbeitet. Aber irgendwann begriff ich, dass es kein Scherz war. Und dann ging alles sehr schnell. Mir gefiel die Story des Films. Aber vor allem war ich beeindruckt von Brad Pitt und Angelina Jolie, von der Position dieses Star-Duos, denn man muss sich ja vor Augen halten, was die da riskieren. Das ist Jolies dritte Regiearbeit, zugleich ihr Drehbuchdebüt, mit sich selbst und dem eigenen Mann vor der Kamera und all dem Tratsch-Wahnsinn im Hintergrund. Aber es lief gut: In Sachen Produktion war der Film eine Wohltat.
profil: Inwiefern? Berger: Dieses blöde „Zu teuer!“-Geschrei, das bei uns so oft angestimmt wird, wenn man Dinge umsetzen will, die ganz klar im Drehbuch stehen, geht allein darauf zurück, dass Produzenten in der Regel die Bücher nicht sorgfältig genug lesen oder sie dann falsch kalkulieren. Hanekes Produktionen sind Ausnahmen, da gibt es kaum noch Überraschungen. Aber sonst ärgere ich mich über Produzenten meist sehr. Man schätzt die Dinge im Vorfeld falsch ein, findet das Drehbuch wunderbar und die Regie ganz toll, aber kaum wird’s ernst, darf niemand mehr Geld ausgeben – oder wir, die Macher, seien zu langsam.
Angelina und Brad veranstalteten ein eigenwilliges Spiel: Das sind zwar nicht wir, aber irgendwie sind wir es doch.
profil: Im Fall von „By the Sea“ war es ganz anders: Da koproduzierten Pitt und Jolie selbst. Berger: Aber nicht aktiv, eher durch Rückstellungen, da die marktüblichen Gagen der beiden das Gesamtbudget dieses Films überstiegen hätten. Das Universal-Studio ist spät eingestiegen in dieses Projekt, vorher war „By the Sea“ eigentlich ein Indie-Film. Und mit einem Produktionsleiter wie Chris Brigham zu arbeiten, der schon Martin Scorsese und Christopher Nolan produziert hatte, war großartig. Da gab es diese Feindbildnummer nicht, die bei uns immer so nervt – als wollte man, wenn man einen Film macht, seine Produzenten belügen, hintergehen oder bestehlen. Hier lag das Bestreben der Produktion darin, gemeinsam die maximale Qualität zu erreichen.
profil: Wurde das seltsame Konzept dieses Films – reales Superstar-Paar spielt Glamour-Ehekrise – auf dem Set thematisiert? Berger: Angelina und Brad veranstalteten ein eigenwilliges Spiel: Das sind zwar nicht wir, aber irgendwie sind wir es doch. Mir war klar, dass Jolie bewusst etwas geschrieben hatte, wofür sie von Hollywoods Casting-Agenten niemals besetzt werden würde. Allein das hat in beiden eine unglaubliche Spielfreude ausgelöst: Wir drehten Szenen oft in vielen Varianten, weil sie Dinge ausprobieren wollten – mehr Nähe, mehr Distanz, lauter, leiser, wütender, zärtlicher. Vor allem Brad genoss das sehr. Diese Menschen sind praktisch eingesperrt in ihre Klischees. Man muss jetzt nicht gleich vor Mitleid weinen, aber das verlangen sie ja auch nicht.
profil: Sind Jolie und Pitt in der Arbeit unkompliziert? Berger: Wenn man es erst über den Paparazzi-Zaun geschafft hat und sich im Inneren des Kreises befindet, sind sie liebenswert und unprätentiös. Sie arbeiten mit einer Neugierde und einer Intensität, die ich nicht erwartet hätte. Natürlich leben Leute wie sie auch von der Lüsternheit der Öffentlichkeit auf sie. Diese Schizophrenie – die Abhängigkeit der Stars von ihren Fans, zugleich den Ekel davor – kennen wir in Europa so nicht.
profil: Warum wollte Jolie ausgerechnet Sie als Kameramann? War sie Haneke-Fan? Berger: Das war natürlich auch meine erste Frage. Für Angelina und Brad war es wichtig, einen Kameramann aus Europa zu haben, da sie ihren Film „europäisch“ halten wollten. Ich fand es oft lustig, wie sich US-Filmstars europäisches Leben vorstellen. Und die Story sollte in den 1970er-Jahren spielen; da gab es sehr genaue Vorstellungen zu Kostümen und Ausstattung, es war aber lange nicht so klar, was dies für die Kamera, für die Visualisierung des Films bedeutete. Sie hatten ein Interview mit mir im Internet gefunden, in dem ich über meine spezielle Auffassung von Filmlicht spreche. Daran blieben sie hängen, und dann fanden sie heraus, was ich bislang so gemacht hatte – was dann auch kein Hindernis war.
profil: Man würde kaum vermuten, dass die südfranzösische Kulisse in „By the Sea“ zur Gänze auf Malta gedreht wurde. Berger: Ja, sowohl das Hotel, in dem die Protagonisten absteigen, als auch das kleine Café, das sie so oft besuchen, wurden in einer einsamen Bucht aufgebaut – und ein paar virtuelle Vegetationselemente in die Naturkulissen eingefügt. Für mich war das ein studio on the rocks: Wir hatten an einem Originalschauplatz Bedingungen wie in einem Atelier. Brad und Angelina waren nur im September und Oktober verfügbar, so fielen Frankreich, Italien, Kroatien, Türkei und Griechenland weg. Malta konnte den heißen Sommer noch bieten, den wir brauchten. Aber eigentlich war das Licht schon eher nordafrikanisch – Malta liegt südlich von Tunis! Es war eine Herausforderung, da die gewünschte mediterrane Molligkeit zu kriegen.
profil: Wie diskutierten Sie mit Pitt und Jolie Ihre doch sehr unterschiedlichen Auffassungen von „europäischem“ Stil? Berger: Wir wichen in die Filmgeschichte aus. Unsere Kommunikation konnte über die Nouvelle Vague gesichert werden. Uns ging es aber nicht darum, etwa Rohmer oder Godard zu imitieren, sondern ein bestimmtes Lebensgefühl, eine Atmosphäre herzustellen, die auch durch möglichst exzessives Rauchen und Trinken vor der Kamera unterstützt werden sollte.
