Hollywood-Produzent Steve Golin: "Ich werde nicht gerne angeschrien“
INTERVIEW: CORDULA REYER
Steve Golin erscheint 20 Minuten zu spät zum verabredeten Brunch im Soho House in Los Angeles. Er entschuldigt sich und erklärt gleich vorweg, dass er verkatert sei und dringend etwas Fettes zu essen brauche. "Gestern haben wir verloren“, sagt er achselzuckend. Am Abend zuvor fand die Preisverleihung des amerikanischen Produzentenverbandes statt. Dabei gingen beide von Golin produzierten Filme, sowohl "The Revenant“ als auch "Spotlight“, leer aus. Stattdessen triumpierte die Wall-Street-Tragikomödie "The Big Short“. Seufzend nimmt der sehnige 60-Jährige seine dunkle Sonnenbrille ab und entfernt sich Richtung Buffet. Dort lädt er sich Speck, Würstchen und Eierspeise auf den Teller. Das profil-Interview findet an einem typisch kalifornischen Sonnentag statt - von der Dachterrasse des Privatclubs weitet sich der Blick über die Stadt bis hin zum pazifischen Ozean.
profil: Zehn Jahre hat es gedauert, ehe Ihr Western "The Revenant“ zustande kam. Es geht um Rache und Überleben, aber ist der Plot nicht etwas dünn geraten? Golin: Wenn man so will. Aber der von Leonardo DiCaprio gespielte Hugh Glass ist eine interessante Figur, der Film ein Epos über das Leben. Fünf Jahre lang arbeiteten wir das Drehbuch immer wieder um, und als wir Alejandro González Iñárritu als Regisseur gewinnen konnten, wollte er ein paar weitere Aspekte einarbeiten. Bei ihm dreht sich alles um Familie. Ursprünglich war der Sohn bereits tot, und Glass’ Frau war keine Indianerin. Alejandro schrieb das um, da er den Themen Rasse, Akzeptanz und Zugehörigkeit mehr Gewicht geben wollte.
profil: Es ist nicht Ihre erste Zusammenarbeit mit Iñárritu. Können Sie besonders gut mit ihm? Golin: Wir arbeiteten schon 2001 an Werbefilmen für BMW und später an "Babel“ zusammen. Er ist brillant. Gestern meinte er, dass er, obwohl er schon 15 Jahre hier in den USA lebt, noch immer ein Fremder sei - und wenn er sich in seiner mexikanischen Heimat aufhalte, empfinde er sich dort inzwischen auch als Fremder. Ich glaube, er hat eine Identitätskrise. Für "The Revenant“ war er der perfekte Regisseur. Für mich war der Film der schwierigste, den ich je produziert habe. Die Dreharbeiten daran dauerten volle neun Monate.
profil: Was waren die größten Probleme? Golin: Zuerst hatten wir zu wenig Schnee, dann zu viel, wir arbeiteten zum Teil bei minus 25 Grad. Am Ende des Drehs mussten wir noch nach Argentinien, weil in Kanada kein Schnee mehr lag. Und dort wiederum gab es den wärmsten Winter der Geschichte. Wir gingen das Projekt wirklich naiv an. Es war eine Herausforderung mit all den Kränen, Helikoptern und Schneemaschinen, den Stuntmen, den digitalen Effekten, dem kaputten Equipment. Vieles ging daneben, was wir beim besten Willen nicht hätten ahnen können. Alle Szenen wurden chronologisch und ausschließlich draußen, bei natürlichem Licht, gedreht. Wir schafften an den meisten Tagen nur ein, zwei Szenen. Bei einem normalen Film sind es 15 bis 20 Szenen pro Tag. "Spotlight“ drehten wir komplett in 40 Tagen! Für "The Revenant“ brauchten wir 120. Die Proben begannen im August, abgedreht wurde der Film im März. Es war ein Albtraum.
profil: Allein die Szene mit der Bärenattacke kostete sieben Millionen Dollar. Wie konnten Sie das gegenüber Ihren Investoren vertreten? Golin: Ich stehe hinter meinen Regisseuren. Klar, man hätte den Film billiger machen können. Aber Alejandro hatte seine Vorstellungen und wollte sie durchziehen. Ich stand zwischen Financiers und Regisseur, eine schwierige Situation. Ich überziehe ungern das Budget, und ich werde nicht gerne angeschrien.
profil: Wie stark wurde das Budget für "The Revenant“ überzogen? Golin: Nur ein bisschen.
profil: Man hört, dass der Film grünes Licht für 60 Millionen Dollar bekam, sich die Kosten dann aber verdoppelten. Golin: Das wird behauptet. Es waren aber nie 60 Millionen. Der Film startete mit einem Budget von 100 und kostete schließlich 135 Millionen. Das ist viel. Aber nun spielt er das alles wieder ein. Er ist ein Riesengeschäft.
