Schauspielerin Vicky Krieps in Bergman Island.

Hansen-Løve: „Bergmans Filme sind so grausam wie er selbst“

Muss man sich noch um seine Kinder kümmern, wenn man lieber Kunst machen will? Ein Gespräch mit der französischen Filmemacherin Mia Hansen-Løve.

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Mia Hansen-Løve, 40,

startete ihre Karriere noch als Teenager: 1998 übernahm sie eine Nebenrolle in Olivier Assayas’ Film „Ende August, Anfang September“. Seit 2003 arbeitet die gebürtige Pariserin als Regisseurin und Autorin, von Anfang an hochgelobt und vielfach ausgezeichnet. 2007 erschien ihr erster Langfilm, „Tout est pardonné“, 2009 das Filmbusiness- und Familiendrama „Der Vater meiner Kinder“. Hansen-Løves stille Studie der Neuordnung eines Frauenlebens, „Alles, was kommt“ (2016), versorgte Isabelle Huppert mit einer ihrer stärksten Rollen. „Bergman Island“ (2021), seit ein paar Tagen in österreichischen Kinos zu sehen, ist bereits der siebente Spielfilm der Künstlerin.

In dem Film „Bergman Island“ wird, trügerisch simpel, eine kompliziert verschachtelte Geschichte erzählt, die auf der schwedischen Insel Fårö spieltan jenem Schauplatz, den der mythisch verehrte Regisseur Ingmar Bergman einst als Dreh- und Rückzugsort genutzt hatte. Ein Filmemacherpaar (gespielt von Tim Roth und Vicky Krieps) verbringt eine sommerliche Residency dort, um zu schreiben und auf den Spuren Bergmans zu wandeln. Regisseurin und Autorin Mia Hansen-Løve lässt die filmhistorische Aura des Ortes einerseits in die Lebenswirklichkeiten und Fantasien ihres Duos, andererseits in die eigene kreative Arbeit am Kino spielen. So entsteht ein selbstreflexives Spiegelkabinett, das von vielem zugleich erzählt: von Tourismus, Beziehungsproblemen, Schreibblockaden und den wandelbaren Identitäten jener körperlosen Gestalten, die wir über die Kinoleinwände huschen sehen.

profil: Frau Hansen-Løve, Sie erliegen der naheliegenden Versuchung, einen Film im Stil Bergmans zu drehen, keineswegs.

Mia Hansen-Løve: Man kann da allerdings viele thematische Verbindungslinien zu Bergmans Werken finden. Aber ich habe nie versucht, ihn zu imitieren, weder stilistisch noch visuell. Mein Film bewegt sich auch in ganz andere Richtungen, ist viel weniger pessimistisch. Ich bewundere Bergman grenzenlos, was immer man über sein Privatleben sagen will.  

profil: Nebenbei denken Sie aber durchaus auch über Ingmar Bergmans angeblich dubiosen Charakter nach. Ist es so einfach, einen Künstler von seinem Werk zu trennen?

Hansen-Løve: Für mich schon. Ich weiß, nicht alle sehen das so. Natürlich beeinflusst die Persönlichkeit dein künstlerisches Schaffen. In jedem großen Werk gibt es lichte und dunkle Anteile, genau wie in jedem Menschen. Aber es geht eher darum, wie ehrlich und wahrhaftig ein Werk ist, nicht um die Frage, wie viel an guten Absichten drinsteckt. Bergmans Arbeit ist maximal aufrichtig und präzise. Die Art etwa, wie er sich selbst in seinen männlichen Helden darstellt, ist alles andere als beschönigend. Er hat einen fast grausamen, luziden Blick auf sich. Er tut nicht so, als wäre er der gute Mensch, nehmen Sie nur den Protagonisten in „Szenen einer Ehe“. Und ich kann doch ein Werk nicht nur dann schätzen, wenn es von einem netten Menschen hergestellt wurde. Es geht um künstlerische Integrität. Und die besitzt Bergman im Überfluss. Seine Filme sind so grausam wie er selbst. Und wie kann man denn Leben und Kunst überhaupt trennen? Wir kennen doch die Menschen hinter den Kunstwerken in aller Regel gar nicht. Meist hören wir nur Gerüchte, unbewiesene Behauptungen.

profil: Aber Sie nehmen die Geschichten, wie rücksichtslos sich Bergman gegenüber seinen Frauen und Kindern verhielt, doch explizit in Ihre Filmdialoge.

Hansen-Løve: Weil diese Frage mich sehr interessiert! Als weibliche Kreative kann man Alltagsleben und Kunst nicht so einfach vereinbaren, wie das Männer seit Jahrhunderten gemacht haben. Ich bin jeden Tag mit der Schwierigkeit konfrontiert, zugleich Filmemacherin, Autorin und Mutter zu sein. Ich finde das superschwierig, denn ich will auch meine Kinder gut betreuen. Bergman war das offenbar völlig egal. Und es ist spannend, darüber nachzudenken, ohne über Bergman gleich zu richten. Ich liebe und bewundere ihn, bin sicher auch neidisch darauf, dass er neun Kinder haben und sich nur um sein eigenes Zeug kümmern konnte. Ich befrage mich lieber selbst: Kann ich Filme machen, die ebenso tief und ehrlich wie jene Bergmans sind, und trotzdem meine Kinder großziehen? Oder ist das eine mission impossible?

profil: Wie fassten Sie diesen Film ins Auge?

