Interview mit Isabelle Huppert: "Gefahr ist ein Instrument"

Die französische Starschauspielerin Isabelle Huppert über die Widersprüche ihres Berufs, ihre Proben-Aversion, körperliche Herausforderungen und schlechte Regisseure.

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INTERVIEW: STEFAN GRISSEMANN

profil: Ihr jüngster Film, „Sehnsucht nach Paris“, ist ein für Sie sehr untypisches Werk: eine leichte, ein wenig melancholische Komödie. Für jede andere Schauspielerin wäre das ein ganz normaler Auftritt, bei Ihnen erscheint es wie ein seltsamer Ausreißer. Isabelle Huppert: Ja, das höre ich nicht zum ersten Mal. Aber ich verstehe nicht ganz, warum das alle behaupten.

profil: Ernsthaft? Sie halten ein romantisches Lustspiel, in dem Sie eine Bäuerin spielen, für einen ganz typischen Huppert-Film? Huppert: Vermutlich sind die Menschen es nicht gewohnt, mich mit Tieren zusammen zu sehen, können sich nicht vorstellen, dass ich in einem Stall als Geburtshelferin eines Kalbes auftreten könnte.

profil: Komödien an sich sind Ihnen ja nicht fern, aber entweder nehmen Ihre Lustspiele sehr exzentrische Züge an wie unlängst Ihr Auftritt in Serge Bozons „Tip Top“, oder sie haben etwas stark Sarkastisches, wie die meisten Filme, die Sie mit Claude Chabrol drehten. Haben Sie nun vor, Ihr Comedy-Repertoire in Richtung Mainstream auszuweiten? Huppert: Ich habe gar nichts vor. Ich plane die Richtungen meiner Arbeit nicht. Ich nehme, was mich interessiert. Und Komödie zu spielen, finde ich schön, zumal es viel schwieriger ist, gutes leichtes Material zu finden als gute finstere Geschichten. Das wird Ihnen jede Schauspielerin bestätigen, jedenfalls in Europa. In Amerika ist das ein bisschen anders, da gibt es eine viel stärkere Tradition, unterhaltsame Filme zu produzieren.

profil: Aber herrscht inzwischen nicht auch eine Knappheit an herausfordernden Stoffen? Viele der radikalen Künstler, mit denen Sie gearbeitet haben, von Werner Schroeter bis Maurice Pialat, sind tot – und Godard braucht längst keine Schauspieler mehr. Huppert: Stimmt, viele große Regisseure sind abgetreten. Aber ich will nicht negativ klingen, man muss sich daran gewöhnen. Die Größen der Vergangenheit sind weg. Na und? Viele interessante Menschen sind noch da, mit denen man arbeiten kann. Nostalgie ist nicht nötig. Die Verstorbenen sind ja in gewisser Weise auch noch bei uns, inspirieren uns weiter.

profil: Sie gelten als furchtlose Schauspielerin. An Michael Hanekes mörderische Lektion „Funny Games“ wagten Sie sich Mitte der 1990er-Jahre dennoch nicht. Huppert: Stimmt, denn so furchtlos bin ich leider doch nicht. Tatsächlich hatte ich Angst vor „Funny Games“, deshalb lehnte ich die Rolle ab. Aber es war nicht so sehr die Angst vor dem Stoff als die Abwesenheit einer schauspielerischen Fiktion. Als ich den Film dann sah, war ich trotzdem fasziniert von Susanne Lothars und Ulrich Mühes Darstellungen. Aber ich wollte mich mit Hanekes nihilistischem Vorschlag nicht konfrontieren. Verglichen damit war „Die Klavierspielerin“ ein Kinderspiel. Denn da gab es so etwas wie Fiktion, da gab es Raum für die Fantasie. „Funny Games“ ging an die Schmerzgrenze, das war damals eben Hanekes Plan.

profil: „Die Klavierspielerin“ war ohnehin die lohnendere Rolle. Huppert: Ja, denke ich auch. Aber inzwischen würde ich mich selbst über „Funny Games“ trauen.

profil: Geht es manchmal auch darum, die Angst vor schwierigen Parts zu überwinden? Denken Sie noch bisweilen, Sie schaffen etwas einfach nicht? Huppert: Nein, denn in extremen Fällen sind es ja gerade die körperlichen Schwierigkeiten, die reale Gefahr, um die es geht. Nehmen Sie meine Darstellung eines Entführungsopfers in Brillante Mendozas Dschungelfilm „Captive“: Da gäbe es überhaupt keine Rolle, wenn ich nicht physisch etwas derart Heftiges zu durchleben hätte. Manche Filme sind eben als Erfahrungen konzipiert, nicht als Dramen im konventionellen Sinn. Sie sind nicht durch Psychologie definiert, sondern durch Körperliches, etwa durch das Maß an Erschöpfung, das man als Schauspielerin erlebt. Die Gefahr ist für mich also eher ein Instrument als ein Hindernis. Ich brauche sie und muss sie kontrollieren können, sonst habe ich keine Substanz, um die Rolle zu spielen.

