Herzens-Bildungsministerium: neue Filme über Schule und Aufklärungsarbeit
Wissen will weitergereicht werden. Denn Tradition ist bekanntlich die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche. Das Gegenwartskino weiß Bescheid. Ruth Beckermanns kluges, mit- und hinreißendes Wiener Volksschulklassenporträt „Favoriten“ wird am Donnerstag kommender Woche das Grazer Filmfestival Diagonale eröffnen und dabei vorführen, wie entscheidend es ist, Kindern nicht nur Wissenswertes zu vermitteln, sondern auch (und vor allem) Herzensbildung zu betreiben.
Von der Schule geht auch der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda („Shoplifters“) aus. In seinem vielschichtigen neuen Film, der hierzulande „Die Unschuld“ heißt (der internationale Titel lautet ganz anders, nämlich „Monster“), verhandelt er einen Fall, der zunächst nach Mobbing und Lehrerübergriffen aussieht, aber bei Verschiebung der Perspektive seine Bedeutung radikal verändert. Man muss scharf aufpassen, während man diesen Film sieht, denn die Spuren, die er trickreich legt, führen in ungeahnte Bereiche. Zudem umspielt einer der letzten Soundtracks des vor einem Jahr verstorbenen Komponisten Ryuichi Sakamoto ebenso zart wie vieldeutig Kore-edas Inszenierung.
Museen sind pädagogische Institutionen, in deren Innenwelten an der Akkumulation und der Weitervermittlung von Wissen gearbeitet wird. Wiens Naturhistorisches Museum (NHM) eignet sich besonders gut dafür, die immense Bandbreite der Forschungs- und Präsentationsaktivitäten zu zeigen, die an einem solchen Haus durchgeführt werden. Joerg Burgers Dokumentarfilm „Archiv der Zukunft“ streift nicht nur durch die Räume des Museums, sondern auch durch die Hinterzimmer, durch Archivkorridore und Labore, durch all die Schauplätze, in denen die Belegschaft werkt, verzeichnet, ermittelt und sichert. Die toten Augen der präparierten Tiere blicken einen an, in einer Mischung aus Vorwurf und Warnung.
Ein „Evolutionsmuseum“ nennt die Biologin und NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland das ihr anvertraute Haus. Tatsächlich gelten die Aktivitäten dort, von der Genforschung bis zur Taxidermie, der Entwicklungsgeschichte der Welt, insbesondere ihrer Lebewesen. Die am Museum betriebene Datenerhebung und Grundlagenforschung wird gewissermaßen ungerichtet, auf Verdacht betrieben, um den noch unbestimmten Anforderungen der Zukunft zu genügen. Man kompiliert „Versatzstücke des künftigen Wissens“. Die Unüberschaubarkeit der gigantischen Sammlung des NHM, insbesondere im botanischen Bereich, ist auch ein Dilemma, birgt aber Raum für Überraschungen.
Die pointierte Montage Dieter Pichlers hält Burgers Raumstudien, Aktionsbeobachtungen und Interviewsequenzen in Balance. Man erlebt in diesem Film viel Unvermutetes: den Kampf mit dem schweren Brustkorbskelett eines Elefanten etwa, eine praktische Rekonstruktion prähistorischer Feuerbestattungen sowie die digitale Durchleuchtung der Venus von Willendorf, die eben auch ein geologisches Objekt darstellt. Der Film spart die dunklen Seiten der Wissenschaft und des Museumsbetriebs übrigens nicht aus: Auch die kolonialen Grabplünderungen der Vorgänger und die „wissenschaftlichen“ Vermessungen jüdischer Menschen durch NS-Anthropologen werden hier thematisiert.
An den Abgründen ihrer Heldin ist die französische Regisseurin und Autorin Lea Todorov wenig interessiert: Ihre biografische Spielfilmstudie zum Leben der Reformpädagogin Maria Montessori (1870–1952) lässt die kruden Rassentheorien der Protagonistin außen vor, um stattdessen sehr behutsam, etwas überdekorativ (und auch überdeutlich) von einer Revolution der Kindererziehung und von weiblicher Durchsetzungskraft zu erzählen.
Todorovs eher konventionell angelegte Historieninszenierung, die schlicht „Maria Montessori“ heißt, hat dennoch ihre Meriten: Die Italienerin Jasmine Trinca spielt die Titelheldin, an ihrer Seite agiert die Französin Leila Bekhti als Pariser Kurtisane, die ihr behindertes Kind erst vor der Welt verstecken und wegsperren will, ihre Ignoranz aber über Montessoris Aufklärungsarbeit ablegt. Der Gruppe von Kindern mit Behinderung, die in diesem Film auftreten, wird viel Zeit und Raum überlassen; dies schärft den Blick für ihre Eigenheiten, ihre Freiheit und ihren Charme. Am Ende bringt dieser Film das nicht geringe Kunststück zuwege, zugleich eine Hymne an das Leben, die Mutterschaft und an den Feminismus zu sein. Auch davon ist zu lernen.