Natürlich ist das Arbeiten mit Michael Haneke Millimeterarbeit, aber das weiß ich ja schon, ehe ich mich darauf einlasse.
profil: Man merkt dem Film das Bemühen um Glamour an. Berger: Das hat aber mit der Realität dieses Paares nichts zu tun. Jolie ist völlig frei von Selbststilisierung. Denn Eitelkeit wäre beim Drehen wirklich störend: Ein Star kommt an, und alle müssen in Faszination verfallen – bei uns war das nicht der Fall. Angelina wollte die Abstufungen ihrer Figur hinkriegen: wie sie von der unnahbar schönen zur verletzlichen und kranken Frau wird. Das mussten wir transportieren, kein Star-Image.
profil: Regisseurin, Autorin, Koproduzentin und Hauptdarstellerin: Fürchteten Sie nicht, dass Jolie eine One-Woman-Show veranstalten würde? Berger: Anfangs ein wenig, aber es war dann überhaupt nicht so. Nur der Drehplan war manchmal chaotisch: Einmal fiel Brad plötzlich eine Woche lang aus, was zu wilden Drehverschiebungen führte. Aber Angelina hat sich über das ganze Unternehmen hinweg eine solche Naivität und Neugierde erhalten, dass ich mich manchmal fragte, wie sie das schaffte – als der clevere Superstar, der sie ja auch ist.
profil: Hatten Sie mehr kreative Freiheiten als bei Haneke, der bekanntlich jede Einstellung präzise festlegt? Berger: Natürlich ist das Arbeiten mit Michael Haneke Millimeterarbeit, aber das weiß ich ja schon, ehe ich mich darauf einlasse. Und in der Bildgestaltung bin ich mit ihm absolut d’accord. Die Genauigkeit ist in der Kunst ein so spannendes Thema, denn sie kann letztlich auch gefährlich einengen. Andererseits ist etwa für einen Musiker Ungenauigkeit undenkbar. Ein bisschen ungenau kann man Bach nicht spielen.
profil: Glenn Gould konnte das. Berger: Der war unkonventionell. Ungenau war er nicht! In unseren Breiten ist dieses „Merkt eh keiner, ist doch egal“ aber leider so populär – und es stimmt ja auch oft, wie die TV-Quoten beweisen. Im Fernsehen kann man sich mit Präzision keineswegs einen Namen machen.
profil: Sie haben in „By the Sea“ viel mit sanften Kamerabewegungen gearbeitet – um der Stagnation, den Lähmungszuständen dieses Paars entgegenzuwirken? Berger: Sicher. Das hat mir Angelina komplett überlassen; auf neue Ideen reagierte sie extrem offen. Und ich konnte mein gesamtes Team aus Österreich mitnehmen, immerhin 25 Leute. Das zeugt auch von dem Vertrauen, das Jolie und Pitt in uns setzten: Sie verstehen unter einem Director of Photography eben den Chef einer wirklich großen Abteilung. Bei uns sagt jeder Kamerastudent im zweiten Semester, er sei DoP. Aber erst in Projekten wie „By the Sea“ lernt man dann, wie viel Verantwortung dahintersteckt.
profil: Die Brangelina-Fans hatten sicher herausgefunden, wo gedreht wurde. War die Abriegelung des Sets ein Problem? Berger: Allerdings. Sogar die Armee war daran beteiligt, die Schaulustigen draußen zu halten. Es gab See- und Luftsperren. Einmal stürzte sogar eine Drohne über uns ab. Offenbar gab es einen Wettbewerb, den eine britische Boulevardzeitung ausgeschrieben hatte: 500.000 Pfund waren ausgesetzt für den, der ein Nacktfoto von Pitt oder Jolie bringen würde. Also kamen sie im Rudel: 20 Fotografen lenkten die Security ab, einer robbte mit entspiegelter Kamera dem Drehort entgegen – wie bei einem Militäreinsatz. Dabei drehten wir keine Nacktszene, die irgendjemand hätte fotografieren können. Als ich Angie von dem ausgesetzten Preisgeld erzählte, meinte sie nur lakonisch, dass wir doch das Foto selbst machen und uns die halbe Million dann teilen könnten.
Zur Person.
Christian Berger, 70, drehte als Kameramann ab 1992 fünf der wichtigsten Kinofilme Michael Hanekes, darunter „Die Klavierspielerin“ (2001), „Caché“ (2005) und „Das weiße Band“ (2009). Neben Kooperationen mit Regisseuren wie Amos Gitai, Luc Bondy und Wolfram Paulus hat Berger auch selbst Filme wie „Raffl“ (1985) und „Mautplatz“ (1994) inszeniert. Außerdem entwickelte er gemeinsam mit Christian Bartenbach ein spezielles Filmbeleuchtungssystem, das inzwischen international eingesetzt wird. Gerade hat er Virgil Widrichs Geistergeschichte „Die Nacht der tausend Stunden“ abgedreht. Die Zusammenarbeit mit Jolie, deutet der gebürtige Tiroler an, könnte fortgesetzt werden. Und auch mit Haneke sei er wieder im Gespräch; möglicherweise werde im Sommer gedreht.