In der Mutanten-Disco
Unergründlich klingen die acht nachtfarbenen, mehrheitlich elektronischen Tracks, die das Wiener Duo Tearing zu seinem Debütalbum kompiliert hat (es ist auf der Bandcamp-Seite des Innovativ-Pop-Labels Ventil Records erhältlich und auf Soundcloud zu streamen): Sehnsuchtsvolle Klangschubkräfte sind hier am Werk, dunkle Mysterien aus den Schaltkreisen der Ohnmacht.
Der Bassist Manu Mayr, eine Hälfte des fabelhaften, viel zu wenig bekannten Electro-Noise-Projekts schtum, lässt sich neuerdings auch auf die Vokal- und Synth-Künste von Lens Kühleitner, auch bekannt als Lan Rex, ein. Gemeinsam zeichnen die beiden für Komposition, Text und Produktion aller Stücke verantwortlich. Ihr Mini-Album, das mit rund 27 Minuten Laufzeit eher bloß EP-Länge hat, haben sie ebenso vieldeutig betitelt wie sich selbst (tearing, das kann „(zer)reißen“, aber auch „tränen“ heißen): „all sides find insides“ ist der Name dieser Song-Kollektion – ein Trip in zerklüftete Gedanken- und Gefühls-Innenwelten.
Man bemerkt es vermutlich schon: Tearing tendieren zur Abstraktion. Ihre dunkel synthetischen Cold-Wave-Songs sind von großer Präzision, spärlich instrumentiert, voller fremder Melodien und frostigem Pathos, mit pochenden Drum-Machines und scharfkantiger Elektronik, der Gesang oft gefiltert und verzerrt: Mutanten-Tanzmusik, die bisweilen von fern an die avanciertesten Momenten von Depeche Mode erinnert oder einen ins weite Land der stimmlichen Forschungsreisen Holly Herndons versetzt.
Die Band selbst spricht von der „Hyperrealität und Künstlichkeit der Klänge“, von „ätherischer Klarheit und raffinierten Klangcollagen“ – und sie arbeitet in wohltuender (und maximaler) Distanz zu den hierzulande leicht überrepräsentierten Genres Wienerlied, Trap und Austropop: „all sides find insides“ darf man zu den eigensinnigsten österreichischen Pop-Experimenten der letzten Jahre zählen. Große Empfehlung.