Hinter Glas: PJ Harveys "The Hope Six Demolition Project"
Als Polly Jean Harvey auf "Let England Shake" (2011), ihrem vorigen Album, in historischen Sinnbildern über ihre Heimat sprach, überschlug sich die Kritik im Lob ihrer Weisheit. In ihrer aktuellen Songsammlung, "Hope Six Demolition Project", vermengt Harvey konkrete Eindrücke ihrer Reisen in die Slums von Washington, in den Kosovo und nach Afghanistan. Die US-Musikpresse unterstellte ihr prompt schleißige Recherche, Unausgewogenheit und -eine offenbar gewaltige Sünde im Zeitalter der Identitätspolitik - mangelndes Bewusstsein um ihr Privileg als Rockstar. Man sollte PJ Harvey dazu gratulieren, dass sie in Zeiten, da Pop-Alben fast jede politische oder soziale Bedeutung verloren haben, starke Reaktionen provozieren kann. Man sollte aber auch eine Debatte darüber führen, wie verständnislos dieses Zeitalter mit Allegorien und jeder Art von Ambivalenz umgeht und wie sehr dabei der Kunstbegriff verarmt.
PJ Harvey nahm ihr Album im Keller des Londoner Somerset House unter den Blicken schaulustiger Besucher hinter einer Glaswand auf. Gemeinsam mit John Parish und dem renommierten Post-Punk-Producer Flood sowie den Ex-Gallon-Drunk- Mitgliedern Terry Edwards und James Johnston zitiert sie aus Blues- und Gospel-Standards, vermittelt dabei ungehobelte Dringlichkeit. Das Ergebnis ist alles andere als eine soziologisch akkurate Dokumentation, dafür eines der mitreißendsten Statements, das sich im verödeten Lifestyle-Selbstbedienungsladen des zeitgenössischen Pop-Konsums noch finden lässt.