Auch nach seinem Kino-Comeback, nach dem Oscar als bester Hauptdarsteller 2023, bleibt Brendan Fraser ein Außenseiter, den es eher zufällig nach Hollywood verschlagen zu haben scheint, eine Ausnahmeerscheinung, die nicht auf Coolness, Glamour und Selbstdarstellung zielt, sondern auf Empathie und Aufrichtigkeit. Der Abstecher nach Wien, den der kanadisch-amerikanische Schauspieler – auf Europatour zur Promotion seines Oscar-Films „The Whale“ (Österreich-Kinostart: 28.4.) – am gestrigen Samstag kurzfristig absolvierte, verdankt sich einer Auszeichnung, die er bei der Romy-Gala des Kurier entgegennehmen sollte.
In einem kleinen Raum im Erdgeschoß des Wiener Imperial-Hotels erwartet Fraser, 54, seine Interviewpartner; aus großen Augen blickt einen dieser sanftmütige Hüne an mit einer Mischung aus Interesse und Scheu, schüttelt die Hand seines Gegenübers und nimmt Platz, sofort bereit, ohne jeden Smalltalk in die Konversation einzusteigen. Er spricht leise, bisweilen fast flüsternd, mit tiefer, beschwörender Stimme, sehr konzentriert, stets bedacht, die richtigen Worte zu wählen.
Als Sie vor wenigen Wochen den Academy Award als bester Hauptdarsteller erhielten, erschienen Sie fast erschüttert, eigentlich auch erschrocken. Haben Sie den Schock inzwischen verdaut?
Fraser
Ich bin da irgendwie durchgekommen, ja. Es fühlte sich auch erleichternd an, endlich eine Antwort erhalten zu haben. Wir fünf, die wir in jener Kategorie nominiert waren, saßen da wie auf dem Drahtseil nervöser Anspannung, und wir hatten keine Ahnung, wen es treffen würde.
Sie erwarteten nicht zu gewinnen?
Fraser
Natürlich nicht! Ich wusste aber, dass ich mich in exzellenter Gesellschaft befand – all die stark schauspielgetriebenen Filme, die im letzten Jahr entstanden waren, machten mir Mut. Es befriedigt mich immens, dass so viele Menschen auf „The Whale“ derart stark reagieren. Denn dann kann ein Film wie dieser auch etwas bewirken in den Herzen und Köpfen der Leute. Und ich gehe so weit zu behaupten, dass dieser Film, der die Partei eines krankhaft Übergewichtigen ergreift, auch Leben retten kann.
Haben Sie das von Betroffenen gehört?
Fraser
Ja, uns haben Menschen kontaktiert, die erklärten, dass wir ihre Leidensgeschichte erzählt haben – und dass unser Film sie dazu ermutigt hat, Hilfe zu suchen, vielleicht auch eine Operation ins Auge zu fassen. Denn eine solche kann tatsächlich helfen, sie zu retten. Die Obesity Action Coalition, die Adipositas-Kranken und deren Familien beisteht, verhielt sich, als wir sie um Hilfe und Informationen baten, auf unser Projekt zunächst eher zurückhaltend – verständlicherweise. Denn stark übergewichtige Charaktere im Film sind oft bloße Stereotypen, gut für lahme Witze oder öde Schurkenrollen. Diesen Weg wollten wir nicht gehen, uns ging es um absolute Authentizität.
Sie recherchierten für diese Rolle lange?
Fraser
Ich traf Regisseur Darren Aronofsky Anfang 2020, wusste aber erst, dass ich den Job habe, als er Monate später begann, mir Dokumentarfilme und Bücher zu schicken begann, die ich studieren sollte. Wer Darren kennt, weiß, dass er Gespräche grundsätzlich in der Mitte beginnt; mir erschien er stets kreativ einschüchternd, bis ich herausfand, dass er eigentlich auch nur ein Nerd aus Brooklyn ist. Dann kam Covid, alles wurde heruntergefahren, aber Anfang 2021 konnten wir diesen künstlerisch so riskanten Film endlich drehen.
Er muss auch physisch riskant gewesen sein. Sie mussten diesen 270 Kilo schweren Mann mit Hilfe von Unmengen an körperlichem Ballast spielen, sich täglich vier Stunden lang Kostüm und Maske zufügen lassen. Dachten Sie an keinem Punkt: Warum habe ich nur zugesagt, diese Rolle zu spielen?
Fraser
Niemals. Ich liebe es sogar, mich schminken und kostümieren zu lassen.
Wirklich? Weil es so meditativ ist und Sie sich dabei stundenlang auf ihre Performance vorbereiten können?
Fraser
Ich saß jeden Tag gegen vier Uhr früh in der Maske, denn um diese Figur zu erschaffen, brauchte ich ja diese vollständige Transformation. Wir wollten das so realistisch hinkriegen, dass niemand die Künstlichkeit des Unterfangens wahrnehmen konnte. Der Make-Up-Künstler Adrien Morot hat das perfektioniert. Dafür wurden er und sein Team ja auch mit dem Oscar ausgezeichnet.
