Heimatpflege-Notstand: Wie geht es nach dem steirischen Kultur-Eklat weiter?
Ein Teenager in knielanger Lederhose springt hoch in die Luft, die Arme und Beine abgespreizt, als wär’s eine Hommage an das umstrittene Plattencover, mit dem der Grazer „Volks-Rock’n’Roller“ Andreas Gabalier 2011 in seltsam verhakter Pose die Welt irritierte. Vom umstehenden Publikum, die Damen im Festtagsdirndl, wird die Akrobatik bestaunt, unter dem Buben halten sechs Burschen und Männer, ebenfalls in steirischer Tracht, das hölzerne Plateau empor, das jenem offenbar als Absprungbasis dient. Darüber der Schriftzug: „Kunst, Kultur & Brauchtum“. Dieses ganzseitige Foto eröffnet das Kulturkapitel des zwischen FPÖ und ÖVP Steiermark geschlossenen Regierungsübereinkommens vom 19. Dezember 2024. Versuch eines Himmelssprungs in regionaler Mode.
Auf lediglich zweieinhalb Seiten, die mit „Tradition und Moderne sind gleichberechtigt!“ überschrieben sind, wird anschließend die kulturelle Weltsicht der steirischen Landesregierung skizziert: Es müsse Aufgabe der Politik sein, „Kunst und Kultur zu pflegen, zu schützen und zu ermöglichen“. Erste Eindrücke davon, wie die Koalition unter Landeshauptmann Mario Kunasek (FPÖ) Schutz und Ermöglichung definiert, konnte die steirische Gegenwartskulturszene in den vergangenen drei Monaten gewinnen: Budgetkürzungen, Ablehnungen und Rückbau, so weit das Auge reicht – und das 15-köpfige Kulturkuratorium, das als zentrales Gremium eigentlich künstlerische Expertise einzubringen und Förderungsempfehlungen auszusprechen hat, wurde vor wenigen Wochen streng politisch neu besetzt. Seither schlagen die Wogen hoch, denn dort sitzen nun, entsandt von der FPÖ, tatsächlich auch geschichtsrevisionistische, identitäre und extrem rechte Kräfte, denen man ein zeitgemäßes Kulturverständnis eher nicht unterstellen kann.
Große Feierlaune wird, wenn am Donnerstag kommender Woche das Grazer Austro-Filmfestival Diagonale eröffnet wird, nicht aufkommen können. Denn die Steiermark scheint dieser Tage zum politischen Testfall zu werden – was auf Bundesebene letztlich scheiterte, kann dort nun im Regionalen beobachtet werden: Eine von der FPÖ geführte Regierung beginnt mit der eiligen Demontage kultureller Mindeststandards. Erste massive Einschnitte sind bereits festzustellen, auch wenn Karlheinz Kornhäusl (ÖVP), der seit Dezember amtierende Landesrat für Gesundheit, Pflege und Kultur, sich weiterhin – trotz der von ihm konstatierten „angespannten budgetären Situation“ – in Optimismus übt.
„Ich werde um jeden Cent für Kunst und Kultur kämpfen“, erklärt er im Interview mit profil. „2019 hatten wir ein Kulturbudget von knapp über 60 Millionen Euro, derzeit verfügen wir über knapp 81 Millionen: Das ist eine Steigerung von 35 Prozent innerhalb von fünf, sechs Jahren.“ Da der Löwenanteil des Budgets aber in die großen Institutionen, ins Universalmuseum Joanneum und in die Bühnen Graz, auch in den steirischen Herbst und das Kunsthaus fließen müsse, sei „die Situation in der freien Szene besonders sensibel, auch existenzbedrohend, das ist mir klar. Wir müssen diese Szene unterstützen, monetär und nichtmonetär.“
„Kostendämpfung“?
