Mit der Gabel an die Suppe
Die vollmundig verkündete Waffenruhe ist damit, wenigstens vorläufig, das spektakuläre Schlusskapitel einer ausgedehnten Seifenoper, die das verhaltensoriginelle Geschwisterpaar in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten äußerst medienwirksam aufgeführt hat. Nachdem sich die Brüder 2009 bei einem Auftritt heillos zerstritten hatten und die Band daraufhin auf Eis gelegt wurde, zelebrierten sie ihr Zerwürfnis in der Folge mit Gusto in Form von fortwährenden abfälligen Frotzeleien und wilden Wortgefechten. Unvergessen etwa Noels launiges Bonmot, sein jüngerer Bruder sei „ein Mann mit einer Gabel in einer Welt voller Suppe“.
Dass es bei der Oasis-Reunion nicht nur um das hehre Ideal spontan wiedergefundener Geschwisterliebe geht, muss guten Gewissens angenommen werden. Dazu bedarf es nicht einmal der Spekulation bösartiger Boulevard-Zungen, der wahre Grund für diese 400 Millionen Pfund schwere Comeback-Tour könnte Noels letztjährige Scheidung von seiner zweiten Frau Sara MacDonald sein, die angeblich rund 20 Millionen Pfund und sein Anwesen gekostet haben soll.
Und man muss auch nicht über übliche Schwanzlängenvergleiche mit den Dauerrivalen Blur mutmaßen, die erst im vergangenen Jahr ebenfalls in Stadien in ganz England eine glanzvolle Rückkehr hingelegt haben. Nein, bei der Motivforschung reicht eigentlich ein Blick auf die Post-Band-Karrieren der Gallagher Brothers: Die waren zwar immer einträglich, hatten aber bei Weitem nicht die Strahlkraft der gemeinsamen Jahre, an die sich Noel noch heute mit „Tränen in den Augen“ erinnert – „weil wir so verdammt gut waren“. Aber er allein hatte eben „nur“ das Händchen für eingängige, ungeniert pathetische, Beatles-informierte Melodien, nicht jedoch die stimmliche Kraft, sie zum Leuchten zu bringen – während Liam bei seinen Soloausflügen sein unverwechselbar näselndes Organ meist über Kompositionen (zuletzt etwa von Stone-Roses-Gitarrist John Squire) zu legen pflegte, die an Belanglosigkeit kaum zu überbieten waren.
Cool Britannia
Der weithin verbreitete Freudensturm angesichts der Wiederbelebung jener gemeinsamen Bandmagie lässt freilich auch vermuten, dass der Live-Bedarf mit der ersten Welle angekündigter Konzerte noch nicht gedeckt sein dürfte. Der Neo-Hype um Oasis – samt munter ratternder Meme-Maschinerie – lässt erahnen, dass die sonnenbebrillten Lads aus Manchester längst nicht mehr nur die in den Neunzigern musikalisch sozialisierte Generation abholen, die noch einmal im Parka und mit Koteletten unter dem Banner von Cool Britannia von ihrer verflossenen Jugend träumen möchte, sondern dass der Geist von unkaputtbaren Hadern wie „Wonderwall“ oder „Supersonic“ auch in der Gen Z massenhaft Anklang und so ein zweites Leben findet.
Eine Fortsetzung der Reunion-Konzertreise darf insofern als längst angedacht gelten – ob und wann sie tatsächlich realisiert wird, steht derzeit aber noch in den Sternen. Denn das wiedergefundene Mantra „Don’t Look Back in Anger“ ist, wie die Vergangenheit gezeigt hat, brüchig; es kann sich mit jedem raubauzigen Redeschwall während eines Interviews oder hinter der Bühne schnell wieder in Luft auflösen.