Kultur

Hans Magnus Enzensberger: 1929–2022

Nachruf auf ein Universalgenie.

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Ein großer Unberechenbarer und grandioser Widerborst blieb er bis zuletzt. Als dieses Magazin vor einigen Jahren eine Interviewanfrage an Hans Magnus Enzensberger  richtete, trudelte aus München postwendend folgende Antwort ein: „Zu alt und zu faul, um Interviews zu geben“, mailte Enzensberger. „Früher haben Journalisten selbst geschrieben, jetzt lassen sie die Schriftsteller arbeiten. Selber faul, aber ohne mich.“

Die Welt muss nun ohne Enzensberger weiterwursteln, den Mann der vielen Stimmen, Gesichter und Berufe: Universalgelehrter, Intellektueller, Aufklärer, Freigeist, Essayist, Lyriker, Lektor, Übersetzer, Herausgeber, Biograf, Moralist und Antimoralist, Tadler und Revoluzzer, Zentralgestalt in Deutschlands Geisteslandschaft, beredter Zeuge der Zeit. Das Wort „Autor“ war für Enzensberger stets so unpassend wie einengend. „Gewissen der Nation“, wie ihn die Zeitungen in den 1960er-Jahren nannten, hielt er für eine „hochtrabende, alberne und leere Phrase“. In seinem wunderlich wuchernden Werk, in dem sich kein Roman, aber sonst so ziemlich jede denkbare Form des Schreibens findet, führte Enzensberger den Gedanken ad absurdum, dass sich Bücher streng in Haupt- und Nebenwerke scheiden ließen: 1957 debütierte er im Alter von 28 Jahren mit dem Gedichtband „verteidigung der wölfe“.

„Selber faul, aber ohne mich.“
 

Hans Magnus Enzensberger

Es folgten Bände mit Gedichten („Museum der modernen Poesie“) und Reportagen („Ach, Europa!“), Bücher für Mathematikmuffel („Der Zahlenteufel“) und gegen die Konsum-Religion („Geld“). Eine absehbar noch lange Zeit überwältigende Bücherschwemme, die in jeder Bibliothek viel Platz einnimmt, räumlich, gedanklich, zeithistorisch, ein Atlas lebenslanger Weltverwicklung. „Ein Meer, in dem du lebst, / bis du begraben wirst“, schrieb Enzensberger 2009 in dem Gedicht „Rätsel“. 


Man darf davon ausgehen, dass Enzensberger jener Pressetext, mit dem sein Stammverlag Suhrkamp vergangenen Freitag in gewohnt karger Manier vom Ableben seines Autors informierte, gefallen hätte. „Hans Magnus Enzensberger ist gestern im Alter von 93 Jahren in München verstorben.“ Er hätte wohl, ein letztes Mal, schelmisch gegrinst. PAT

 

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.