Affäre

Innere Lehre: Unmut und Turbulenzen an der Wiener Angewandten

An der Universität für angewandte Kunst in Wien herrscht gewaltige Unruhe. Insider berichten von Willkür, Angst und einem „Kahlschlag quer durch die Organisation“. Gespräche würden systematisch verweigert, es brenne „an allen Ecken“. Spurensuche in einem angeschlagenen Haus.

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Wenn man sich an der Wiener Universität für angewandte Kunst in diesen Tagen umhört, stellt man einen Generalton der Irritation fest: Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter auch Führungskräfte, berichten von Willkürentscheidungen, von einem System der Verachtung und der Angst, von verbreiteten Unwahrheiten und eklatant mangelnder Kommunikation; die Situation sei insgesamt „unerträglich“, in der Belegschaft verbreite sich Verzweiflung. Die Fluktuation am Haus ist hoch; es hagelt Kündigungen und Zwangspensionierungen, viele suchen auch freiwillig das Weite. Unter der Ägide der seit einem knappen Jahr amtierenden Rektorin Petra Schaper Rinkel liegen inzwischen ganze Abteilungen weitgehend brach. 
Als profil vor zwei Wochen einen Bericht über die ersatzlos gestrichene Film- und Medienprofessur an der Angewandten veröffentlichte, verdeutlichten die Reaktionen darauf, dass damit nur die Spitze des Eisbergs berührt war. Betroffene meldeten sich, um darauf hinzuweisen, dass die Situation an der Kunsthochschule weit desaströser sei, als unser Artikel andeute. Also ging die Recherche weiter, diesmal mit Blick aufs größere Ganze. Was geschieht an der Wiener Kunstinstitution?

Erratische Entscheidungen
Eine wiederkehrende Erzählung geht so: Man richte dringende E-Mails an die Rektorin, erhalte aber nie eine Antwort. Wieso verweigert Schaper Rinkel so oft den Dialog? Hat dies System? Auch die Fragen, die profil zwei Tage vor Drucklegung an das Büro der Rektorin richtete, beantwortete diese, erst in letzter Sekunde, ausweichend mit einem „Statement“: Es gebe „nach mehr als zwei Jahrzehnten Kontinuität im Rektorat der Angewandten zahlreiche Veränderungen, divergierende Wünsche und unterschiedliche Einschätzungen, die mit viel Dialog zwischen den Gremien der Universität zu Neuerungen führen.“ Zehn neue ProfessorInnen hätten im Oktober 2023 ihre Tätigkeit aufgenommen.

„Wir als Rektorat sind im intensiven Dialog mit Abteilungen und Instituten“, widerspricht Schaper Rinkel den vielen Schilderungen aus dem Inneren ihres Hauses dezidiert. Sie schließt mit den Worten: Kritik und Konflikt seien der „Motor für Veränderung, für gesellschaftliche Neuorientierung, für das Ungestüme, das Leidenschaftliche, das Verändernde.“
profil hat im Rahmen dieser Recherche ausführliche Gespräche mit einer Reihe von Menschen geführt, die den Betrieb an der Angewandten intern und bestens kennen, weil sie dort arbeiten, zum Teil seit Jahrzehnten. Das Bild, das aus ihren Berichten entsteht (viele wollen vorsichtshalber nicht namentlich genannt werden, Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel), ist dramatisch: Es erzählt von toxischen Führungsmethoden und rücksichtslosen Umgangsformen, von Kontaktabbruch und Fehlentscheidungen, falschen Auskünften und hoher Druckausübung.
Andrea Schaffar, Universitätsassistentin und Postdoc im Feld der Cross-Disciplinary Strategies (CDS), gehört nicht zu denen, die noch vorsichtig sein wollen. „Die neue Rektorin und ihre Vertrauten produzieren derzeit einen Kahlschlag quer durch die Organisation. Es brennt an allen Ecken“, sagt sie. „Die Bibliotheksleitung wurde abgesetzt, die Kommunikationschefin und die Leiterin der Personalentwicklung gingen ab, auch die Leiterin der Transformation Studies wurde abserviert. Die Liste ist lang, die Verärgerung hoch.“ Sogar die für Konfliktbegleitung am Haus zuständige Person sei inzwischen gekündigt worden, berichtet eine Studierende fassungslos.
„Einige missliebige Bereiche laufen weiter, aber da wird dann eben das Budget gestrichen“, so Schaffar. „Manche haben also Anstellungen, aber kein Geld, um operativ zu bleiben. Das ist die Strategie: Man zieht den Leuten den Boden unter den Füßen weg, um sie handlungsunfähig zu machen.“ Laut Arbeiterkammer komme es seit Schaper Rinkels Antritt gehäuft zu Beratungsanfragen. 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.