profil: Sie haben mehrfach betont, dass Sie stets eine Verbindung zwischen sich selbst und Ihren Figuren finden müssen. Ist es nicht oft sehr schwierig, Projekte derart persönlich zu nehmen? Huppert: Egal, ob das schwierig oder einfach ist – es ist schlicht notwendig, diese Verbindung zwischen sich selbst und der Rolle aufzuspüren, die man spielen soll.

profil: Aber legen nicht viele Darsteller gerade Wert auf den Abstand zwischen sich und ihrem Part? Bestehen sie nicht auf die Verwandlung und darauf, dass es eben nicht sie persönlich sind, die da auftreten? Huppert: Ja, klar, Sie haben offenbar Diderots „Paradox über den Schauspieler“ gelesen. Es geht immer um diese eigenartige Mischung, man ist man selbst und zugleich auch nicht. Das ist eine endlose Spirale, die nicht zu Ende zu denken ist.

profil: Haben Sie so etwas wie einen physischen Drang zu spielen? Ist es auch eine Art Sucht? Huppert: Nein! Ich muss nicht jeden Tag rund um die Uhr spielen.

profil: Aber Sie arbeiten enorm viel. Huppert: Ich arbeite viel, aber nicht ständig. Ich kann gut Pausen einlegen.

profil: Ist das Schauspielen für Sie eher Vergnügen oder Belastung? Huppert: Es macht schon vorwiegend Spaß. Arbeit ist ohnehin nicht der richtige Begriff, um das, was ich beruflich tue, zu definieren. Es ist nicht quantifizierbar, daher kann ich nicht behaupten, dass ich zu viel Arbeit hätte, denn es ist eben keine. Schauspielen ist anders als normale Arbeit. Es ist entweder mehr als das – oder viel weniger.

profil: Interessanterweise scheint aber gerade Ihre Art des Schauspielens wirklich harte Arbeit zu sein. Sie überantworten sich Ihren Rollen sehr körperlich. Huppert: Schauspielen ist immer physisch – nicht nur, wenn man im Stall Kühe bürstet. Das Körperliche ist die Definition meines Berufs.

Man sollte nicht emotional werden, wenn man über seinen Beruf spricht. Dazu habe ich zu viel Respekt vor meiner Arbeit.

profil: Kritiker unterstellen Ihrer Art des Spielens gern Intellektualismus, nennen die Dinge, die Sie im Kino tun, abstrakt, kalt, analytisch. Halten Sie das für ein Missverständnis? Huppert: Ja, ich finde eher solche Zuschreibungen abstrakt. Ich wüsste nicht, was abstraktes Schauspiel wäre. In „Sehnsucht nach Paris“ zum Beispiel ist doch nichts Abstraktes.

profil: Aber Sie sprechen auch über Ihren Beruf viel reflektierter als die meisten Ihrer Kollegen, die üblicherweise lieber von Gefühlen reden als von Methoden. Huppert: Man sollte nicht emotional werden, wenn man seinen Beruf zu erklären versucht. Deshalb verstehe ich mich so gut mit Michael Haneke, dessen Methode ja auch nicht gerade sentimental ist. Ich habe zu viel Respekt vor meiner Arbeit, um sie nur mit Emotionen zu umschreiben.

profil: Was ist das Schlimmste an Ihrer Profession? Die Langeweile am Set? Huppert: Nein, das einzig Schlimme am Filmemachen ist, mit schlechten Regisseuren zu arbeiten. Das ist für Schauspieler entsetzlich.

profil: Aber das tun Sie ja nicht. Sie sagten einmal, dass Sie das Glück hätten, sich keines einzigen Ihrer vielen Filme schämen zu müssen. Huppert: Stimmt. Ich bereue nichts und bemühe mich, nur mit guten Leuten zu arbeiten. Ich fühle mich verantwortlich für meine Karriere und privilegiert zugleich: privilegiert, weil ich das Glück hatte, mit so vielen hervorragenden Künstlern arbeiten zu können, aber eben auch verantwortlich, weil ich sie selbst gesucht und angesprochen habe.

profil: Sehen Sie sich gern auf der Leinwand? Huppert: Manchmal mag ich es, mich im Kino zu sehen, aber nicht immer. Bisweilen finde ich es interessant, mich Jahre nach Ende einer bestimmten Arbeit darin wiederzusehen. Es ist aber schwierig, einen Film zum ersten Mal zu sehen, den man gerade erst gedreht hat. Man kennt die fertige Form noch nicht, und man verliert zwangsläufig immer etwas im Schnitt – viele Szenen, die man selbst sehr mochte, sind plötzlich verkürzt oder ganz verschwunden. Dann ist es nicht mehr meine Vision, sondern jene des Regisseurs.

