Erfindungsgeist und Esprit
Die hübsche, hintersinnige Geschichte erzählt einiges über den Künstler Kurt Hofstetter, geboren 1959 in Linz, der sich, wie im ländlichen Österreich üblich, Hofstetter Kurt nennt. Experiment und Konzept, Erfindungsgeist und Esprit, Schalk und sympathisch heruntergekühltes Sendungsbewusstsein gehen bei ihm Hand in Hand. „Hofstetter Kurt ist ein Magier der irrationalen, also theoretischen Kunst“, schrieb der deutsche Kunsttheoretiker Bazon Brock. Bei Hofstetter kommen Zauber und Wissenschaft spielerisch zusammen. Nur folgerichtig, dass sich Hofstetter, ein Unruhegeist im besten Sinne, notorisch auf unterschiedlichen Feldern tummelt: Konzept-, Computer-, Medienkunst, Komposition, Ambient-Media-Art, Bildhauerei, Buchdruck. Nebenher
hat er die Mode sanft revolutioniert. Bekannt sind seit Jahrtausenden vier Arten des Textilwebens – Leinwand, Atlas, Köper, Krepp, alles Gewebe mit sogenanntem Rapport, der sich wiederholt. Die Hofstetter-Bindung, Patentnummer AT 512060 B1 2015-02-15, wird mittels computergestützter Webstühle dagegen aperiodisch gewebt.
Als Jugendlicher schon komponierte er ein Stück für zwei Gitarren, ein Arrangement ohne Anfang und Ende. „Beim Spielen kam man nie mehr raus, das war auch das Problem“, erinnert sich Hofstetter, der mit seinem ergrauten Kinnbärtchen wie eine Mischung aus italienischem Gondoliere und höflichem Mephisto aussieht. Was Hof-stetter nicht sagt: Er dürfte zu den bekanntesten unbekannten Künstlern Österreichs zählen. Seine 1993 am Wiener Verkehrsknotenpunkt Wien Mitte errichtete Installation „Planet der Pendler mit den drei Zeitmonden“, das erste permanente Video-Computerkunstwerk Österreichs im öffentlichen Raum, haben Millionen Menschen gesehen. Wer den Bahnsteig zwischen Gleis eins und zwei in Wien Mitte betritt, kommt an Hofstetters Satelliten-Spiel im Untergrund nicht vorbei. „Ich schaue in den Himmel, um mich zu erden“, so ist die voluminöse Publikation überschrieben, die anlässlich von Hofstetters Auszeichnung mit dem Österreichischen Staatspreis „Outstanding Artist Award 2015 – Interdisziplinarität“ erschien.
Technik und Design
Die Technik und das Design von „Einen Augenblick Zeit“ wurden von der Zeit selbst hinweggespült. Dennoch laufen dieselben altertümlichen Computer, die bereits vor 30 Jahren die Uhrzeit auf die Netzhäute der „Milos“ und „Nena“ getauften Monitoraugen projizierten, rund um die Uhr, als sei kein Ende in Sicht. Das flimmernde Spiel von Aug’ in Aug’ ist gewissermaßen auf Überzeitlichkeit angelegt.
„Tiefes Technik-Mittelalter“, sagt Hofstetter. „Zwei Escom-Computer, 286er-Prozessoren, Video- und Soundkarten, 256 Kilobyte Speicher, ohne Festplatten.“ Es läuft aber wie geschmiert.
Computertechnik hat Hofstetter nie in artistische, multimedial aufgemöbelte Sensationen, angetrieben von Zahlen und Algorithmen, verwandelt. Die Welt, wie Hofstetter sie sieht, besteht vorerst aus Konzepten. „Bei all meinen Arbeiten bilden Konzeptionen das Fundament. Alle theoretischen Überlegungen müssen aber raus in die Welt. Sie müssen mit den Menschen und mit dem Leben zu tun haben.“
Am Schottentor werfen „Milos“ und „Nena“ einander Blicke zu und zeigen die Zeit an. Mit jedem Lidschlag der Monitoraugen fliegt die Zeitangabe hin und her. Der Zufall steuert, akustisch untermalt von Uhrenticken, im Untergrund nahe der Wiener Hauptuniversität den Fluss der Zeit. Niemand weiß, was im nächsten Augenblick geschehen wird.