Pop

Hedonismus und Höllenfahrt: Neues Album des kanadischen Musikers The Weeknd

Die ausufernde Abschiedsvorstellung des R’n’B-Pop-Superstars The Weeknd trägt den Titel „Hurry Up Tomorrow“. Das Ende einer Ära? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das letzte schmutzige Wort noch nicht gesungen wurde.

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Abel Tesfaye ist müde, er ist erschöpft. Und er ist es irgendwie auch leid. Das lässt er auf „Hurry Up Tomorrow“, seinem sechsten und vermutlich finalen Studioalbum als The Weeknd, dem Alter Ego, unter dem er zum globalen Popstar wurde („Blinding Lights“ ist der meistgestreamte Song ever auf Spotify), wiederholt wissen. Vielleicht als Einstimmung auf den gleichnamigen Thriller, der im Mai erscheinen wird, taumelt der Kanadier hier gleich in Spielfilmlänge durch die Ruinen einer Popstar-Existenz, führt ausgiebig Klage über die Fallgruben, die monumentaler Ruhm mit sich bringt. Ein goldener Käfig bleibt immer noch ein Käfig. Und das Fame-Monster kriegt alle – selbst die Rechtschaffenen.

Wobei der Begriff rechtschaffen hier in die Irre führt: The Weeknd war von Anfang an als gewollt schmieriger Bad Boy angelegt, der sich zwischen Hedonismus und Höllenfahrt einst aufmachte, mit halbseidenem Faden unheilvolle Moritaten aus der glitzernden Pracht der ewigen Partynacht zu stricken. Als Zeremonienmeister einer libidinösen Endzeitstimmung entwarf Tesfaye Schwermuthymnen für Stadien und verkaufte Selbstzerstörung selbst dann noch als Segen, wenn das eigene Ich nicht mehr zu spüren war. „Ich hätte nüchtern sein sollen, aber ich kann es mir nicht leisten, langweilig zu sein“, heißt es nun halbwegs einsichtig in einem Song – eine Erkenntnis, für die Beerdigung dieser Kunstfigur aber ohnehin viel zu spät kommt: „I just wanna die when I'm at my fuckin' peak“.

Doch bis es so weit sein wird, schwebt Tesfaye abermals mit federleichtem Falsett über seinem markanten Klangkoordinatensystem aus bombastischem Disco-R’n’B-Pop und dräuenden Synthie-Soundscapes: eine mitunter anregende, auf Langstrecke aber auch anstrengende Abfolge von Vegas-Verheißung und Noir-Absturz, aus der man nie ganz schlau geworden ist – und wohl auch nicht mehr wird. Dass Giorgio Moroder als Impulsgeber und Sample-Quelle für dieses Werk diente, scheint hingegen völlig plausibel. Schließlich könnte man sich The Weeknd auch als einen jener Antihelden aus den Hochglanzdramen der 80er Jahre („American Gigolo“, „Scarface“) vorstellen, die der Südtiroler Godfather of Disco vertonte: ein Lothario zwischen Luxus und Leere, auf ewig gefangen in der selbstgeschaffenen Endlosschleife aus Exzess und Reue. Das Ende einer Ära? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das letzte schmutzige Wort noch nicht gesungen wurde.