Herbert Grönemeyer: "Feuer machen, bis die Masse aufwacht!"
Der langjährige profil-Chefredakteur Sven Gächter ist im Alter von 60 Jahren gestorben. Aus diesem Anlass bringen wir einige Texte aus dem Archiv. Dieser Text ist in profil 44/99 vom 30. Oktober 1999 erschienen.
profil: Herr Grönemeyer, Sie haben mit politischen Statements nie hinterm Berg gehalten und insbesondere aus Ihrem tiefen Überdruss an der Politik von Helmut Kohl nie ein Hehl gemacht. Dann kam die Wende. Sind Sie nach einem Jahr rot-grüner Regierung in Deutschland auch vom allgemeinen Blues befallen?
Grönemeyer: Ich glaube, man erwartet einfach zu viel. Das geht alles nicht so schnell. Wir befinden uns nach der Wiedervereinigung immer noch am Punkt null. Die Sprachlosigkeit zwischen Ost und West wird immer ausgeprägter. Auch ein echtes Demokratieverständnis ist in Deutschland noch nicht vorhanden. Da gibt es einfach keine simplen Antworten. Dazu kommt, dass mit Schröder ein Mann ohne Ideen angetreten ist, ein Medienzampano, der händeringend nach Leuten sucht, die ihn mit Ideen versorgen können, und sich zum Teil mit Figuren umgeben hat, die auch im Management für Boxveranstaltungen sein könnten.
profil: Oder vielleicht in den PR-Abteilungen von Pop-Labels?
Grönemeyer: Ja, das ist alles Pop. Auch Helmut Kohl war Pop. Der hat die meisten Platten verkauft, den fanden alle klasse - sogar Gerhard Schröder. Ich war mit Schröder einmal zu Gast in der Fernseh-Talkshow von Alfred Biolek; nach der Sendung saßen wir noch zusammen, und er sagte zu mir, er finde den Kohl gigantisch. Ich dachte, ich höre schlecht. Schröder hat Kohl ganz genau studiert, nur dabei leider vergessen, dass der, so fatal ich ihn ja fand, ein Konzept hatte, auch ein Machtkonzept. Das hat Schröder nicht. Er versucht es durch seine Medienwirksamkeit zu ersetzen. Aber das reicht natürlich nicht. Mittlerweile fühlen sich die Leute, speziell im Osten, von diesem Medientrallala einfach verschaukelt.
profil: Interessiert Schröder sich überhaupt für Menschen jenseits der Medienmeile?
Grönemeyer: Er findet es erst mal ganz toll, dass er Kanzler geworden und endlich in den Charts ist. Aber seine Platte ist leider ziemlich öd, weil er schlechte Produzenten hat. Der eine Co-Produzent, den er hatte, Lafontaine, hat während der Produktion das Handtuch geschmissen und schießt ihm jetzt auch noch ins Knie. Nicht dass ich ein Fan von Lafontaine wäre, aber zumindest hatte er eine Idee für die Platte. Jetzt steht Schröder allein da, kann kein Instrument spielen und versucht krampfhaft, eine Band zusammenzustellen. Gleichzeitig steht er vor der Kamera und singt. Aber seine Musik berührt die Leute nicht. Kohl hatte vielleicht eine Scheißband - Schröder hat gar keine.
profil: Wie bewerten Sie den österreichischen Popstar Jörg Haider?
Grönemeyer: Der weiß ganz genau, was Pop ist. Vor Jahren gab es mal einen Fragebogen in der "Wienerin": Da hat sich Haider mit nacktem Oberkörper fotografieren lassen - ein richtiges Leni-Riefenstahl-Foto. Und wissen Sie, wen er als seinen Lieblingssänger genannt hat? Grönemeyer! Der kennt nix. Wenn sich auch in Deutschland so eine Figur am rechten Rand etablieren würde, die würde ganz schnell in die Charts gehen.
profil: Erschreckt es Sie, von einem Mann wie Jörg Haider umarmt zu werden?
Grönemeyer: Da steckt System dahinter, das ist clever, knallhartes Pop-Marketing. Haider hat das begriffen und weiß genau, welche Register er ziehen muss. Wenn Leute wie Haider sagen, sie hören Grönemeyer, dann versuchen sie, den an sich hohlen Begriff Pop mit einer bestimmten Ideologie zu unterfüttern - genauso wie Hitler das schon gemacht hat. Auch der ganze Faschismus war Popkultur: die Musik, die Filme, die Paraden, die Klamotten, die Erotik. Deshalb haben wir Deutschen bis heute ein angeknackstes Verhältnis zu Pop.
profil: Werden angesichts solcher Übergriffe altmodische Konzepte wie Pop und Widerstand wieder relevanter?
Grönemeyer: Ich gehöre schon so lange zum deutschen Pop-Establishment, dass sich irgendwann natürlich die Frage stellt, ob man überhaupt noch nervös und reizbar und unbequem sein kann. Trotz aller Popularität, trotz all des Geldes, das man verdient, sollte aber immer ein Stück Unberechenbarkeit bleiben. Da muss ein Sprengsatz drin sein. Man muss so lange Feuer machen, bis die Masse aufwacht. Jeder Widerstand ist wichtig, egal, wie klein er ist. Das gilt für mich nach wie vor.
profil: Ihre letzte Platte "Bleibt alles anders" wurde voriges Jahr jedoch als Ihre bislang privateste rezipiert. War das Absicht?