Ich versuche, Filme zu produzieren, die meinen Ideen entsprechen.
profil: Also ahnten Sie, dass es ein großer kommerzieller Erfolg werden würde? Golin: Ich war mir nicht sicher, sogar extrem besorgt. Ich will nicht, dass Investoren ihr Geld verlieren. Glücklicherweise kam es nicht so. "The Revenant“ wird weltweit mit Sicherheit 400 Millionen Dollar einspielen.
profil: Der Film geht nun als Oscar-Favorit ins Rennen, gewann bereits drei Golden Globes. Woher wissen Sie, ob ein Film beim Publikum gut ankommen wird oder nicht? Golin: Ich versuche, Filme zu produzieren, die meinen Ideen entsprechen. Im Fall von "Spotlight“ ist es so: Investigativer Journalismus ist heute wichtiger denn je. In "The Revenant“ sieht man, wie brutal es in den USA einst zuging. Aber was hat sich geändert? Die Menschen schlitzen sich im Namen der Religionen noch immer weltweit gegenseitig die Kehlen auf. Haben Sie "Beast of No Nation“ gesehen? Die afrikanischen Bürgerkriege, die da beschrieben werden, finden weiterhin statt. Es bricht einem das Herz.
profil: Dieser Film wurde ebenso wenig nominiert wie "Straight Outta Compton“ und "Concussion“. Trifft die gegenwärtige Rassismusdebatte rund um die Oscar-Show nicht ins Schwarze? Golin: Das größere Problem liegt darin, dass nicht genug Filme von Frauen und ethnischen Minderheiten produziert werden. Wenn ein Film nicht nominiert wird, heißt das gar nichts. Von 400 Produktionen jährlich verlieren in der Kategorie Bester Film 399. Erst in 20 Jahren werden wir wissen, wie wichtig ein Film wirklich war.
profil: Was macht Sie zu einem guten Produzenten? Golin: Ich habe Durchhaltevermögen, und ich komme aus der Independent-Szene. Das Wichtigste ist das Drehbuch. Wenn es gut ist, kann eine einzige Person den Ball ins Rollen bringen: ein Regisseur, ein Produzent oder ein Schauspieler. Man muss dranbleiben, auch wenn man zurückgewiesen wird. Das Geld kommt irgendwann wie von allein. Eigentlich ist das Aufstellen der Finanzierung der einfachste Teil.
profil: Woher wissen Sie, ob ein Drehbuch gut ist? Golin: Ich habe Geschmack! Ich liebe das Geschichtenerzählen. Als ich ein Kind war, las mir mein Vater Charles Dickens vor. Eigentlich schrieb Dickens seine Storys als Fortsetzungsroman für Zeitungen: wie eine der heutigen Fernsehserien.
profil: Sie produzieren die TV-Serie "Mr. Robot“. Ursprünglich sollte daraus ein Film werden. "Spotlight“ oder "The Revenant“ hätten auch als Serien Potenzial. Nach welchen Kriterien gehen Sie da vor? Golin: Das ändert sich ständig. Als Serie erreicht das Material oft mehr Menschen, spielt mehr Geld ein. Ich bin erst seit drei Jahren im Seriengeschäft. Früher dachte ich nie in Fernsehkategorien. Heute denke ich ständig darüber nach.
Ich überlegte damals: Tut David Lynch nur so seltsam, oder ist er so seltsam? Ich fand heraus: Er war so seltsam.
profil: In den 1980er- und 1990er-Jahren produzierten Sie vor allem Musikvideos. Wie kamen Sie zum Spielfilm? Golin: Kunden wollten, dass wir mit Regisseuren wie David Fincher, Michael Bay oder Spike Jonze auch Werbespots drehen, so kamen wir automatisch zum Film. Fincher war von Anfang an dabei. Michael kam mit einer Musterrolle vorbei, und wir nahmen ihn von Fleck weg unter Vertrag. Spikes Skateboardvideos kannten und mochten wir, also war er auch gleich mit dabei. Wir waren alle so jung und hatten keinerlei besondere Erwartungen.
profil: Sie produzierten 1990 David Lynchs "Wild at Heart“. Wie kamen Sie mit ihm zurecht? Golin: Vor jedem Meeting strich er über die Parkplätze, suchte Nummernschilder, die seine Initialen trugen. Sehr abergläubisch. Ich überlegte damals: Tut der nur so seltsam, oder ist er so seltsam? Ich fand heraus: Er war so seltsam. Als wir "Wild at Heart“ drehten, verblüffte mich seine Vision aber jeden Tag aufs Neue. Ich habe viel von ihm gelernt: vor allem, Regisseuren zu vertrauen.
