Hitler-Manie in der Literatur

So viel Diktator war noch nie. Wolfgang Paterno über die fragwürdige Hitler-Manie in neuen Romanen und Weltuntergangssatiren.

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Früher war weniger "Führer". TV-Entertainer Harald Schmidt ließ die Parodie vom vermeintlichen Verbrecher-Enkel Sven Hitler-Läpple in seiner Late-Night-Show dosiert auf das Publikum los, und Maurizio Cattelans Hitler-Skulptur präsentierte sich 2001 als kindskleines Wachsmännchen. 2003 zählte der Germanist Marcel Atze überschaubare 26 deutschsprachige Romane, Erzählungen und Dramen seit 1945 mit Hitler als Hauptfigur. "Es existiert von Autorenseite offenbar eine gewisse Abneigung gegen den Stoff", so Atze: "Vielleicht ist es das mit jedem geschriebenen Satz drohende Scheitern am Stoff."

Seit Erscheinen des mittlerweile in mehr als 40 Sprachen übersetzten Bestsellers "Er ist wieder da" (2012) des deutschen Journalisten Timur Vernes brummt das H-Genre. Hitler erwacht in jenem Roman am 30. August 2011 auf einer Berliner Wiese und steigt unversehens zum Comedy-Star auf. Er wird für einen Parodisten gehalten, der niemals aus der Rolle fällt: "Wenn diese Welt auch nur ansatzweise logisch funktionierte, dann erwartete sie von mir, entweder 122 Jahre alt zu sein oder, was wahrscheinlicher war, seit Langem tot."

Hitler war in Wahrheit nie weg. "Er verbringt sein Nachleben mitten unter uns", schreibt der Hamburger Journalist Rolf Rietzler in "Mensch, Adolf", seiner breit aufgefächerten Analyse des Hitlerbildes seit 1945. US-Autor Norman Mailer zoomte sich im Roman "Das Schloss im Wald" (2007) in jenen Moment, in dem Klein-Adolf gezeugt wurde; in der DDR-Erzählung "Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß", dem kürzlich erschienenen Debüt der Berliner Manja Präkels, ist die Chiffre H. bloßer Blickfang; Bestsellerautor Eric-Emmanuel Schmitt räsonierte in "Adolf H." (2001) über den Tyrannen als aufstrebenden Kunststudenten, während in dem Comicband "Hitler Hipster" (2012) der neurotische Jungdiktator durch die Großstadt stromert.

"Ich war Hitlers Trauzeuge","Meine Freunde haben Hitler getötet und alles, was sie mir mitgebracht haben, ist dieses lausige T-Shirt" sowie "Der Junge auf dem Berg": So lauten die druckfrischen Titel, die den Despoten abermals in den Mittelpunkt rücken, in denen Hitler zugleich obligatorisch aus allen politischen Zusammenhängen fällt, eine späte Karriere als absatzfördernde Werbe-und pseudoecht getrimmte Kunstfigur antritt. Der junge Wiener Elias Hirschl liefert in "Meine Freunde haben Hitler getötet " eine vielleicht zu vorschnelle Antwort auf die Frage nach der H-Manie: "Weil Hitler nun mal ein wichtiger Bestandteil der Popkultur ist."

In seinem Buch "So viel Hitler war selten" untermauerte der Berliner Journalist Daniel Erk bereits 2012 eindrucksvoll die Titelthese. Erk, der zuvor den "Hitlerblog", eine Art fortlaufendes Archiv der H-Vervielfachung in Politik, Kunst und Medien geführt hatte, spricht von einer "Banalisierung des Bösen", die zwangsläufig eintrete, wenn Nationalsozialismus und Holocaust auf einer Zeitungsseite oder 120 Kinominuten zusammengestrichen würden: Mit dieser Figur "kann man alles, wirklich alles machen".

