Kino

Im Niemandsland: Wie Agnieszka Holland mit ihrem Film „Green Border“ Polens Regierung aushebelte

Politischer Sprengstoff auf der Kinoleinwand: Die Regisseurin Agnieszka Holland schaffte es, Polens rechtspopulistische Regierung mit einem Flüchtlingsdrama gegen sich aufzuhetzen. Nun läuft „Green Border“ auch bei uns an. Protokoll eines Treffens mit der Filmemacherin in Berlin.

Drucken

Schriftgröße

Die grüne Grenze, an der diese Filmerzählung spielt, büßt gleich in der ersten Einstellung alle Farbe ein, wird aschfahl, betongrau. Im Niemandsland der Grenzlinie zwischen Polen und Belarus gibt es nicht viel zu sehen: nur Wälder, Sümpfe, Stacheldrahtzäune. „Green Border“ erzählt von diesem Ort und dem Grauen, das sich seit Sommer 2021 dort ereignet. Tausende Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan und Afrika sind hier gestrandet, weil sie den zynischen Lockrufen des belarussischen Diktators und Putin-Komplizen Alexander Lukaschenko gefolgt sind, der ihnen – um die EU zu destabilisieren – einen sicheren Weg über die grüne Grenze nach Polen versprochen hat.

Sie gehen in eine lebensgefährliche Falle. In bereitgestellten Lkw werden sie an die Grenze gekarrt, bestohlen und bedrängt, anschließend durch den Zaun auf polnisches Territorium gestoßen, wo sie von schwer bewaffneten Grenzbeamten aufgegriffen und zurück auf die andere Seite gezwungen, im Widerstandsfall auch geworfen werden – ob sie alt, schwanger oder Kleinkinder sind, spielt dabei keine Rolle. Von der Tragödie dieser Pushbacks, von der nackten Gewalt gegen Unschuldige und dem drohenden Tod im Morast der dunklen Wälder handelt Agnieszka Hollands jüngster Film, der sich zweieinhalb Stunden lang Zeit nimmt, die komplizierte Lage in aller Präzision zu schildern: die Situation von Menschen, die unwissentlich zwischen die Fronten eines erbittert geführten Ost-West-Politkonflikts geraten sind; die Indoktrination der Grenzwachen, die in den vor Bürgerkriegen Geflohenen nur „Projektile“, abzuwehrende Objekte sehen sollen; die kriminalisierte Arbeit selbstorganisierter aktivistischer Hilfsgruppen, die bei Nacht und Nebel verzweifelt versuchen, Menschenleben zu retten.

Agnieszka Holland, geboren 1948 in Warschau, ist eine kleine, dunkel gekleidete Frau, deren Willensstärke und Durchsetzungsvermögen auf den ersten Blick erkennbar ist. In der „Club Lounge“ im 11. Stock eines holzgetäfelten, am Berliner Kurfürstendamm gelegenen „Lifestyle“-Hotels, wie das im Tourismusjargon heißt, weil an den Wänden der Zimmer und Korridore viel Kunstblenderei hängt, durchmisst sie die Räume und wählt einen passenden Tisch für das profil-Interview aus. Während des Gesprächs blickt sie einen durch ihre dick umrandete Brille freundlich, aber unverwandt an, scheint nicht einmal zu blinzeln, ist vollkommen bei der Sache.

Sie nennen das Schwarzweiß Ihres Films „metaphorisch“ und „dokumentarisch“, betrachten es als „verbunden mit der Vergangenheit, dem Zweiten Weltkrieg“. Wollten Sie mit „Green Border“ auch eine Rückblende in eine Ära der Massenvernichtung andeuten?

Holland

Viele Menschen, die erlebt haben, wie es an dieser Grenze zugeht, mit all den Lastwagen, der Brutalität, den Lügen und der Entmenschlichung, fühlten sich tatsächlich zurückversetzt in eine Zeit der Deportationen. Wer durch diesen Wald geht, läuft Gefahr, auf Bewusstlose zu treten, auf verängstigte Fremde zu stoßen. Das unbehandelte Trauma des Holocaust spielt in der lokalen Bevölkerung Polens eine Rolle, da schwingt viel Schuld mit. Und plötzlich kommt das alles wieder zurück. Es ist natürlich nicht der Holocaust.

Aber so etwas wie die Rückkehr eines neuen Faschismus?

Holland

Seit 2014/15 setze ich mich intensiv mit Migration auseinander. Seit damals ist klar, dass sie Europa und uns alle fundamental verändern wird. Es wird neue, unausweichliche Gefahren geben. Die Antwort der polnischen Regierung darauf ist die Legalisierung der Gewalt, ist Propaganda für ein Klima des Ausschlusses und der Auslese, der Dehumanisierung und der Pushbacks. Viele Länder der EU nehmen den Tod Geflüchteter längst in Kauf, auch die europäische Küstenwache Frontex handelt so. Aber noch findet das meist heimlich statt, in ethischen und juristischen Grauzonen. In Polen aber behandelt man Immigranten ganz offen unmenschlich. Und man ist sogar noch stolz darauf. Das ist Faschismus.

Als „Green Border“ im vergangenen Herbst veröffentlicht wurde, kam es in Polen zu einem Eklat, zur Diffamierung Hollands durch die damals amtierende ultrarechte PiS-Regierung. Justizminister Zbigniew Ziobro warf der Künstlerin vor, die Polen wie in Nazi-Propagandafilmen „als Banditen und Mörder“ darzustellen. Premierminister Mateusz Morawiecki, Präsident Andrzej Duda und PiS-Chef Jarosław Kaczyński zogen nach, nannten Holland eine Handlangerin Lukaschenkos und Putins. Selbst unter kommunistischer Herrschaft habe sie niemals eine so brutale und persönliche Kampagne erlebt, erklärte Holland und verklagte Ziobro. Aber der Furor der Regierung liege daran, dass sie offenlege, was diese so gerne verborgen hätte. Duda erklärte, er habe den Film nicht gesehen („Ich warte ab, bis er irgendwo im Fernsehen läuft“), zitierte aber freimütig einen historisch vorbelasteten Slogan: „Nur Schweine sitzen im Kino“. Das PiS-nahe Webportal „wPolityce“ polemisierte weiter: „Der Werbeslogan eines vom Regime unterdrückten Künstlers öffnet alle Türen zu den Salons der ,progressiven’ Kreise. Vor allem, wenn das Werk antipolnische Narrative bedient. Agnieszka Holland weiß das nur zu gut. Warum kann sie so schlecht mit Kritik umgehen? Die Meinungsfreiheit erlaubt ihr, Grenzschutzbeamte als Kriminelle zu bezeichnen; warum will sie dann den Justizminister wegen ein paar starker Worte über sie verklagen?“

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.