"Rausch" von Helene Fischer: Eurotrash und Blütenstaub
Da liegt es also: das Doppelalbum „Rausch“, 24 Lieder, neongrelles Cover-Artwork, eine Stunde und 23 Minuten Spielzeit. Der Selbstversuch mit Helene Fischer überfordert bereits, bevor man sich – „Volle Kraft voraus“ – in die erste Nummer wirft. Im großen Spannungsbogen zwischen Pop, Schlager, Eurotrash und Samstagabend-Show ist Helene Fischer, 37, seit Jahren nicht zu fassen. Nach der spanischen Aufwärmübung „Vamos a Marte“ mit Duettpartner Luis „Despacito“ Fonsi, klatscht Fischer vom Musical-Balkon aus dem systemrelevanten Corona-Personal in „Engel ohne Flügel“ Beifall.
Weiter zu Song Nummer acht, wo wir eine leise Vorahnung bekommen, dass sich der versprochene Rausch wohl eher nicht einstellen wird. Songtitel: „Wann wachen wir auf“, im Vorfeld von kruden Corona-„Querdenkern“ zu deren neuer Hymne hochstilisiert, ist eher ein unpolitischer Weckruf; die Gesellschaft möge in schwierigen Zeiten doch bitte zusammenzuhalten.
Während man es sich in dieser fidelen Helene-Schwammigkeit („Liebe ist ein Tanz“) erst so richtig gemütlich gemacht hat, entführt uns „Zuhaus“, fast schon protestsongmäßig, in eine Naturidylle mit Kinderchor und Blütenstaub: „Ich bin dein Zuhaus / Passt du auf mich auf?“, singt Fischer und meint, zwischen universellen Floskeln und Bedeutungsuneindeutigkeit, wieder alles und nichts. Am Ende fühlt man sich überraschend abgeholt und nüchtern: „Rausch“ ist die große Identifikationsfläche 2021, ein Platz für Sorgen, Gefühle und Ängste jeglicher Art.
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