"Emo-Rapper" Casper

In Würde gealtert: Der deutschsprachige HipHop

Deutschsprachiger HipHop ist in die Jahre gekommen - und in eine Ära der neuen Vielfalt. Heute kann die ganze Familie gemeinsam Rap hören.

Drucken

Schriftgröße

Die Wohlstandswampe des HipHop ist unübersehbar: nicht nur, weil er in die Jahre gekommen ist, sondern auch, weil er seine Relevanz auf dem Musikmarkt behalten hat. So verbucht HipHop seit 2014 weltweit die meisten Streams. In Deutschlands iTunes-Jahrescharts finden sich fünf deutschsprachige Rap-Alben in den Top 10. Und in Österreich durfte ein heimischer Rapper, Nazar, sogar in der Jury einer ORF-Castingshow zum Song Contest sitzen.

Seit seinen Anfängen im New York der 1970er-Jahre streiten Bildungseliten und Medien über HipHop: Zum einen wird kaum einem Genre ein größeres Potenzial zur Selbstermächtigung zugestanden; zum anderen bedient keines mehr diskriminierende Stereotype. Fest steht: Deutschsprachiger HipHop war nie vielfältiger als heute. Doch was hat sich geändert, seit der Heidelberger Pionier Torch in den mittleren 1980er-Jahren dem Rap die deutsche Sprache zeigte?

"Rap hat sich dem Showgeschäft untergeordnet"

"Früher musste man sich noch rechtfertigen, wenn man in den Charts war. Heute muss man sich rechtfertigen, wenn man es nicht ist“, sagt der Hamburger Denyo, der mit Jan Delay und den Beginnern Ende der 1990er-Jahre den Deutschrap-Goldrausch in Deutschland anführte. "Rap hat sich dem Showgeschäft untergeordnet, alles ist durchdesignt. Was echt ist und wo die Liebe zur Kunst steckt, wird oft nur schwer greifbar“, sagt Denyo nüchtern, der gerade sein Album "Derbe“ bewirbt.

Gleichzeitig hat das Internet eine breitere Basis an Künstlern geschaffen, die sich ohne Label über Wasser halten. Diese Generation, die ihre Einflüsse über Blogs, YouTube und SoundCloud vor allem aus den USA importiert, verkörpert der Salzburger HipHopper Crack Ignaz. Der Mittzwanziger übersetzt modernen Cloud-Rap in österreichische Mundart, über Webvideos auch in deutschen Szenemedien beachtet. Mit Standardvokabeln wie "Realness“ kann er nichts anfangen: "Ich finde es ignorant, von Musik zu verlangen, die Wahrheit zu sprechen. Wenn ich Texte schreibe, vermischen sich zwangsläufig Realität und Fiktion.“

Die - nach dem Boom der 1990er-Jahre - zweite Erfolgswelle des deutschen HipHop stand im Zeichen der Inszenierung des Gangsta-Rap. Vor allem die Berliner Sido und Bushido lieferten Mitte der Nullerjahre eine neue Härte in die Charts, Stumpfsinn, Machismo und Materialismus inbegriffen. Eine Textzeile des Rappers Kollegah brachte den Paradigmenwechsel auf den Punkt: "Eure vier Elemente sind Spray’n geh’n, Turntables, Breakdance und Rapshit. Unsere vier Elemente: Geld zähl’n, Girls klär’n, Gangbang und McFit.“

"Emo-Rapper", Pandamasken, Konsumkritik

Seit den Zehnerjahren scheint im deutschen Mainstream-HipHop aber alles möglich zu sein: "Emo-Rapper“ wie Casper und Prinz Pi wurden zu Symbolfiguren der Generation Praktikum. Marteria belebt die Geister seiner Ahnen neu, Pandamasken-Rapper Cro holt die Teenies von der Gosse in den Streichelzoo, Deichkind und Ferris MC tanzen Konsumkritik. Und das Feuilleton erfreut sich an der Goethe’schen Wortgewalt integrierter Straßenrapper wie Haftbefehl oder Kollegah. HipHop und seine vielen Gesichter haben sich im Mainstream-Pop breitgemacht.

In Österreich blieb der große Boom jedoch weitgehend aus, abgesehen von Sonderfällen wie Nazar. "Als Rapmusiker ist man gezwungen, Underground zu sein“, sagt etwa Flip, MC und Produzent der Linzer Band Texta, Österreichs Szene-Konstante. "Als deutschsprachiger Rap in Deutschland überall im Radio lief, verweigerte sich Ö3. Lediglich FM4 fördert österreichischen Rap“, sagt Flip. Dennoch erzielten Rapper wie Chakuza und RAF Camorra nennenswerte Erfolge in Deutschland - allerdings mussten sie dafür erst dorthin auswandern. Hierzulande erreichten die Vamummtn, Skero oder Dame über YouTube ein größeres Publikum.

Und die Frauen im österreichischen HipHop? Sie kämpfen weiterhin gegen das Klischee, Rap sei Männersache. Die Rapperin und Slampoetin Yasmin Hafedh aka Yasmo, 24, kommt ohne Kraftausdrücke, bitchy Image und Technikverbissenheit aus: "Frauen haben vielleicht mehr Hemmungen, sich an HipHop zu wagen. Aber harte Arbeit, Skills, Competition und Respekt können wir auch.“ Wie Yasmo beweisen umtriebige Indie-Labels wie Duzz Down San, Honigdachs, Tonträger oder Hector Macello, dass sich Qualität nicht zwingend in Verkaufszahlen niederschlagen muss. Was vielleicht sogar nachhaltiger ist: Ein Wohlstandsbäuchlein kann auch durch ungesunde Ernährung entstehen.