In ihren performativen Arbeiten ist Anne Imhof eine Choreografin, die mit präzisen Vorgaben, aber auch viel kreativem Freiraum vorgeht. Ihre Performer:innen spielen keine Rollen, treten als sie selbst in Szene. Gerne bezieht sie auch Tiere mit ein, lässt Esel, Falken oder Hunde ihr junges Ensemble begleiten, um eine gewisse Unberechenbarkeit zu gewährleisten. Ihre Modelle und Inspirationen sind ebenso divers wie ihre Kunst selbst: Imhof liebt Michelangelo und Basquiat, Barockmalerei und elektronische Musik. Im Interview untermischt Anne Imhof ihre Äußerungen immer wieder mit englischen Phrasen, sie entschuldigt sich, es bereite ihr gerade ein bisschen Mühe, sich wieder auf Deutsch umzustellen.
Auch wenn ihr gerne eine Tendenz zum „Gesamtkunstwerk“ angedichtet wird: Anne Imhof zelebriert ein eher barockes als wagnerianisches, dabei aber mit viel gothic flair angereichertes Pathos, akustisch wie visuell. Es ist kein Wunder, dass auf der Website des Bregenzer Kunsthauses von „postapokalyptischer Isolation“ die Rede ist. Eine Art tödliche Melancholie liegt in vielen Arbeiten Imhofs, in den verwischten, über Bildschirme und Fotos huschenden Gestalten ebenso wie in den giftfarbenen Atompilzen auf ihren rezenten Gemälden. Selbst wenn sie, wie in „Sex“, ein altes, von Friedrich Hollaender komponiertes, einst von Marlene Dietrich intoniertes Chanson singt, kündet sie von den dark times, denen sie schon in „Faust“ so unerschrocken ins Auge geblickt hat: „Wenn ich mir was wünschen dürfte“, heißt es im gleichnamigen Hollaender-Lied, „käm’ ich in Verlegenheit, was ich mir denn wünschen sollte, eine schlimme oder gute Zeit“.
Im KUB finde übrigens ganz entschieden keine Retrospektive statt, es seien, „ehrlich gesagt, ausschließlich neue Arbeiten“. Allerdings mit starken Rückgriffen in die eigene Biografie, zu jenen einstigen Konfrontationen mit der deutschen Underground-Szene, die sie zur Künstlerin reifen ließen. Den Aufbau ihrer Ausstellung empfindet sie, wie sie im Interview mit ihrer charakteristisch dunklen Stimme sagt, als das Lustvollste des ganzen Prozesses, als den schönsten Moment, an dem endlich alles zusammenkomme; es mache außerdem Spaß, mit ihrem „fantastischen“ Team ans Werk zu gehen. Denn anders als in den Phasen, in denen ihre Arbeiten entstehen, könne sie „am Ende total gut loslassen“.
Mit KUB-Direktor Thomas D. Trummer steht Imhof bereits seit Jahren in engem kreativem Austausch, eigentlich schon seit der Venedig-Biennale. Nach ihrer Ausstellung am Stedelijk Museum in Amsterdam 2022 und nach einer Show namens „Emo“ in ihrer Galerie in Los Angeles 2023 hatte sie den dringenden Wunsch verspürt, sich neu zu orientieren, vielleicht auch zu brechen mit den Stilen, die sie bekannt gemacht haben. Sie begann also damit, die „Erzählung“ zu ihrer Kunst und ihrer Person, „mein Narrativ anders zu gestalten, zurückzukehren zu den Orten und Ideen, aus denen ich komme, zu dem, was mich einst zur Kunst gebracht hat.“ Und das ist, auch wenn es ein wenig kitschig klingen mag: „das Leben an sich, das Zusammensein mit anderen.“
Es ist kein Zufall, dass sie das Performative als Ausdrucksmittel so früh gewählt hat. So habe sie ihre Stimme gefunden, erst über die Performance konnte sie eine Art „Dringlichkeit“ erzielen. „Kunst wird ja meist als etwas Erstarrtes präsentiert: In dem Augenblick, da sie präsentiert wird, ist sie auch am Ende, abgeschlossen. Mit den Live-Aspekten meiner Arbeit wollte ich dies immer umgehen, lieber den Moment, die Spontaneität feiern.“
Nun findet sich aber gerade in Ihrer neuen Show keine Live-Arbeit.
Imhof
Stimmt, das sind alles neue Werke, aus denen das Performative jedoch nicht wegzudenken ist. Ich gehe darin weit zurück, zitiere auch Produktionen, die vor über 20 Jahren entstanden sind.
Ihre Ausstellung trägt einen starken Titel: „Wish You Were Gay“.
Imhof
Ich fand es lustig, einen Wunsch zu äußern im Titel meiner Show, statt einfach zu deklarieren, worum es geht. Ich meine den Titel aber auch ernst.
Er ist jedenfalls eine Anregung.
Imhof
Viele meiner Arbeiten haben mit dem Körper zu tun, mit der Frage, wie er gesehen und benutzt werden kann. Ich wollte mich als eine Figur erfinden, meine Herkunft neu definieren, mich noch einmal hinterfragen. Wie wäre es etwa, wenn man keine Eltern hätte? Wo würde man dann anfangen? Meine Arbeit ist auch eine Form der Selbstbestimmung, die mit der Sehnsucht zu tun hat, sich als queere Person neu zu erschaffen. Durch ein Coming-out ein anderer Mensch zu werden.
Mit Ihrer Teilnahme an der Venedig-Biennale vor sieben Jahren hat sich Ihre Karriere stark beschleunigt. Wie haben der jähe Erfolg und der hohe Erwartungsdruck Ihre Arbeit beeinflusst?
