Der Freizeitpark als Ego-Shooter

TV-Serie „Westworld“: Der Freizeitpark als Ego-Shooter

Die neue HBO-Serie „Westworld“ zeigt Mord und Totschlag im Freizeitpark

Drucken

Schriftgröße

Der Wilde Westen ist ein Idyll. Saftige Gräser, bilderbuchartige Natur, eine Westernstadt in rauer Schönheit. Dazu aufregende Menschen, so weit das Auge reicht; wilde Kerle und Trunkenbolde, leichte Mädchen und bezaubernde Frauen. Jeden Morgen erwacht Dolores (Evan Rachel Wood) in ihrem Prinzessinnenbett, schlüpft in ihr kornblumenblaues Kleid und macht sich auf den Weg Richtung Westernstadt. Am Fluss will sie später Wildpferde malen. Sie verabschiedet sich noch von ihrem Pfeife rauchenden Vater, der gemütlich auf der Veranda des Familienanwesens sitzt und den ruhigen Morgen genießt. Dass Vater und Tochter später einem grausamen Verbrechen zum Opfer fallen werden, können die beiden noch nicht wissen.

„Westworld“, die neue Prestige-Serie des US-Senders HBO, setzt da an, wo die menschliche Moral aussetzt. Die von Jonathan Nolan, dem Bruder von Christopher Nolan („Batman“), inszenierte Serie, geht der Frage nach, was passieren würde, wenn sich ein von lebensechten Robotern bevölkerter Vergnügungspark in ein Wildwest-Schlachthaus verwandelt. Der gelangweilte Städter, der hier seinen Wildwest-Traum gegen gutes Geld ausleben darf, gibt sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr mit gemütlichem In-der-Gegend-Herumreiten, Fliegenfischen und Im-Saloon-Sitzen zufrieden. Ein Freizeitpark als realer Ego-Shooter, in der ein Wissenschafter (eiskalt verkörpert von Altstar Anthony Hopkins) Gott des Gemetzels spielt? Hier sind Sie richtig!

So weit, so erschreckend: Die Androiden werden von den so genannten „Newcomers“ nach Herzenslust missbraucht, verstümmelt und pervers um die Ecke gebracht. Was die naiven Roboter nicht wissen: das passiert hier jeden Tag aufs Neue. Eine Frage wirft die Serie bereits in der Pilotfolge auf: Ist das perverse Spiel vielleicht gar nicht so schlimm? Immerhin sind die Darsteller des Vergnügungsparks keine richtigen Menschen, sondern nur lebensechte Roboter, die jede Nacht von den Westworld-Mitarbeitern wieder zusammengeflickt und rebootet werden. Am nächsten Morgen können sich die Maschinenmenschen nicht an die Gräueltaten erinnern.

Eines ist hier aber von der ersten Minute an klar: Das tägliche, freudige Gemetzel wird nicht ohne Folgen bleiben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Menschmaschinen ein Bewusstsein entwickeln und sich an die Verbrechen, die ihnen widerfahren sind, erinnern können. Rachegedanken inklusive.

Autor und Regisseur Michael Crichton („Jurassic Park“) malte sich bereits vor vier Jahrzehnten aus, wie erlebnissüchtige Durchschnittstypen in einem futuristischen Freizeitpark zu mordenden Horden werden. Schießereien und Vergewaltigungen, Mord und Totschlag wurden bereits in der gleichnamigen Kinovorlage am laufenden Band zelebriert. Gut möglich, dass diese perfide Zukunftsphantasie in den 1970er-Jahren noch eine Spur weiter vom Zuseher entfernt schien. Heute, in Zeiten von virtual und augmented reality, scheint diese Dystopie nur noch einen Fingerzeig entfernt. Dieser Gedanke lässt die zehnteilige Serie (eine zweite Staffel ist bereits in Planung) nicht nur authentischer, sondern erschreckender wirken. Die Serienschöpfer, neben Nolan ist auch „Lost“-Erfinder J. J. Abrams mit von der Partie, rollen das Thema mit erzählerischer Tiefe aus.

Für den US-Bezahlsender HBO dürfte sich das thematische Wagnis aber gelohnt haben. Bereits über 12 Millionen Zuseher hat die erste Staffel vor die Endgeräte gelockt. „Westworld“ entwickelt sich mit Stars wie Wood, Hopkins und Ed Harris zum möglichen „Game of Thrones“-Nachfolger. Die vielprämierte Fantasy-Reihe geht heuer in die vorletzte Staffel.

„Westworld“ startet am 2. Februar auf Sky Atlantic (wahlweise auf Deutsch oder Englisch).

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.