Die neue Rektorin bringt jedoch nicht nur Kollegen und Kolleginnen gegen sich auf, sondern auch viele der Studierenden selbst. Statt die massiven Konflikte zu thematisieren, die sich in pro-palästinensischen Demonstrationen an der Angewandten nach dem 7. Oktober 2023 auftaten (inklusive Leugnung des Hamas-Terrors), setzte die Rektorin erneut auf Ignoranz und Gesprächsverweigerung. Daraufhin versammelten sich Studentinnen und Studenten zu einer Sitzblockade vor dem Rektorat, hinterließen rote Handabdrücke an der Bürotür. Manifeste Probleme schafft man mit Verdrängung nicht aus der Welt.
Man habe den Verdacht, es herrsche ein ungeahnter neoliberaler Geist am Haus, sagt eine Studierende, und die verheerende Stimmung kriege man tatsächlich überall mit, weil sich inzwischen auch die Lehrkräfte ständig öffentlich darüber austauschten.
Das 2021 novellierte Unterrichtsgesetz scheint den Problemen Vorschub geleistet zu haben: Es verleiht Hochschulrektoraten deutlich mehr Macht als früher. Ein Gefühl der Unsicherheit verbreite sich derzeit an der Angewandten, viele fürchteten sich regelrecht vor der Chefin, heißt es. Sie ignoriere die Befindlichkeiten derer, die am Haus gute Arbeit leisten, heißt es, sie spalte mit verächtlichen Bemerkungen und ungedeckten Behauptungen immer wieder die Belegschaften. Die Situation an der Angewandten sei „hochfrustrierend“, hört man vielfach, ein Abteilungsleiter spricht gar von einem „Regime der Angst“.
Fast durchwegs Frauen gekündigt
Wie konnte es dazu kommen? Anfang Oktober 2023 trat Petra Schaper Rinkel an der Angewandten als Rektorin und Nachfolgerin des mehr als zwei Jahrzehnte dort amtierenden Gerald Bast an. Die Politikwissenschaftlerin und Innovationsforscherin war davor drei Jahre lang Vizerektorin für Digitalisierung an der Karl-Franzens-Universität in Graz. Ihr Vorgesetzter dort: der jetzige Bildungsminister Martin Polaschek. Das Motto, das die heute 58-Jährige in Wien ausgab, lautet: „Zukunft öffnen“. Das müsse aber, sagte sie vor zwei Wochen im profil-Gespräch, „mit jüngeren KünstlerInnen und ForscherInnen verbunden sein“. Tatsächlich seien alle 65-Jährigen am Haus, wie es heißt, „gnadenlos und stante pede“ pensioniert worden, obwohl es bei einigen mehr als gute Gründe gegeben hätte, sie um ein, zwei Jahre zu verlängern. Und es sei auffällig, bemerkt eine Informantin, dass es fast durchwegs Frauen seien, die Schaper Rinkel gekündigt habe.
Als Führungskraft an einer Kunsthochschule wird Schaper Rinkel wenig Kompetenz zugetraut: Sie komme aus den Bereichen Technik und Wissenschaft; Führungstalent und Begabung für Change Management an einer Kunstuni sprechen ihr viele ab, sie wirke überfordert. Eine Person, die Schaper Rinkel gut kennt, sagt dies: Die Rektorin teile die Welt in Menschen ein, die entweder für sie oder gegen sie seien. Und sie wechselt gern jäh die Ebenen, reagiert auf professionelle Konflikte mit persönlichen Beleidigungen. Die Universität sehe sie als ihre Spielwiese, als wäre die Angewandte ihr „persönlicher Trip“. Wertschätzung für all das Sinnvolle, das am Haus in der Vergangenheit passiert sei, besitze sie nicht. Was alt sei, werde weggeschafft. Vor allem die Lieblingsprojekte ihres Vorgängers, in denen es um Transdisziplinarität und Kooperationen gehe, stünden ganz oben auf der Eliminierungsliste der Rektorin.
„Auch unsere Abteilung ist gefährdet“, sagt Andrea Schaffar. Ihre CDS sind einer der größten Studiengänge an der Angewandten, die Studierenden stammen aus der ganzen Welt. „Bei uns wird keines der gegenwärtig sechs Teammitglieder im Herbst noch anwesend sein - der einzige Kollege mit unbefristeter Stelle ist in Babykarenz. Wie da der Studienbetrieb weitergehen soll, steht in den Sternen und scheint intern niemanden zu interessieren. Schriftliche Zusagen werden nicht eingehalten und Personen angestellt, bei denen fraglich ist, ob sie für diese Art der Arbeit qualifiziert sind.“ CDS sei ein „ein innovatives Studium mit hoch engagierten Studierenden“, bestätigt Schaper Rinkel, zugleich aber auch „eine Abteilung mit langandauernden Konflikten“, es werde ab Oktober eben eine neue Leitung haben.
