INSZENIERUNG Lee Miller, David E. Scherman: "Lee Miller in Hitlers Badewanne", München 1945

In Hitlers Wanne: Die vielen Leben der US-Künstlerin Lee Miller

Mannequin, Muse, Fotografin, Kriegsreporterin: Die US-Künstlerin Lee Miller lebte viele kreative Existenzen. Die Wiener Albertina zeigt ihr vielschichtiges, zwischen Surrealismus und KZ-Bildern schillerndes Œuvre.

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Auf den ersten Blick könnte man das Bild für harmlos halten. Eine Werbung für Haarshampoo vielleicht? Eine hübsche Frau mittleren Alters sitzt in der Badewanne, träge liegt ihre Hand auf der Schulter. Auf dem Tisch daneben steht eine Kleinplastik, ein Akt in klassizistischem Stil. Bei näherem Hinsehen erkennt man, dass hier etwas nicht stimmt. Vor der Wanne steht ein Paar schmutzige Stiefel, neben der Badenden lehnt ein Porträt Adolf Hitlers.

Das Foto entstand vor exakt 70 Jahren, am 30. April 1945, in der Prinzregentenstraße 16, München - in der Wohnung des "Führers“, der sich am selben Tag das Leben genommen hatte. Die Frau, die hier nur scheinbar so unbeschwert ihren Körper pflegt, heißt Lee Miller. Die Wiener Albertina präsentiert demnächst, erstmals ausführlich in Österreich, das Œuvre dieser ebenso rastlosen wie faszinierenden Künstlerin, die zu jener Zeit als Kriegskorrespondentin für das Magazin arbeitete, das sie Jahre zuvor als Model auf das Cover gegeben hatte: die "Vogue“. Minuziös schildert die damals 38-Jährige im Juni 1945, in ihrem Bericht für das Modemagazin, der den Titel "Hitleriana“ trug, nicht nur die Einrichtung der Diktatorenwohnung ("Das Schlafzimmer war mit Chintz tapeziert, das Bett mit dem gleichen Stoff bezogen“), sondern berichtet auch detailreich über die Ausstattung im Haus von Eva Braun: "Auf der Frisierkommode mit hohem Spiegel lag allerlei Krimskrams - Pinzetten, Nachfüllungen für Elizabeth-Arden-Lippenstifte, eine halbe Flasche Arden-Gesichtswasser, kleine Trichter und Spatel zum Umfüllen von Kosmetika.“ Dort warf sich Miller ebenfalls in Pose: Ein Bild zeigt die Fotografin, nachlässig im Bett der Geliebten Hitlers lümmelnd, genüsslich an einer Zigarette ziehend. Ein stärkerer Kontrast zum nationalsozialistischen Ideal der deutschen Frau ist kaum vorstellbar.

Die Fotografien schuf Miller gemeinsam mit ihrem Kollegen und Geliebten David E. Scherman. Sie nahmen den privaten Bereich eines gestürzten Tyrannen in Beschlag, in einer Art Siegesgeste, so wie in jüngerer Vergangenheit US-Soldaten in Saddam Husseins Pool planschten und Rebellen den Palast Muammar al-Gaddafis stürmten - mit dem Unterschied nur, dass Hitlers Badezimmer weitaus weniger pompös war. Der oft zitierte Begriff der "Banalität des Bösen“ (Hannah Arendt) passt sogar auf die Gemächer des Naziherrschers.