Hansen-Løve: Ich hatte vor Jahren die Idee, einen Film über Berufung und Inspiration zu machen. Ich wollte ein Paar zeigen, das Filme macht, von künstlerischer Emanzipation erzählen. Diese Idee hegte ich lange, bevor es ein Film wurde. Dann traf sie sich mit Fårö, das erst setzte die Fiktionsmaschine für mich in Gang. Manchmal hat man eine Idee, etwas liegt in der Luft, aber es braucht erst eine Flamme, um Gestalt anzunehmen zu werden, zu einer Story zu werden.

profil: Reisen Sie selbst auch an solche idyllischen Orte, um zu schreiben?

Hansen-Løve: Ich reiste jedenfalls nach Fårö, um diesen Film zu schreiben, während des Sommers. Am Land, fern von Paris und all den Ablenkungen dort fällt es mir leichter zu schreiben, aber ich kann mir das nicht oft leisten. Ich habe selbst als Kind jeden Sommer in den Bergen verbracht, in Haute-Loire, und Fårö hat für mich damit viel zu tun. Es gibt dort eine ähnliche Stille. Es war eine Einladung zu träumen, zu meditieren, das hat meine Imagination angefacht.

profil: Das Drehbuchschreiben ist für Ihre Heldin eine „Agonie“, wie sie sagt. Ist das für Sie auch so?

Hansen-Løve: Manchmal, ja. Als ich anfing zu schreiben, war es wirklich quälend. Ich wollte früher einfach nur literarisch arbeiten. Ich hatte aber ständig Ängste, nicht die richtigen Worte und Formen zu finden. Ich war, glaube ich, einfach nicht talentiert genug. Drehbücher zu schreiben befreite mich. Ich hatte einen Weg gefunden, mich auszudrücken. Aber es blieb für mich ein komplizierter Prozess. Seltsamerweise fiel es mir leichter, „Bergman Island“ zu schreiben, als jeden anderen Film. Das ist paradox: So hart es für meine Heldin ist, so amüsant war es für mich.

profil: Wie autobiografisch ist „Bergman Island“ denn? Sehen Sie sich selbst in dieser Figur?

Hansen-Løve: Natürlich. In all meinen Filmen findet viel von mir selbst. Das hat mehr mit Sinn zu tun, weniger mit den Fakten. Ich reiste etwa immer allein nach Fårö, und kaum etwas, das in dem Film vorkommt, ist mir selbst passiert, am Ende ist alles eine Wiedererfindung. Aber der Ursprung dieser Story und ihre Emotionen, wovon sie wirklich handelt unter der Oberfläche, das ist extrem persönlich und intim.

profil: Sie wollten mit „Bergman Island“ Inspiration und Schöpfung untersuchen. Ist Ihnen das Geheimnis der Kreation nun klarer geworden?

Hansen-Løve: Der Film half mir sehr. Ich glaube zwar nicht, dass mir das Schreiben nun leichter fallen wird. Die Schwierigkeiten und Ängste bleiben. Aber der Film zeigte mir, dass ich in weniger klassisch realistischem Tonfall erzählen konnte. Hier habe ich mir erstmals erlaubt, die Dinge spielerischer, offener zu formulieren. Es ist ein Spiel mit verschiedenen Zeit- und Wirklichkeitsebenen. Ich konnte ebenso ehrlich und wahrhaftig sein, obwohl ich nicht wirklich realistisch arbeitete. Der Zauber des Ortes und Bergmans Einfluss öffneten Tore für mich.

profil: Warum verfilmen Sie nicht auch die Drehbücher anderer? Wollen Sie nur eigene Stoffe inszenieren?

Hansen-Løve: Das frage ich mich selbst seit Jahren. Ich bin so erschöpft; es wäre so entspannend, sich auf ein großartiges Drehbuch, das mir überreicht wird, verlassen zu können. Aber anders als andere Regisseure kann ich die Prozessstufen eines Films, vom Buch bis zum Schnitt, nicht getrennt sehen. Für mich ist das eine kontinuierliche Bewegung.

profil: Es klingt eigenartig, dass Ihnen ausgerechnet das Drehbuch zu dieser labyrinthischen Film-im-Film-Erzählung, der Story eines Filmemacherpaars, die sich auf einen legendären Filmemacher ebenso wie auf Ihre eigene künstlerische Geschichte bezieht, besonders leicht gefallen sein soll.

Hansen-Løve: Ja, wie ich sagte, ich fand es auch paradox. Diese Komplexität ergab sich aus meiner jahrelangen Suche nach der Frage, wie das Schreiben, wie Kino, Schöpfungsakte überhaupt funktionieren. Während ich darauf Antworten fand, ergab sich eine Komplexität, nach der ich gar nicht gesucht hatte. Filmemachen ist für mich genau das: die Konfusion von Kino und Leben.

profil: Waren nicht zumindest die Dreharbeiten ungeheuer kompliziert? Ihre geplante Hauptdarstellerin Greta Gerwig sprang 2018 sehr kurzfristig ab, als Sie schon in Fårö waren, und Tim Roth kam erst ein ganzes Jahr später dazu?

Hansen-Løve: Das war echt verrückt. Es gab viele Momente, in denen wir dachten, dieser Film werde niemals zu realisieren sein. Aber ich liebte diesen Ort so sehr, dass mich der Dreh trotz allem glücklich machte. Man konnte dort nicht viel anderes tun als nachdenken, träumen und gestalten. Das ist mein Ideal zu leben. Filmemachen ist für mich ebenso sehr eine Lebenskunst wie eine Kunst.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.