Das neue Universitätsgesetz (UG) veränderte alle Masterprogramme, auch den von Manfred Nowak seit 2021 an der Angewandten verankerten Master of Arts in Applied Human Rights: Das ist ein vielbeachterer Lehrgang, der Kunst und Menschenrechte verbindet, er war der erste seiner Art weltweit. Er ist durch Studiengebühren und Stipendien zu finanzieren, aus dem Uni-Budget kommt dafür kaum etwas. Die durch die UG-Novelle nötige Curriculums-Änderung benutzte die Rektorin nun dazu, den Lehrgang zu demontieren, dem Vernehmen nach ohne Angabe von Gründen: Ab 2025 wird es keinen Menschenrechtsmaster an der Angewandten mehr geben.
„Moralisch, menschlich, rechtlich dubios“
Die Medien- und Kunsttheoretikerin Katharina Gsöllpointner arbeitet seit 2005 an der Angewandten, seit März 2023 leitet sie ein interuniversitäres Kooperationsprojekt mit der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz, die Art x Science School for Transformation, die sie davor bereits aufgebaut hat; das hätte sie eigentlich noch bis Herbst 2025 tun sollen. Schaper Rinkel hat sie aber nun per 30. September 2024 gekündigt. „Die Stimmung am Haus“, sagt Gsöllpointner, „ist von Misstrauen und ganz schlechtem Management geprägt. Da passieren Dinge, die nicht nur moralisch und menschlich sehr fragwürdig, sondern auch rechtlich dubios sind. Die Angst um Arbeitsplätze geht um. Die Leute sitzen heulend im Stiegenhaus oder in der Cafeteria, weil sie von der Rektorin angegangen wurden.“ So komme es dazu, dass „die besten Leute kündigen und sich neue Jobs suchen“. Andere fielen ins Burnout, seien wochen- oder monatelang im Krankenstand. „Ein klassischer Indikator für Versagen auf Leitungsebene“, so Gsöllpointner.
Viele am Haus vermissen klare Richtungsvorgaben, eine Idee, wofür die Rektorin steht. Sie führe gerne jene drei AI-Professuren ins Treffen, die sie installieren wolle, aber niemand scheint zu wissen, was das inhaltlich genau sein sollte. „Mir wurden als Leiterin der School for Transformation aus nicht nachvollziehbaren Gründen nur Prügel vor die Füße geworfen, das Budget komplett entzogen, Gastvorträge untersagt – letzteres übrigens ein klarer Eingriff in die Freiheit der Lehre.“ So kommentiert Katharina Gsöllpointner ihre Situation an der Angewandten. Zudem habe die Rektorin, das bestätigen viele der Lehrenden, „eine stark abwertende, unangenehme Haltung, allem und jedem gegenüber.“
Kommunikationsdiskrepanzen
Auch der Senat, das „akademische“ Leitungsorgan der Universität, das die Curricula inhaltlich zu gestalten und formell zu erlassen hat, zeigt sich inzwischen offensichtlich irritiert über die Alleingänge des Rektorats. In einem am 22. April dieses Jahres gesandten Brief an die Rektorin, der profil vorliegt, schreibt die Senatsvorsitzende, Anja Jonkhans, dass „kritische Anmerkungen des Senats zum Entwicklungsplan 2025 bis 2030 vom Rektorat nicht berücksichtigt“ worden seien, und dass auch die Leistungsvereinbarung dem Senat, anders als besprochen, nicht vorab vorgelegt worden sei. Man orte zudem „Diskrepanzen“ in der Kommunikation des Rektorats auch mit den Abteilungen und bemängle dessen falsche Auskünfte an Studierende. Der Senat habe übrigens unlängst beschlossen, so hört man, alle Gespräche mit der Rektorin aus offenbar gegebenem Anlass nur noch zu zweit führen zu wollen.
Gabriele Jutz, die scheidende Film- und Medienprofessorin, die seit über 30 Jahren an der Angewandten arbeitet, stellt fest: „Noch nie war die Stimmung unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so düster wie seit Schaper Rinkels Amtsantritt.“ Es sei „nicht nachvollziehbar“, weshalb im Fall verdienter älterer Kolleginnen „ohne Not die wenig wertschätzende Variante einer Kündigung gewählt wird. Die adäquate Vorgangsweise wäre eine einvernehmliche Auflösung der Dienstverträge.“ Derlei "Agieren gegen jegliche Vernunft", so Jutz, könne nur „als Ausdruck einer Machtdemonstration gesehen werden“, dabei werde weder auf soziale Aspekte noch auf inhaltliche und strukturelle Aspekte Rücksicht genommen.
Die Zukunft ist Petra Schaper Rinkels Fachgebiet. An der Angewandten steht diese nun auf dem Spiel.