In aller Klarheit: Thomas Heise, Filmemacher, 1955–2024
Eine gewisse Strenge war ihm eigen. Denn Thomas Heise war ein scharfer Denker, und als solcher hatte er politische und ästhetische Überzeugungen, von denen er nicht abrückte. Deutschland war Heises Heimat, Arbeitsfeld und Streitgegenstand, so hielt er es stets für richtig, sowohl zu den Scheinutopien der DDR als auch zum Turbokapitalismus der Post-Wende-BRD Distanz zu halten. Geboren und sozialisiert in der DDR, in Ostberlin, als Sohn der Germanistin Rosemarie Heise und des widerständigen Philosophen Wolfgang Heise, absolvierte er eine Druckerlehre, Regieassistenzen und Filmstudien. In den 1980er-Jahren begann er sein künstlerisches Werk, drehte erste Dokumentarfilme und gestaltete Radiofeatures; Heises frühes Schaffen wurde in der realsozialistischen Diktatur konsequent verboten und weggesperrt, erst nach dem Mauerfall konnte es sich öffentlich entwickeln.
In den 1990ern inszenierte Heise auch am Theater, vor allem am Berliner Ensemble, gerne Werke von Bert Brecht und Heiner Müller, aber das Kino wurde mehr und mehr zu seinem eigentlichen, seinem entscheidenden Medium. Mit Filmen wie „Stau“ (1992), einer Milieustudie der rechtsradikalen Jugend, wie „Barluschke“ (1997), „Mein Bruder“ (2005) oder dem Archivsplitterfilm „Material“ (2009) machte er sich einen Namen und als eines der Kraftfelder des essayistisch-dokumentarischen Kinos in Deutschland unentbehrlich.
Vor einer Woche nun erlag Heise, der ab 2013 in Wien neun Jahre lang eine Professur für Kunst und Film an der Akademie der bildenden Künste inne hatte, einer, wie es in solchen Fällen oft heißt, „kurzen, schweren Krankheit“ in seiner Heimatstadt Berlin, 68-jährig erst. Noch im Februar war er bei der Berlinale als Mitglied der Dokumentarfilm-Jury kritisch tätig, hatte mitgeholfen, „No Other Land“, das umstrittene Werk eines palästinensisch-israelischen Kollektivs auszuzeichnen. Heises unkorrumpierbarer Blick auf die Welt, die Menschen und nicht zuletzt sich selbst ist im Kino nun für immer aufbewahrt.
Im Österreichischen Filmmuseum, wo Thomas Heise oft zu Gast und 2014 auch das Zentrum einer umfassenden Retrospektive war, gedenkt man ihm am kommenden Sonntag, am 9.6., ab 13 Uhr, auf die bestmögliche Weise: mit der Vorführung seines letzten Films, der – 2019 fertiggestellt – tatsächlich zu einem Opus Magnum geworden ist. In Heises gut dreieinhalbstündigem Monumentalwerk, das er „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ nannte, verfolgt der Regisseur, über persönliche Briefe, Fotos und andere Dokumente, die bewegte Geschichte seiner Familie über vier Generationen: von den Präliminarien des Ersten Weltkriegs und den Briefen seines Großvaters bis in die bleierne Zeit der DDR hinein und weiter in die Gegenwart – eine singuläre Chronik zwischen Berlin und Wien, die das zugleich höchst private wie universal gültige Psychogramm eines katastrophalen Jahrhunderts erstellt: ein Meisterstück der essayistischen Form, in dem auch die traumatischen Langzeitwirkungen des Nationalsozialismus untersucht werden. Thomas Heises sonore Stimme begleitet diesen poetischen, lebensklugen letzten Film – in aller Klarheit, Ruhe und Rigorosität.