Kino

Im Haus der Eltern: Die Covid-Comedy „Jenseits der Zeit“

Pandemische Privilegiertenkomödie: Der französische Filmemacher Olivier Assayas blickt selbstironisch auf das eigene Privat- und Berufsleben zurück. Gespräch mit einem Regisseur, der das Dunkle seiner Kunst abzuschütteln versucht.

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Vor wenigen Wochen feierte der Pariser Filmemacher Olivier Assayas („Irma Vep“; „Sils Mafia“) trotz stets jugendlicher Außenwirkung seinen 70. Geburtstag; vielleicht hatte ihn auch das nahende Jubiläum dazu bewogen, das Eigene in den Blick zu nehmen. „Jenseits der Zeit“ ist eine – mit viel Fantasie gemischte – autobiografische Übung: Zwei Brüder, nicht mehr die Jüngsten, der eine Filmemacher, der andere Musikkritiker, verbringen gemeinsam mit ihren Partnerinnen die ersten Monate der Pandemie im Haus ihrer Eltern, in einem idyllischen Anwesen im Süden von Paris. Situation und Ambiente rufen unweigerlich Erinnerungen an die Kindheit wach. Zugleich macht sich ein gewisser Lockdown-Lagerkoller bemerkbar, intensiviert durch das neurotische Verhalten des Brüderpaars, durch die Virenpanik des einen und die chronische Gereiztheit des anderen.

In exakt dieser Situation hat sich der Regisseur während des ersten Lockdowns tatsächlich befunden: gemeinsam mit seiner Freundin und seinem Bruder Michka, der die Stagnation hasste, und dessen Partnerin saß er Wochen im Haus der Eltern fest. Essayistisch erscheint der Film streckenweise; als er daran – noch im Frühling 2020 – zu schreiben begann, habe er keine Ahnung gehabt, wohin das führen würde, sagt Assayas im profil-Interview. Er plante etwas Poetisch-Experimentelles, nahm sich die Werke des Situationisten Guy Debord als Vorbild, aber auch die Filme Sacha Guitrys und Eric Rohmers. Dabei verrutschte die Selbstbespiegelung ein wenig: Der Schauspieler Vincent Macaigne, der die Regisseursfigur darstellt, ist viel jünger als Assayas und ihm auch sonst nicht übermäßig ähnlich. Schließlich wurde der Film aber „deutlich benutzerfreundlicher" als gedacht, lacht Assayas. Denn das Werk habe sich, ohne große Absicht, in eine Comedy verwandelt. „Ich hatte beschlossen, mich selbst zu karikieren."

Seinen persönlichen Werdegang und viele der Menschen, die ihm dabei begegnet sind, beschwört der Regisseur wie nebenbei herauf. Er nennt seinen – der Landschaftsmalerei in hohem Maß verpflichteten – Film eine Art Puzzle, eine Kammer, in der über zahllose popkulturelle und künstlerische Referenzen Echos entstehen. 

Geistergeschichten mochte Assayas immer schon, „aber hier befasste ich mich erstmals mit meinen eigenen Geistern, mit all diesen elterlichen Objekten, die zu Requisiten des Films wurden. Wir ließen jedes Ding an seinem Platz, fügten nichts hinzu.“ Er hatte wirklich Angst vor diesem Film, gibt er zu, aber die Arbeit seines Ensembles vor der Kamera änderte alles: „Ich brauchte diese leise Distanz zwischen Wirklichkeit und Erfindung.“ Assayas zitiert in „Jenseits der Zeit“ Literatur, Pop, Kino, vor allem aber Malerei: David Hockney, Pierre Bonnard, Auguste Renoir. „Unser Hauptbezugspunkt zur Repräsentation der Wirklichkeit, behauptet Hockney, ist nicht die Fotografie, sondern die Malerei. Und er sagt auch, dass die Fotografie und also projizierte Bilder all jenen, die gemalt haben, seit der Gotik schon bekannt waren. Denn die Camera obscura wurde ja bereits im 13. Jahrhundert auf breiter Basis benutzt. Ich fand diese Idee extrem stimulierend. In der Malerei wurde die Realität stets kopiert und transformiert. So geht auch das Kino vor." 

Das Gewicht der Geschichte spürt man in dieser luftig-leichten Inszenierung kaum. Das liege auch an seiner geradezu obsessiven Beziehung zu impressionistischer Kunst, sagt Assayas noch, zu dieser ganz speziellen Abbildung der „Schönheit der Welt". Er habe auch von all dem Dunklen, das in seinen früheren Filmen steckte, Abstand nehmen wollen. „Ich brauchte das: frische Luft, die offene Natur." Etwas zart Nostalgisches, zugleich Magisches lodert in diesem Film: die Beschwörung einer vergangenen Welt und der angehaltenen Zeit. 

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.