Derzeit arbeite das Land Steiermark „mit einem Budgetprovisorium, die Zahlen aus 2024 sind fortgeschrieben für 2025“. Zum Sparen an der Kultur mag der ausgebildete Mediziner sich nicht bekennen, er spricht lieber, klassisch euphemistisch, von einem „Kostendämpfungspfad“, den es zu beschreiten gelte. Man sei „mittendrin in diesem Budgetprozess“. Es habe hohe Steigerungen in der Kultur gegeben, „und es wird in meinen Bemühungen, wirklich jeden Cent zusammenzukratzen, darum gehen, den Status quo halbwegs zu erhalten. Ich kann aber nur Geld ausgeben, das ich habe. Diese Mittel muss ich fair, besonnen, mit Augenmaß einsetzen.“
Edith Draxl, Gründerin und Leiterin des Kulturvereins UniT, war bis Ende Februar 2025 Vorsitzende des steirischen Kulturkuratoriums. Obwohl ihre Funktionsperiode bis Ende Dezember 2026 veranschlagt war, enthob die neue Landesregierung sie mit sofortiger Wirkung ihres Postens. Draxl stellt fest: „Es stehen heuer, im Vergleich zu den beiden Vorjahren, nachweislich weniger Kulturmittel zur Verfügung. Die Fördersummen, die 2024 für Jahres- und Projektansuchen gewährt wurden, belaufen sich auf rund 2,5 Millionen Euro. Dem stehen dieses Jahr 1,4 Millionen Euro gegenüber – zudem große Kürzungen zwischen zwölf und 70 Prozent beziehungsweise Förderabsagen.“
Was genau plant die neue steirische Regierung also? Im eingangs zitierten Arbeitsübereinkommen schwirrt es, wenig überraschend, vor Vokabeln wie Heimat, Tradition, Brauchtum und Volkskultur. Die kulturpolitischen Agenden wollen sich Kunasek als „Volkskulturreferent“ und Landesrat Kornhäusl als „Kulturreferent“ fein säuberlich teilen. Eine Passage im Koalitionsprogramm lässt diese Zweigleisigkeit anklingen: Man lege „Wert auf ein ausgeglichenes Förderverhältnis zwischen der Volkskultur und den allgemeinen Kulturförderungen beziehungsweise der freien Szene“, denn „zahlreiche Trachtenvereine, Musikkapellen und andere Brauchtumsvereine leisten großartige Arbeit und setzen sich dafür ein, Traditionen und althergebrachte Bräuche auch an nachkommende Generationen weiterzugeben“.
Der erste Punkt der gemeinsamen Vorhaben: „Das Land Steiermark bekennt sich zur Heimatpflege durch die Bewahrung landestypischer Bräuche und Traditionen. In die Landesverfassung soll die Landeshymne, das ,Dachsteinlied‘, aufgenommen werden.“ Die Punkte drei bis fünf lauten: „Erhöhung der Förderungen für heimische Brauchtums-, Musik- und Gesangsvereine“, „Ausrufung eines ,Jahrs der steirischen Volkskultur‘“ und „Aufwertung der Volkskultur“. Die „Stärkung der Museenlandschaft“, schon ihrer Größe und überregionalen Wirkung wegen nicht ganz unwesentlich, folgt erst im elften Punkt.
Eine simple Rechnung liegt alldem zugrunde: Wer angesichts ohnehin schwindender Budgets noch verstärkt die Volkskultur fördern will, wird am Rest des kulturellen Felds den Rotstift ansetzen müssen.
Die Kulturanthropologin Lidija Krienzer-Radojevic ist seit 2018 Geschäftsführerin der IG Kultur Steiermark. Es ist für sie das erste Mal, dass ihr Lobbyismus für Kunst und Kultur zur Überlebensstrategie wird. „Wir befinden uns in einer äußerst prekären Lage“, sagt Krienzer-Radojevic im profil-Gespräch: Es zeichne sich deutlich ab, dass das derzeitige Kulturbudget das Niveau der Förderungen 2024 nicht halten können werde, ganz zu schweigen von der ausbleibenden Inflationsanpassung. „Vor dem Hintergrund, dass das Land selbst ein schweres Budgetdefizit sanieren muss, lässt sich für die nähere Zukunft nur mehr Besorgniserregendes vermuten.“ Laut einer Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung sind in der Steiermark rund 11.600 Menschen in den Bereichen Kunst und Kultur tätig. In der Alltagspraxis, so Krienzer-Radojevic, seien die Kulturgrenzen porös, werde das Gemeinsame vor das Trennende gestellt. „Wir können und wollen Volkstanz, Blasmusik, Performances, Konzerte, Avantgardekunst nicht auseinanderdividieren.“