Kino

Hollywoods neuer Boulevard: Clooney, Pitt und Kidman beim Filmfest am Lido

Die 81. Filmfestspiele in Venedig sind, nach lahmem Start, in Schwung gekommen. Im Komödienfach mischt heuer auch Österreich strahlkräftig mit.

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Als das Opium, mit dem das Volk sediert gehalten wird, identifizierte Karl Marx einst die Religion. Inzwischen dient diese bekanntlich eher dazu, Hass und Gewalt gegen Andersdenkende zu mobilisieren, während man die Tranquilizer anderswo kriegt – im Meditations-Retreat, in den Gaming-Apps, auf Netflix und im Kjno. In Venedig, wo man alljährlich im Spätsommer das älteste Filmfestival der Welt betreibt – es existiert seit 1932 –, hat man viel Verständnis für das Unterhaltungsbedürfnis seiner krisengeschüttelten und erschöpften Klientel. Mit Hollywoodprominenz protzt Venedigs Festivalchef Alberto Barbera daher heuer lautstark, mit Gossip, Glanz und Tollerei, mit den Red-Carpet-Schauläufen seiner Stargäste, unter denen sich durchaus ein paar wiedererkennbare Namen finden: George Clooney und Brad Pitt, Cate Blanchett, Joaquín Phoenix, Daniel Craig und Angelina Jolie. Um nur einige zu nennen. 
Als Weltpremiere zum Kick-Off der 81. Filmfestspiele am Lido wählte man zwar noch ein eher unwürdiges Spektakel, nämlich Tim Burtons spätes Sequel seiner Eighties-Gespensterkomödie „Beetlejuice“. Schon der uninspirierte Titel hätte zu denken geben sollen: In „Beetlejuice Beetlejuice“ sind Michael Keaton als Lottergeist und Winona Ryder als Mentalistin 36 Jahre später wieder dabei, aber die Fantasy lässt zu wünschen übrig, und die Pointen sitzen nicht. Schwamm drüber. Denn Nachdrücklicheres folgte.

Als Mutprobe für die Schauspielerin Nicole Kidman ist etwa die Eros-Studie „Babygirl“ konzipiert: Die 57-Jährige spielt darin eine Konzernchefin, die sich von einem rund 30 Jahre jüngeren Volontär (Harris Dickinson) dazu verführen lässt, ihre submissiven Sexualfantasien konsensual auszuleben. „Babygirl“, inszeniert von der Niederländerin Halina Reijn, ist jedoch nicht so sehr als voyeuristisches Spektakel angelegt, sondern eher als Analyse der Sprengkraft weiblichen Begehrens. Und Kidman macht hier reinen Tisch auch mit der eigenen Starpersona: Wenn sie sich beim Arzt die Botoxspritzen setzen lässt, hat dies wohl auch mit dem Verlangen zu tun, der Welt ein paar Wahrheiten hinter Hollywoods Jugendkult offenzulegen. 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.