Grönemeyer: Ich gehe nie mit einem Konzept an eine Platte heran. Ich schreibe aus meiner momentanen Situation heraus und merke manchmal erst viel später, was ich eigentlich geschrieben habe. Das erschreckt mich selber zum Teil.
profil: Sie haben Ihre Privatsphäre immer sehr rigoros verteidigt. Durch die Ereignisse vor einem Jahr - den Tod Ihres Bruders und kurz darauf Ihrer Frau - wurde Herbert Grönemeyer schlagartig zum Thema für den Boulevard, wenn auch kein Skandal- und Schmuddelthema.
Grönemeyer: Das war nicht zu verhindern, wobei es in diesem Fall halbwegs respektvoll abgelaufen ist. Mit Medien umzugehen ist grundsätzlich genauso schwierig, wie mit Erfolg umzugehen. Man ist für das Ergebnis aber immer auch selber mitverantwortlich. Wenn man sich preisgibt, darf man sich hinterher nicht wundern, dass man eins in die Fresse kriegt. Ich habe mich nie zum Verheizen preisgegeben.
profil: Wie lange haben Sie nach den beiden Schicksalsschlägen gebraucht, bis Sie wussten, dass Sie weiter Musik machen würden. Oder stand das gar nie außer Frage?
Grönemeyer: Es steht immer noch in Frage. Ich mache ja im Moment nichts anderes, als Vergangenes aufzubereiten, sei es durch Konzerte, sei es durch ein Projekt wie "Pop 2000" (siehe Kasten rechts). Wie sich meine Musik weiterentwickeln wird, ob ich überhaupt irgendwann wieder den Hunger finden werde, weiß ich noch nicht. Vielleicht wird es Jahre dauern. Im Moment bewege ich mich einfach auf sicherem Terrain, ich weiß, dass die Musik, neben meinen Kindern, für mich das Einzige ist, woran ich mich festhalten und womit ich Krämpfe lösen kann. Ich bin auf einem Weg, von dem ich nicht weiß, wohin er führt, vielleicht um Millimeter vorangekommen. Ich werde auch immer wieder extrem zurückgeworfen. Das ist mit vielen Einbrüchen und Rückschlägen verbunden.
profil: Kostet es Sie heute mehr Überwindung als früher, auf die Bühne zu gehen?
Grönemeyer: Auf jeden Fall. Die Lieder haben eine ganz andere Bedeutung. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich meine eigenen Texte seziere, wenn ich singe. Ich stehe da und denke mir, was hast du denn da geschrieben, was erzählen deine Lieder eigentlich über dich? Früher war ich viel naiver und unbeschwerter auf der Bühne, nach dem Motto: Raus damit, hau weg den Mist! Ich bin sensibler geworden.
profil: Reden wir noch ein bisschen über Musik. Sie haben in den letzten Jahren heftig mit Dancefloor und Elektronik geflirtet. Auch ein Remix der Wiener Szenestars Kruder & Dorfmeister steht seit langem auf Ihrer Wunschliste.
Grönemeyer: Ich habe immer schon Remixes machen lassen, das weiß nur keiner. Es gibt sogar eine Extended Version von "Männer". Ich bin als Künstler nun mal dafür verantwortlich, mich weiterzuentwickeln, und finde es deshalb wichtig, neue Einflüsse in meine Musik aufzunehmen - nicht um mich jung und modern zu geben, sondern um weiterzukommen. Ich will nicht immer dieselbe Suppe kochen, ich will Musik machen, die spannend bleibt, auch wenn es die Fans vielleicht irritiert. Sonst läuft man in meiner Position irgendwann Gefahr, zu seiner eigenen Karikatur zu werden.
profil: Was fasziniert einen Hochdruck-Handwerker wie Sie an den sphärischen Computer- und Sampling-Spielereien von Triphop und Drum & Bass?
Grönemeyer: Dass mit einer sehr zurückgelehnten Attitüde eine unglaubliche Energie erzeugt werden kann. Da passiert vordergründig erst mal gar nichts oder ziemlich wenig und entwickelt sich ganz langsam. Aber im Grunde ist es dieselbe, wenn nicht sogar eine bessere Energie. Ich bin ja bekanntlich eher der dynamische Typ und komme aus einer Generation, die das Gefühl hatte, alles sozusagen nach dem Hau-Rock-Prinzip machen zu müssen. "Bleibt alles anders" war der Versuch, ruhiger, gelassener, entspannter zu werden.
profil: Woher kam das Hau-drauf-Ethos Ihrer früheren Musik? War das Zorn oder Verletztheit?
Grönemeyer: Ungestüm. Überdruck. Peter Zadek hat mich immer erst zum Waldlauf geschickt, bevor ich auf die Bühne durfte. Ich hab nun mal ein unglaubliches Energiepotenzial, dafür kann ich nichts. Das ist Nervosität und sicher auch Unsicherheit. Aber das legt sich langsam.
profil: Warum? Sind Sie weiser geworden?
Grönemeyer: Nein, ich rauche seit anderthalb Jahren.