SCHRECKEN - "Ein toter SS-Wachmann treibt im Kanal", Dachau 1945

Wenige Stunden vor der Entstehung der Bilder im Hitler-Haus hatte das Fotoreporter-Duo im Konzentrationslager Dachau fotografiert, das erst einen Tag zuvor befreit worden war. Die Zustände waren derart desaströs, dass noch immer Menschen starben. "Während der wenigen Minuten, die ich brauchte, um Fotos zu machen, wurden zwei Tote gefunden. Die Leichen wurden umstandslos herausgezerrt und draußen vor dem Block auf einen Haufen geworfen. Niemanden schien das zu stören“, berichtete Miller in der "Vogue“. Dennoch scheute sie nicht davor zurück, an das Grauenhafte so nah wie möglich heran zu zoomen. Tote Gesichter mit aufgerissenen Augen starren den Betrachter an, fixieren seinen Blick geradezu, entziehen sich der Anonymität. Ein toter SS-Aufseher treibt in einem Kanal, ein anderer hat sich an einem Heizkörper erhängt. "Man meint, sich selbst in diesen Fotos zu befinden, anstatt auf Distanz zu sein“, bemerkte Lee Millers Biografin Carolyne Burke. Kurator Walter Moser, der für die Albertina-Ausstellung verantwortlich zeichnet, formuliert es so: "Miller ging viel näher an die Dinge heran als andere Fotografen. Während sich etwa Robert Capa weigerte, in den KZs zu fotografieren und Margaret Bourke-White die Kamera fast wie ein Schutzschild einsetzte, kletterte Miller in die Waggons mit den Leichen.“

Auch in Buchenwald entstanden schockierende Bilder, bisweilen durchaus zwiespältige Werke. Denn Miller setzte dabei, wie in dem berühmten Badewannenfoto, ihre inszenatorischen Fähigkeiten ein, die sie sich während ihrer Karriere als Künstlerin angeeignet hatte. So ließ sie ehemalige Häftlinge, noch in Lageruniform, vor einem Haufen von Gebeinen Aufstellung nehmen - Fotos, die sichtlich gestellt sind.

Aus Lee Millers KZ-Reportagen spricht nicht nur Mitleid, sondern, mehr noch: der pure Hass auf die Kriegsverbrecher. Noch viel später, so berichtete Millers 1947 geborener Sohn Antony Penrose vor Jahren, brach sie sogar mit einer Freundin, weil diese einen Deutschen geheiratet hatte, und bekam Wutanfälle, sobald sie jemanden Deutsch sprechen hörte. Als sie 1945 das zerbombte Wien sowie Kinder in Spitälern ablichtete, schilderte sie in ihrem Bericht auf fast unerträgliche Weise das Sterben eines Säuglings und urteilte nur wenige Absätze später scharf: "Das ist eine alberne, einfältige Stadt. Sie ist nicht böse, niederträchtig oder tragisch. Ein unverdientes Schicksal ist eine Tragödie, die gerechte Strafe für niederträchtige Nazis ist keine.“ Die Opferthese, auf der das Nachkriegs-Österreich lange Zeit sein trügerisches Selbstverständnis baute, bezweifelte die klarsichtige Amerikanerin von Anfang an.

DRAMA - "Irmgard Seefried, Opernsängerin, singt eine Arie aus ‘Madame Butterfly'", Wien 1945

Millers Einstieg in die Kriegsreportage gestaltete sich ebenso zufällig wie so vieles in ihrem Leben, das bei näherer Betrachtung in mehrere, sehr unterschiedliche Phasen zerfällt. 1907 in Poughkeepsie als Elizabeth Miller geboren, büxte sie als Teenager nach Paris aus, schrieb sich mit 19 in New York City an der Art Students League ein und wurde nur Monate später Fotomodel: Angeblich stieß sie zufällig auf den Zeitschriftenmogul Condé Nast, als dieser sie vor einem heranrauschenden Auto rettete - eine schöne Anekdote, deren Wahrheitsgehalt freilich schwer überprüfbar ist. Als kühle, blonde Schönheit mit klassischen Gesichtszügen posierte sie für Mode-Starfotografen wie Edward Steichen und George Hoyningen-Huene. Doch Miller, unruhig, leidenschaftlich, ambitioniert, war das nicht genug, sie wollte selbst künstlerisch tätig werden und wurde schließlich Schülerin sowie Geliebte des Fotografen Man Ray. Auch um diese Liaison ranken sich Anekdoten: Forsch soll sie sich einst dem Avantgardisten in den Weg gestellt haben - mit den Worten: "Mein Name ist Lee Miller, und ich bin Ihre neue Schülerin.“

Die 1930er-Jahre verbrachte sie, nachdem sie in Jean Cocteaus epochalem Film "Das Blut eines Dichters“ (1930) eine zum Leben erwachende Marmorstatue gespielt hatte, großteils in den Pariser Surrealistenkreisen, absolvierte diverse Affären und lernte ihren späteren Ehemann Roland Penrose kennen. Mithilfe surrealistischer Techniken und einem Blick für das Ungewöhnliche, Assoziative entwickelte sie ihre Kunstfotografie weiter: Da greift ausrinnender Teer wie eine Krake nach Füßen, wächst aus dem Kopf von Charlie Chaplin ein Luster. Nichts war Miller zu absurd: So arrangierte sie auf einem Teller nonchalant sogar eine amputierte Brust, gerade so, als könne man sie mit dem bereitliegenden Besteck jeden Moment aufessen.