profil: Lynch ist ja ein Verfechter der transzendentalen Meditation. Meditieren Sie auch? Golin: Oh, nein! Aber David ist da radikal: Als wir mit den Dreharbeiten in Verzug waren, ließ er plötzlich alles fallen, weil er täglich um vier Uhr Nachmittag meditieren musste. Ich flehte ihn an, das doch bitte später daheim zu machen. Konnte er aber nicht. Ich saß mit der gesamten Crew da und wartete. Ich dachte nur: Oh Gott! Unser Schiff geht gerade unter, und er sitzt im Nebenzimmer und meditiert! 25 Minuten lang, zwei Mal täglich, tauchte er ab.
profil: "The Revenant“ ist für zwölf Oscars nominiert, "Spotlight“ für sechs. Eine persönliche Genugtuung? Golin: Ein wenig schon. Einst schmerzte es mich sehr, meine jahrelange Aufbauarbeit in Trümmern zu sehen. 1991 verkauften mein Partner und ich unser Unternehmen, Propaganda Films, an PolyGram. Als PolyGram 1999 von Seagram gekauft wurde, feuerten sie mich. 2003 mussten sie zusperren. Sie waren dumm und arrogant. Idioten, die glaubten, sie wüssten alles. Danach wollte ich mit dem Business eigentlich nichts mehr zu schaffen haben.
profil: Trotzdem gründeten Sie 1999 erneut eine Produktionsfirma, Anonymous Content. Warum? Golin: Ich dachte am Ende doch, dass ich bei meinen Leisten bleiben musste. Heute bin ich froh, aber es war hart: 2000 platzte die Dotcom-Blase, 2001 kam 9/11 und 2008 die große Finanzkrise. Aber wir waren ein junges Unternehmen und schafften es. Heute geht es uns sehr gut. Unsere Filme laufen bestens, unsere TV-Abteilung expandiert.
Produzent zu sein ist ein harter und einsamer Beruf. Gestern Nacht haben wir verloren. Schade. Wir haben uns betrunken. Aber wenn wir gewonnen hätten, hätten wir uns auch betrunken!
profil: Die Filmeinnahmen sanken in den vergangenen Jahren deutlich, die 18- bis 25-Jährigen gehen fast nicht mehr ins Kino. Haben Sie bereits YouTube-Stars unter Vertrag genommen? Golin: Das werden wir. Wir müssen es tun und bereiten uns vor. Sonst könnte es sein, dass wir bald zusperren. Mein 18-jähriger Sohn sitzt mit Kopfhörern nur an seinem Telefon oder seinem iPad. Einzig Basket- oder Baseball-Spiele schaut er sich noch live im Fernsehen an. Wenn alles gut geht, werden wir demnächst elf neue Serien auf Netflix, Hulu und diversen Kabelsendern unterbringen.
profil: Lesen Sie Drehbücher noch selbst? Golin: Das ist schwierig geworden. Wenn sie wirklich gut sind, geben meine Mitarbeiter sie an mich weiter. Ich habe alle Hände voll zu tun, das Unternehmen zu führen.
profil: Was würde sich ändern, wenn Sie als Produzent des besten Films einen Oscar erhielten? Golin: Nichts. Aber es wäre schön, und ich hätte das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Ich gewinne gerne.
profil: Geschäftlich würde es nichts ändern? Golin: Alles wäre dann wohl ein bisschen einfacher. In der Regel erzeugt Erfolg noch mehr Erfolg.
profil: Gibt es unter den von Ihnen produzierten Filmen so etwas wie einen Lieblingsfilm? Golin: Michel Gondrys "Eternal Sunshine of the Spotless Mind“. Ich liebe diesen Film. Er entstand 2003, in einer Zeit, in der ich sehr, sehr krank war, an Knochenkrebs litt. Ich hatte den ersten Teil meiner Genesung hinter mir, als wir die Arbeit daran begannen.
profil: Sie sagten in einem Interview einmal über sich selbst, dass sie verwundbar seien. Wie meinten Sie das? Golin: Ich habe meine Unsicherheiten, wie alle. Die Angst ist immer da, dass einem genommen wird, was man geschaffen hat. Produzent zu sein ist ein harter und einsamer Beruf. Gestern Nacht haben wir verloren. Schade. Wir haben uns betrunken. Aber wenn wir gewonnen hätten, hätten wir uns auch betrunken! Ich habe mit Alejandro das Leben gefeiert. Meine Gesundheit hat allem eine neue Perspektive gegeben. Wenn man krank ist, ist jeder Tag ein schlechter Tag. Frauen, Geld und Preise nützen einem nichts, wenn man mit der Angst leben muss. Es gibt keine stabilen Karrieren. Also versuche ich, wenigstens mein persönliches Glück stabil zu halten.