Hans Platzgumer: "Ein erbärmliches, pathetisches Scheitern"
Der Himmel ist kreidig-grau, es schneit dicke Flocken. Hans Platzgumer, 46, bubenhafte Gestalt in schwarzem Wintermantel, steht auf der Dachterrasse, sein ausgestreckter Arm folgt der gezackten Linie des Horizonts. Seit elf Jahren wohnt der Schriftsteller und Musiker in der Bodenseegemeinde Lochau. Er erklärt, wo bei klarer Sicht die Leuchttürme zu sehen sind und die Ländergrenzen verlaufen. "Heute muss man sich die Landschaft ausmalen", sagt er.
Gerold Ebner betrachtet die Welt ebenfalls wie durch Milchglas. Ebner, der traurige Held aus Platzgumers neuem Roman "Am Rand", stapft frühmorgens auf den Bocksberg im nahen Bregenzerwald und sucht sich auf einem Felsvorsprung einen Platz zum Schreiben. Er will Zeugnis ablegen, die Niederschrift seines Daseins unter dem Stein hinterlassen. Sein Leben befindet sich buchstäblich im freien Fall. "Ein erbärmliches, pathetisches Scheitern", notiert Ebner.
In meinem früheren Leben, mit Anfang 20, war ich in Amerika ja für gewisse Zeit so etwas wie ein Rockstar.
Platzgumer erweist sich in dem Roman, seinem ersten bei einem großen Verlag, als außerordentlicher Erzähler und Geschichtenfinder. Ebner nähert sich dem völligen Stillstand. "Es gibt praktisch keine Woche, in der ich durchgehend in Vorarlberg bin", sagt dagegen Platzgumer im Schneegestöber. Unterwegs zu sein, ist sein Dauerzustand. Mit 17 hat er Innsbruck verlassen. Er lebte und arbeitete in Millionenstädten, in Berlin, Mexiko-Stadt, New York, Los Angeles, Tokio, Wien, Marseille. "In meinem früheren Leben, mit Anfang 20, war ich in Amerika ja für gewisse Zeit so etwas wie ein Rockstar", sagt er später in der Küche mit dem Kasten voller Teesorten. Als Mitglied der Alternative-Rockband H.P. Zinker wurde Platzgumer 1995 für den Grammy nominiert; mit Projekten wie Aura Anthropica, Queen Of Japan oder als Musiker der Punkband Die goldenen Zitronen lotete er akustische Grenzregionen aus, als Produzent arbeitete er mit dem Hamburger Diskurskollektiv Tocotronic und André Heller.
Irgendwann hat Platzgumer zu zählen aufgehört. An die 100 Alben hat er veröffentlicht und rund 2000 Konzerte gespielt. Die Namen seiner unterschiedlichen Bandprojekte chronologisch aufzuzählen, bereitet ihm einige Mühe. In seinem minimalistisch ausgestatteten Arbeitszimmer hängt an einer Wand ein Regal aus hellem Holz mit Raum für sehr viele CDs, sein Gesamtwerk. Das Klangschwebewerk "Miniaturen" hat keinen Platz mehr an der Wand. "Das ist definitiv meine letzte CD. Mehr wird es nicht geben", sagt Platzgumer.
Ich dachte noch: Jetzt haben wir die Menge endlich geknackt.
"Tod der CD!" So hieß bereits sein erstes Album, das er 1987 veröffentlichte. In seinem autobiografischen Bucherstling "Expedition" (2005) hat er seine lange Reise als Undergroundmusiker dokumentiert. Er fuchtelt eckig mit den Händen, man spürt das Rastlose in ihm, das Impulsive. "Ich mache keine halben Sachen, selbst wenn es dann, wie bei der Produktion von , Miniaturen', elf Jahre lang dauert, bis etwas fertig ist." Spricht er über Musik und Literatur, seine Karate-Leidenschaft oder den Teegenuss, taucht früher oder später der Begriff "fanatisch" auf. Es gibt einiges, das er künstlerisch obsessiv betreibt, ohne dabei auf Marktgängigkeit und Kommerztauglichkeit zu schielen. Vielleicht hängt damit sein Ruf als interdisziplinärer Vielarbeiter zusammen: In der Musik hat er erfinderisch zig Stilrichtungen durchdekliniert, im Schreiben unterschiedliche Tonlagen erprobt. Wenn er Tee anbietet, verwandelt er sich für einen Moment in einen Kellner, der die Getränkekarte referiert. "Viele scheinen verwirrt, wenn sie andere nicht einordnen können", sagt Platzgumer. "Einer, der Musik macht, kann gemäß dieser Logik kein guter Autor sein - und umgekehrt. Ich aber mache Musik und schreibe Bücher. In der Malerei oder als Regisseur bin ich hingegen nicht begabt."
Platzgumer spricht auch gern darüber, dass sein Weg von Misserfolgen und Rückschlägen gezeichnet gewesen sei. Er hat für seine Niederlagen eine parabelhafte Geschichte parat, die auch von einem tiefen Fall handelt. Mit 15 gab er sein bis heute bestbesuchtes Konzert. Er spielte in einer Jugendband, die als Vorgruppe einer italienischen Sängerin auftrat. 35.000 Menschen im Stadion, Innsbruck, Juli 1985, ein Sommertag, Schulabschluss. Platzgumer, das Gesicht hinter einem Haarvorhang verborgen, quälte auf offener Bühnen die Saiten seiner Gitarre, fieberte dem Ende des Auftritts entgegen. Dann aufbrausender Applaus. "Ich dachte noch: Jetzt haben wir die Menge endlich geknackt." Als er aufsah, drehte ihm das Publikum den Rücken zu. Im hinteren Teil des Stadions waren Fallschirmspringer gelandet.
Hans Platzgumer: Am Rand. Zsolnay, 207 S., EUR 20,50