Kino

Revolte in Orange, Weiß & Grün: Aus Belfast ins Weltkino

Das nordirische Hip-Hop-Trio Kneecap macht aus Pub-Hymnen und antibritischen Ressentiments großes proletarisches Entertainment. Ein wilder neuer Film erzählt nun von ihrem Aufstieg.

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Die Subversion trägt Strickware, Systemkritik signalisierende Hauben: Wie die russisch-feministische Aktivistinnentruppe Pussy Riot zieht sich auch die junge, aus West Belfast stammende Band Kneecap gern die Balaclava über – in Grün, Weiß und Orange, um genau zu sein, in den Farben der irischen Flagge und des irischen Nationalismus. Grün steht für den Katholizismus, Orange für Protestantismus und Weiß für den interkonfessionellen Frieden.

Die Milchgesichter unter den Sturmhauben gehören den Rappern Mo Chara, 26, und Móglaí Bap, 30, während der dritte Mann, mit 34 der Älteste in der Runde, für Turntables und Produktion zuständig ist. Er heißt James John Ó Dochartaigh alias DJ Próvaí oder einfacher nur: J.J. Die Musik der Band bietet rauen Hip-Hop, zeitgemäß verquirlt mit ein bisschen Grime und Techno, einer Messerspitze Dubstep sowie dem zarten Aroma irischer Volksmusik. Der Name des Trios bezieht sich auf die weniger zarte Foltertechnik des Kniescheibenschusses, mit dem die paramilitärische Irish Republican Army (IRA) einst ihre Widersacher bestraft hat.

Das antibritische Ressentiment sitzt tief in dieser Band, die für ihre Überzeugungen zu kämpfen pflegt: Erst unlängst legten sich Kneecap mit Kemi Badenoch, der Chefin der englischen Konservativen, an, weil ihnen eine mit über 14.000 Pfund hoch dotierte Kunstförderung verweigert worden war. Badenoch hatte erklärt, dass man Individuen, die das Vereinigte Königreich opponierten, kein Steuergeld überlassen sollte. Die Band brachte dagegen eine Diskriminierungsklage ein; im November 2024 wurde ihnen die volle Summe zugesprochen.

Und der Ruhm war ihnen recht jäh zugestoßen: Liam Óg Ó Hannaidh, wie Mo Chara realiter heißt, zierte gemeinsam mit Naoise Ó Cairealláin (aka Móglaí Bap) und J.J. schon im Juni 2024, zeitgleich mit der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Fine Art“, das Cover des legendären Pop-Magazins „New Musical Express“. Tatsächlich ist „Fine Art“ so etwas wie ein klingendes Manifest, garniert mit Gastauftritten renommierter Kollegen wie Grian Chatten von den Post-Punk-Stars Fontaines DC.

Nun legen sie gleich noch einen Film dazu (in Österreich ab 21. März im Kino), der den Werdegang der Band beherzt überhöht: Als „Kneecap“ im vergangenen August in Irland startete, gelang dem Werk das einspielstärkste Wochenende, das ein irischsprachiger Film je hatte. Beim renommierten Sundance Film Festival setzte es den Publikumspreis, und die British Film Academy zeichnete „Kneecap“ vor vier Wochen als bestes Debüt aus.

Musical-Hass

Mitverantwortlich für diese Erfolge ist ein ehemaliger Journalist, Werbegestalter und Dokumentarfilmer namens Rich Peppiatt: An einem kalten Jännertag sitzt der „Kneecap“-Regisseur und -Autor in einem Berliner Hotel und erzählt in selbstironischem Tonfall und mit der Aufgekratztheit eines eigentlich Übermüdeten (er hatte einen „sehr frühen“ Frühflug nach Deutschland) von der Entstehung seines Films. Sechs ganze Jahre hat es ihn gekostet, ihn zu machen. Der Weg, sagt er im profil-Interview, sei steinig gewesen, aber lohnend. „Manche nennen den Film seltsamerweise ein Musical, dabei hasse ich Musicals. Ich meine, ich werde doch nicht unbeabsichtigt ein Musical gemacht haben? Kein Filmgenre mag ich weniger!“

Ein Musikfilm ist „Kneecap“ natürlich doch, das gibt Peppiatt schon zu: Und wer in Irland einen Musikfilm inszeniere, komme an Alan Parkers „The Commitments“ (1991) natürlich nicht vorbei. Deutlicher geprägt habe ihn aber „Trainspotting“ (1996), zwar kein Musical, aber doch „ein stark musikgeführter Film“ mit einem knalligen Pop-Soundtrack. Und „Die fabelhafte Welt der Amélie“ (2001) habe ihn so schwer beeindruckt, dass er nach jenem stilistisch so verspielten Film sogar seine jüngste Tochter benannt habe. „Damals schwor ich mir eines: Wenn ich je einen Spielfilm machen würde, müsste er ebenso kreativ und wagemutig sein wie ‚Amelie‘.“ Man müsse in aller Freiheit tun und lassen können, was immer man wolle: die vierte Wand abreißen, quer durch die Zeiten springen, whatever.

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.