1940 heuerte sie bei der "Vogue“ an, diesmal nicht als elegant-mondänes Model wie noch wenige Jahre zuvor, sondern als Modefotografin. "Geisttötende Routinefotos von Handtaschen und Schuhen“ habe sie damals hergestellt, sagt Sohn Penrose. Da die Fotostudios bei Luftangriffen zerstört worden waren, musste Miller auf Außenschauplätze ausweichen, ließ ihre Models etwa vor zerbombten Eisenbahnstationen posieren. Das Interesse der abenteuerlustigen und unkonventionellen Frau verlagerte sich bald auf die schwierige Situation der Bevölkerung und die Bombenschäden. Penrose: "Kleider und Handtaschen zu fotografieren, muss Lee angesichts der Lage unerträglich belanglos vorgekommen sein; sie wünschte sich sehnlichst, aktiv am Krieg teilzunehmen.“ Was ihr bald gelang: 1942 akkreditierte sie sich als Kriegskorrespondentin, begleitete als "embedded journalist“ den Vormarsch der US-Truppen in Frankreich. Zunächst dokumentierte sie das Geschehen auf Krankenstationen, unter anderem auch an der französischen Küste, bei Omaha Beach. Eines der dort entstandenen, bislang unveröffentlichten Fotos zeigt profil, ebenso wie ein Porträt von Millers Wegbegleiter und Lebensmensch David E. Scherman, zum ersten Mal (siehe aktuelle Printausgabe).

Schon bald zog es Lee Miller also weg von den Krankenschwestern, hin zu den Soldaten, an die Front. "Damit drang sie in Männerdomänen ein“, erklärt Kurator Moser. Millers eigene Worte geben Aufschluss über ihre Arbeitssucht, die sie offenbar jegliche Grenzen - nicht nur traditionelle Geschlechterrollen - überschreiten ließ. "Mehr als alles andere möchte ich in der Lage sein, den Krieg in Europa bis zum Ende zu verfolgen“, schrieb sie an die "Vogue“-Herausgeberin Audrey Withers im Dezember 1944. Und Scherman erklärte später recht schonungslos: "Wenn sie je einen emotionalen Zusammenbruch hatte, war es die anschließende Enttäuschung nach dem Dachau-High (…). Die Enttäuschung, ‚keine heiße Erfolgsstory mehr‘ zu machen.“

Setzte sie deshalb einen derart radikalen Schnitt unter ihr bisheriges Dasein? Nach 1945 zog Lee Miller sich zurück, beendete die Affäre mit Scherman, kehrte zu ihrem Ehemann, dem surrealistischen Maler, Kunstvermittler und Schriftsteller Roland Penrose zurück, wurde Mutter und widmete sich dem Kochen sowie ihrem weiten und illustren Freundeskreis. Auf Alkoholismus und Depressionen folgte 1977 der Krebstod. Sie wurde 70 Jahre alt. Ihr fotografisches Werk hatte sie in ihren späten Jahren geradezu verleugnet. Erst um 1980 entdeckte ihr Sohn viele der heute so berühmten Arbeiten auf dem Dachboden.

Scherman beschrieb Lee Miller als ambivalente Figur: "Sie war eine vollendete Künstlerin und ein vollendeter Clown, gleichzeitig eine Hinterwäldlerin aus Upstate New York und eine kosmopolitische Grande Dame, kaltes, soigniertes Fashion Model und Wildfang.“ Und wohl vor allem eines: unerschrocken. Es gehört schließlich einiges an Wagemut dazu, vor den Augen der Welt ein Bad in Hitlers Wanne zu nehmen.

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer