Herbert Grönemeyer im Interview: "Ich bin ja nicht Angestellter meiner Fans"
profil: Herr Grönemeyer, sind Sie eigentlich noch nervös, wenn Sie ein neues Album veröffentlichen? Herbert Grönemeyer: Ja, sehr sogar. Mit den Jahren wird das nicht besser. Man wird skeptischer, stellt sich die Frage, ob man noch genügend Substanz hat, noch interessant genug ist. Selbstzweifel kommen auf. Früher war man einfach unbeschwerter, auch naiver.
profil: Auf „Tumult“, Ihrem neuesten Album, stellen Sie das Flüchtlingsthema in den Mittelpunkt. Ist man als Künstler auch froh, wenn einem so ein großes Thema zufliegt? Grönemeyer: Ich glaube nicht, dass man in komplexeren Zeiten die besseren Alben macht. Was man sagen kann: Die Zeiten spielen einem zumindest in die Karten. Es motiviert weiterzumachen. Aber natürlich: in nervösen Zeiten gab es immer einen Boom der Rockmusik. Denken Sie nur an den Vietnam-Krieg.
profil: Nervöse Zeiten in durchaus stabilen Ländern wie Deutschland oder Österreich. Wie erklären Sie sich das? Grönemeyer: In meinen 62 Jahren habe ich so eine Brisanz noch nicht erlebt. Das ist eine merkwürdige Mischung aus Hysterie, Nervosität und rechtem Gedankengut. Die Frage ist: was wird hier inszeniert? Uns sind die Probleme der Flüchtlingsbewegung bekannt, die durch eine große Notsituation in der Welt entstanden sind. Ansonsten leben wir in stabilen, durch Terroranschläge natürlich irritierten, aber dennoch gesicherten Zeiten. Wir haben Anlass, neben all den Sorgen, das Leben auch durchaus zu genießen.
profil: In Ihrem Song „Fall der Fälle“ positionieren Sie sich ganz klar, singen „keinen Millimeter nach rechts“. Wie schwierig ist es, politische Slogans in Popsongs zu packen? Grönemeyer: Dafür ist die Rockmusik ja da. Ich bin großgeworden mit Musik, die sich explizit mit politischen Themen auseinandersetzt. Rockmusik war immer auch Ausdruck der Jugendkultur, einer Wut gegen das Establishment. Schauen Sie sich nur US-amerikanischen Hip-Hop an, der sich heute ganz klar gegen den Rassismus stellt.
profil: Verstehen Sie Popmusik als Gratwanderung zwischen Aufklärung und Entertainment? Grönemeyer: Politik klingt ja so bedeutungsschwanger. Dabei ist Politik nichts anderes als die Sortierung des Zusammenlebens. Wir leben in einer Gemeinschaft und die Gesellschaft ist für mich wie eine Familie, wo ich geborgen und freudig leben möchte. Was man aber nicht vergessen darf: Am Ende muss es auch ein guter Song sein. Nur zu sagen, die Musik ist schlecht, aber der Text ist dafür ziemlich klug, das funktioniert nicht.
Es geht nicht, dass man Menschen verunglimpft, ausgrenzt. Das ist unmenschlich, inhuman und zum Teil kriminell.
profil: Nimmt man mit einem dezidiert politischen Album auch in Kauf, dass man es sich mit einem Teil seiner Fans vergrault? Grönemeyer: Man macht Musik so, wie man es für richtig hält. Ich will ja für mich das Gefühl haben, dass ich mich künstlerisch weiterentwickle. Dabei taktiere ich nicht und provoziere auch nicht gewollt. Ich kenne auch die Erfahrung, damit jahrelang erfolglos zu sein. Auch der Song „Männer“ wurde früher nicht im Radio gespielt. Das ist das Risiko, das man als Künstler immer gehen will. Natürlich gewinnt oder verliert man Leute. Ich bin ja kein Angestellter meiner Fans. Ich schreibe meine Songs so, wie ich sie empfinde.
profil: Im Song „Doppelherz/Iki Gönlüm“ singen Sie gemeinsam mit dem Rapper BRKN auf Türkisch. Erschrecken Sie mit solchen Entscheidungen noch Ihre Plattenfirma? Grönemeyer: Dreinreden lass ich mir nicht. Der Song hat aber schon für Irritationen gesorgt. Das macht aber auch Freude. Gleichzeitig geht es mir darum klarzustellen, dass die türkische Sprache ein Bestandteil der deutschen Kultur ist. Die Leute leben hier mitunter seit 60 oder 70 Jahren. Ins Ruhrgebiet, wo ich ja selbst großgeworden bin, kamen die Menschen aus ganz Europa – sie haben zugepackt und den Deutschen das Wirtschaftswunder ermöglicht und gemeinsam mit unseren Eltern nach dem Krieg das Land aufgebaut. Jetzt müssen wir aufpassen, dass diese Menschen nicht plötzlich komisch angeschaut werden. Die sind genauso deutsch oder österreichisch wie wir.
profil: Man darf das Migrationsthema nicht den Rechten überlassen? Grönemeyer: Man muss sich jetzt ganz klar positionieren. Es geht nicht, dass man Menschen verunglimpft, ausgrenzt. Das ist unmenschlich, inhuman und zum Teil kriminell. Es handelt sich auch um Geflüchtete, nicht eine anonyme Masse oder Anzahl, es handelt sich um Menschen. Ich empfehle jedem, der nach rechts tendiert, sich mit diesen Menschen zusammenzusetzen und deren Geschichten anzuhören. Dieses Glück zu spüren, in Sicherheit zu sein, das wird man nicht mehr vergessen. Als Musiker muss ich das artikulieren, nicht weil ich besonders klug bin, oder klüger als andere, sondern weil mir die Möglichkeiten gegeben sind. Da bin ich der Trommler.
profil: Können Sie sich vorstellen, dass auch mal Schluss ist mit der Musik auf der großen Bühne? Grönemeyer: Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, dass ich wieder in kleineren Hallen, auch in Clubs spiele. Das hängt natürlich auch von der Zuneigung meiner Fans ab. Bei kleinen Konzerten geht man mehr auf die Musik ein, in großen Hallen ist der Druck im Vordergrund. Musik machen werde ich hoffentlich immer, solange mir das Leben zugeneigt ist.
profil: Denken Sie über Ihr musikalisches Erbe nach? Grönemeyer: Nein, gar nicht. Die Wahrnehmung von einem selber ist viel komplexer und irritierender, als man glauben möchte. Es ist auch nicht so, dass man auf ein bestimmtes Oeuvre hinarbeitet. Was man schafft, ist eine Momentaufnahme, die manchmal ein Stehvermögen hat. Das ist das Schöne an der Popmusik. Man muss sich auch selbst nicht so wichtig nehmen.
Herbert Grönemeyer gastiert am 22. März und 12. September 2019 in Wien (Stadthalle) und am 30. März in Graz (Stadthalle).
Interview: Philip Dulle
Herbert Grönemeyer, 62
der Sänger und Komponist hat es seit „4630 Bochum“ (1984) mit jedem Album auf Platz eins der deutschen Musikcharts geschafft. Sein erfolgreichstes Album „Mensch“ (2002) verkaufte sich 3,7 Millionen Mal. Grönemeyer war Theater- und Filmschauspieler („Das Boot“) und gründete das Label Grönland Records. Er engagiert sich in unterschiedlichen sozialen Projekten, im Kampf gegen Rechtsextremismus und ist in der Flüchtlingsbetreuung aktiv. Zuletzt trat er bei der #unteilbar-Demonstration in Berlin auf.