Sie haben nach einem sehr erfolgreichen Karrierestart als junger Schauspieler in den 1990er-Jahren auch äußerst unangenehme Erfahrungen in Hollywood gemacht, persönlich und beruflich. Wie blicken Sie heute auf die US-Filmindustrie? Ist das nicht eine äußerst seltsame Welt, in die man da gerät?
Fraser
Sie kann seltsam sein, stimmt. Aber sie kann auch ganz erfüllend sein. Und ich hatte in den über 30 Jahren meines schauspielerischen Lebens das Glück, immer etwas zu tun zu haben. Es ist wahr, zwischendurch gab es ruhigere Phasen, aber so geht es doch fast allen. Als „The Whale“ nach einer doch längeren kreativen Pause auf mich zukam, gab mir dieser Film die Chance, mich sinnvoll neu zu verorten – und gegen alle Erwartungen anzuspielen.
Sie haben von der hohen sozialen Wirkung dieses Films gesprochen. Planen Sie, den Weg des „bedeutungsvollen“ Schauspiels weiterzugehen? Oder werden Sie auch albernen Komödienstoffen gegenüber offen bleiben?
Fraser
Mir ist es vor allem wichtig, Dinge zu spielen, die einem selbst etwas bedeuten. Es gibt so viele Filme und Serien da draußen, gegen die man anzutreten hat; ich arbeite gern in jedem Format, das ein Publikum erreicht, aber am liebsten sind mir doch Projekte, die fürs Kino gemacht werden. Das kenne ich am besten, das habe ich gelernt. Hollywood ist heute, technisch gesehen, ein ganz anderer Ort als noch vor zehn Jahren.
Wie wurde „The Whale“ schauspielerisch erarbeitet?
Fraser
Wir hatten vor den Dreharbeiten drei Wochen Zeit, um zu proben. Das ergab Sinn, denn der Ursprung dieser Geschichte liegt in einem Theaterstück. Das gab uns viel Selbstvertrauen, und als Ensemble wuchsen wir zusammen wie eine Bühnentruppe. Mir hilft es sehr, wenn die Dinge, die ich spielen soll, gut geprobt sind. Und ich bemühe mich, meine Entscheidungen so ehrlich zu treffen, wie ich nur kann. Und wie gesagt: Wenn Filme Positives bewirken können, ist dies jedes Risiko wert.
Wissen Sie immer, wann ein Take gut war? Oder zweifeln Sie viel an sich?
Fraser
Ich klammerte mich beim Spielen meist an die Kante meines Sitzes und blickte in die großen grünen Augen der 19-jährigen Sadie Sink, die da so furchterregend und ungeheuer talentiert meine Tochter spielte. Grundsätzlich brauche ich es, um eine derartige Rolle zu verkörpern, am Set gut geprobt und präzise recherchiert aufzutauchen. Und ich muss mich, so komisch das klingen mag, entspannen können in der inszenierten Wirklichkeit eines 270 Kilo schweren Körpers – und diesen tatsächlich ignorieren können. Denn „The Whale“ ist kein Film über einen adipösen Mann, sondern einer über Erlösung und Liebe …
… und Einsamkeit.
Fraser
Und Einsamkeit, ja! Es geht dieser Figur darum, Verantwortung zu übernehmen für die Lebensentscheidungen, die sie getroffen hat und die Konsequenzen hatten. Ich wollte mich in diese Rolle mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln werfen. Als die Dreharbeiten vorbei waren, wusste ich nicht so recht, was ich da getan hatte, ich fühlte ich mich zugleich stolz darauf und immens verwundbar.
„The Whale“ ist ein sehr trauriger Film, Unterhaltung im üblichen Sinn bietet er nicht. Denken Sie, all die Preise, die er inzwischen gewonnen hat, helfen dabei, Leute trotz des schwierigen Themas in die Kinos zu locken?
Fraser
Es gab bereits großes Interesse an diesem Film, ehe ihm Preise zugesprochen wurden. Auszeichnungen sind nie der letztgültige Maßstab für die Qualität eines Films. Aber die Anerkennung ist natürlich toll, und sie ist mir in meinem Berufsleben neu. Diesen Film sollten all jene sehen, die andere vor allem nach Äußerlichkeiten beurteilen. „The Whale“ hilft dabei, die eigenen moralischen Grundsätze neu zu justieren.
In wenigen Wochen werden Sie nach Cannes reisen …
Fraser
Das wäre schön, allerdings hat mich die Einladung noch nicht erreicht. Mal sehen.
… denn Sie sind Teil des Ensembles eines Films, auf den sich die cinephile Welt freut: Martin Scorseses Historienthriller „Killers of the Flower Moon“. Wie war es, an einer solchen Produktion mitzuwirken?
Fraser
Wie soll ich sagen? Es erfüllte meine alte Sehnsucht, einmal im Atelier eines Renaissance-Meisters mithelfen zu dürfen. Es war schlicht beeindruckend. Für Scorsese übernimmt man jederzeit auch Cameo-Rollen, nur um dabei zu sein. Ich meine, es ist Martin Scorsese!
Das heißt, Sie sind im Pantheon angekommen.
Fraser
Exakt!