Der irische Autor John Boyne, 46, greift in "Der Junge auf dem Berg" vielleicht deshalb auch auf das vor mehr als zehn Jahren erprobte Erzähl-aus-Kinderperspektive-Rezept seines Bestsellers "Der Junge im gestreiften Pyjama" zurück. Der Waisenjunge Pierrot wird 1937 auf Hitlers Berghof verschickt, wo seine Tante als Haushälterin arbeitet - und sich Pierrot als Peter zum NS-Fanatiker entwickelt. Peter freundet sich mit Schäferhündin Blondi an, und Hitler ist auch nur ein Mensch: "Du machst dich sehr gut mit ihr, Peter. Mir gelingt es nicht, sie abzurichten. Ich kann sie nie disziplinieren, das ist das Problem. Ich bin einfach zu weichherzig."

Während es in der grellen, jeden dramaturgischen Rahmen sprengenden Weltuntergangs- Humoreske "Meine Freunde haben Hitler getötet " dem Tyrannen dank Zeitreisemöglichkeit bereits als Baby an den Kragen geht -es findet ein veritables Hitler-Massenschlachten statt -, markiert "Ich war Hitlers Trauzeuge" des Salzburger Filmregisseurs und Autors Peter Keglevic, 67, so etwas wie den vorläufigen Tiefpunkt der Hitler-Obsession.

Der Roman begleitet Harry Freudenthal durch die letzten Tage des "Dritten Reichs": Dank Leni Riefenstahl überlebt der untergetauchte Wiener Jude ein Massaker und wird als Langstreckenläufer von Berchtesgaden nach Berlin zu Ehren Hitlers zwangsverpflichtet. Leni dreht den Durchhaltefilm, Harry, der sich als Paul Renner (!) tarnt, absolviert den Durchhalte-Wettlauf mit Zieleinlauf Führerbunker, zum Geburtstag Hitlers. Mit dem Extrem-Marathon sollen Durchhaltevermögen und Einsatzbereitschaft, Lederzähe und Kruppstahlhärte demonstriert werden. Eine heikle literarische Mission, um das Mindeste zu sagen.

Hitler, dargestellt in windschiefen Bildern unfreiwilliger Komik, geistert als argloser Grüß-August durch das Buch: "Ich sah von ihm nur Scheitel und Schnurrbart, und das sah aus wie die Finne eines Orkas, der durch einen Thunfischschwarm schneidet." Hitler hantiert mit seiner Nilpferdpeitsche und schenkt Eva Braun "rehlederne Unterwäsche", Riefenstahl wird von Migräne, schlechter Laune und Blasenkoliken geplagt, während Zwangssportler Harry der Regisseurin verfällt: "Ich starrte in ihren Ausschnitt, in dem eine Brust halb aus dem Büstenhalterkörbchen gerutscht war. Die Burstwarze lag frei, eine kleine Rosine auf lachsfarbener Spitze." Erotik-Schwulst-Alarm.

"Ich war Hitlers Trauzeuge" bietet Humor der flachen Sorte, hochtourig ins Nichts laufende Handlung und Historie mit fragwürdiger Unterströmung. "Zum ersten Mal begriff ich", stellt der um sein Leben dauerlaufende Harry erstmalig auf Seite 289 fest, "wir waren nirgendwo sicher." Geschichte verschwimmt zum Zerrbild. Der Schrecken wird verniedlicht und an die Pointe verraten. Das absehbare Kriegsende mit Hitlers Selbstmord nach über 2000 Tagen Massenmord und Terror gerät zu einem bizarren Parlando, von kandiertem Kitsch untermischt: "Der Tag mit der weiblichsten Endung: 2069. Wie sich die Sechs an die Neun schmiegte! Wie sich Kopf und Schoß zusammenfügten! Wie Yin und Yang sich vervollständigten."

In "Meine Freunde haben Hitler getötet " macht Elias Hirschl auch vor Thomas Bernhard nicht Halt -Humor und Heiterkeit verströmt Hirschls Bernhard. Prophetisch schrieb der wahre Bernhard in seinem frühen Dramolett "Der deutsche Mittagstisch":"Kaum sitzen wir bei Tisch an der Eiche, findet einer einen Nazi in der Suppe. Und statt der guten alten Nudelsuppe bekommen wir jeden Tag die Nazisuppe auf den Tisch. Lauter Nazis statt Nudeln." Es ist angerichtet.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.