Imhof
Nach „Faust“ war tatsächlich erst mal alles anders als davor. Nicht nur meine Kunst hat sich verändert, auch meine Freundschaften wurden in Mitleidenschaft gezogen, so wie alles andere, das mich vorher definiert hatte. Und bange Fragen taten sich auf: Wie sollte ich mit meiner plötzlichen Sichtbarkeit umgehen? Ich habe eine Zeit lang vieles ausprobiert, das Leben wie auf einem goldenen Tablett geführt; ich nahm mir all das vor, was ich als junge Künstlerin gern versucht hätte. Die Dinge hatten sich in meiner Arbeit zugespitzt, alles lief in Richtung dessen, was „Faust“ dann war: vor allem Teamwork, darin steckte viel Kollaboration. Ich wusste in jenem Moment aber auch, dass ich danach sehr vieles wieder reduzieren musste. Es war wichtig, ganz klar zu sein.
„Faust“ war nicht deutlich genug?
Imhof
Doch, schon. Ich hatte das Gefühl, zum ersten Mal künstlerisch wirklich etwas gesagt zu haben. Aber natürlich erhöht ein solcher Erfolg auch den Druck, darüber hinauswachsen zu wollen. Die Zeit um 2017 erschien mir atemlos. Ich konnte nicht mehr einfach so Dinge tun; meine Arbeit davor war ganz naiv, im besten Sinne dieses Wortes. Und der Zusammenhalt in der Gruppe, mit der ich gearbeitet habe, war schon Kritik und Auseinandersetzung genug. Aber es ist schön, wenn die Dinge sich öffnen. Ich begann die Kunst anders zu sehen, auch die Rezeption meiner Werke als etwas anzunehmen, das mir eine Art Schutzraum gewährte. Ich wusste, dass meine Stimme, wenn ich sie erhob, auch gehört werden würde. Das hat mir große Sicherheit gegeben. Ich wurde zu einer öffentlichen Künstlerin, deren Bild im Netz, auf Social Media auftauchte. Mit meiner Arbeit hatte das nicht mehr wirklich zu tun. Wenn man Erfolg hat, erschaffen die Leute ihre eigenen Ikonen und Bilder; ich fühlte mich oft regelrecht verschlungen. Aber auch das war eine Erleichterung. Die Überhöhung konnte ich mit mir selbst nicht in Einklang bringen. Mein Künstlersein habe ich nie als genialisch verstanden, ganz im Gegenteil.
Wenn wir von Ihren Einflüssen und Neigungen sprechen, müssen wir auch vom Boxen und von der Clubkultur reden, von Musik und Kino sowieso. Welche war Ihre allererste Leidenschaft? Die Musik?
Imhof
Ja, ich denke schon, aber Klang und Bild hatte ich in meiner Fantasie immer schon gemischt. Mein Zugang zur Musik war stets sehr selbstbestimmt, ungeregelt. Mich hat auch der italienische Barock sehr interessiert.
Wovon gehen Sie aus, wenn Sie Kunst machen? Auch von gegenwärtigen Ereignissen? Oder halten Sie diese eher von sich weg, um an Zeitlosigkeit zu kommen – und nicht in den Verdacht politischer Pädagogik?
Imhof
Überall auf der Welt finden Kriege statt, kämpfen Menschen um ihr Leben. Das alles will ich von mir nicht weghalten, auch die Bilder davon nicht. Der Krieg ist etwas, das uns jeden Tag betrifft – und betreffen sollte. Mir geht es aber weniger darum, mich konkret politisch zu äußern. Eher darum, aufrichtig zu sein. Das ist mehr, als bloß ein Statement zu veröffentlichen oder Dinge auf Social Media zu posten. Denn das hat keine Dauer.
Das ist ein Grundanspruch der Kunst: Sie muss vieldeutiger sein als Alltagsäußerungen oder -kundgebungen. Sie muss die Verwerfungen um uns vertiefen können.
Imhof
Trotzdem: Wenn ich nicht den Rückhalt der Menschen auf der Straße hätte und nicht im richtigen Moment meine Stimme erhebe, wäre alles andere zu wenig. Ich war immer Außenseiterin, war immer die, die nicht dazugehörte.
Sie belegen aber regelmäßig vorderste Ränge in Kunst-Bedeutungs-Ratings. Wie gehen Sie mit der Umarmung durch den Kunstbetrieb um? Oder ist das eher ein Würgegriff?
Imhof
Es gibt auch viele Stimmen gegen mich, nicht nur die Umarmung. Aber klar, ich bin sehr dankbar für Zuwendung, bin mir aber bewusst, dass es da heftige Konjunkturschwankungen gibt.
Sie haben Malerei und Zeichnung als Ihre primären Disziplinen genannt. Sind sie das noch?
Imhof
Primär ist die Performance, sie ist mein zentrales Medium. Aber auch sie beginnt oft mit Zeichnungen. Der Moment, an dem ich gemerkt habe, dass ich Leute berühren kann, kam über die Performance. Das Boxen und die Clubkultur haben mich damals nicht einfach nur beeinflusst, ich habe das gelebt. Ich wollte stark sein, teilte mein Arbeiten in Nacht- und Tag-Schichten auf. Die Nacht war für mich ein Rückzugsort, dort erst konnte ich mein Schaffen entwickeln. Die Zeit fühlt sich nachts anders an.
Schlafen Sie inzwischen mehr als früher?
Imhof
Manchmal kaum, manchmal sehr viel. Das wechselt und hängt stark damit zusammen, was ich gerade mache, wie aufregend das ist. Mein Leben hat sehr verschiedene Rhythmen.