Ich muss am Drehort keine Freiheit fordern, ich habe sie. Und rigoros lasse ich mich sicher nicht inszenieren.

profil: Brauchen Sie am Set große Freiheit? Oder lassen Sie sich lieber rigoros inszenieren? Huppert: Ich muss am Set keine Freiheit fordern, ich habe sie. Und rigoros lasse ich mich sicher nicht inszenieren. Das tun nur schlechte Regisseure.

profil: Ist Haneke denn kein rigoroser Regisseur? Huppert: Überhaupt nicht! Er kultiviert in der Öffentlichkeit dieses Bild – aber am Set ist er gerade das Gegenteil.

profil: Improvisieren Sie zuweilen auch? Huppert: Robert Wilson sagt, Schauspielen sei immer Improvisation. Und es ist wahr, man muss extemporieren. Genau wie im Leben.

profil: Überraschen Sie sich selbst mit den Dingen, die Sie vor der Kamera tun? Huppert: Ja. Ich hatte etwa vor ein paar Sekunden noch keine Ahnung, dass ich, während ich mit Ihnen spreche, diese spezielle Handbewegung machen würde. Schauspiel ist Improvisation, ob man nun geschriebene Dialogzeilen aufsagt oder nicht. Aber meist täuschen sich die Menschen, wenn sie meinen, wirklich improvisierte Darstellungen zu sehen. Denn das, was man gemeinhin unter Improvisation versteht, kommt in Filmen sehr selten vor. In Pialats Filmen gab es einige komplett improvisierte Szenen. Aber wer so etwas zulässt, braucht einen sehr genau definierten Rahmen, sonst wird das Schauspiel unglaublich schlecht.

profil: Mögen Sie Proben? Huppert: Nein. Die Amerikaner lieben es, zu proben – meist lange vor Beginn der Dreharbeiten. Damit kann ich leben. Es wäre mir aber unmöglich, etwas unmittelbar vor dem Drehen noch einzustudieren. Claude Chabrol hätte niemals im Vorfeld seiner Filme geprobt. Auch Michael Haneke würde das nicht tun. Mit solchen Regisseuren macht man nicht einmal eine Leseprobe, ausgeschlossen.

profil: Weil sie nicht Theater machen, sondern Filme. Huppert: Ja, diese Leute schreiben ein Drehbuch, anschließend gehen wir an die Drehorte und setzen es um.

profil: Sind Sie meist in den ersten zwei oder drei Aufnahmen einer Szene am präzisesten? Huppert: Manchmal ist auch erst der fünfte Take der beste. Aber ich werde nicht 50 Aufnahmen brauchen, um eine Szene hinzukriegen.

profil: Ist es nicht oft schwierig, über schauspielerische Qualität zu entscheiden? Kommt es auch zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und der Regie? Huppert: Ja, es ist oft schwierig, deswegen wäre ich auch nicht gerne Regisseurin – obwohl ich es vielleicht eines Tages versuchen werde. Aber allein das Auswählen der jeweils besten Takes würde mich in den Wahnsinn treiben. Es gibt Regisseure, die schon während des Drehens festlegen, welche Aufnahme einer Szene sie für die beste halten; ich merke dann oft an, dass ich hoffe, dass während der Schnittphase auch alle anderen Varianten noch einmal in Betracht gezogen werden. Natürlich vergisst man später darauf, das weiter zu verfolgen – und es ist ja auch nicht mein Problem.

profil: Haben Sie denn Regiepläne? Huppert: Nein, eigentlich nicht. Ich bin zu faul dafür, glaube ich.

profil: Sie sind am Theater sehr aktiv, haben Sarah Kane und Henrik Ibsen gespielt und unlängst mit Cate Blanchett in Sydney Jean Genets „Die Zofen“. Huppert: Und ich habe in Paris für Luc Bondy Marivaux gespielt, „Die falschen Vertraulichkeiten“. Ich habe meine Bühnenarbeit während der letzten Jahre intensiviert.

profil: Ist das nicht viel anstrengender, als Filme zu drehen? Huppert: Vor allem in organisatorischer Hinsicht, ja. Theater planen ja durchaus ein, zwei Jahre im Voraus – sich da Termine freizuhalten, kann schwierig sein. Es ist daher problematisch, Bühne und Kino zu mischen. Aber bislang ist es mir immer geglückt.

profil: Am Theater haben Sie oft erstaunliche Textmengen zu stemmen. Haben Sie Angst vor Hängern? Huppert: Natürlich passiert es ab und zu, dass sich plötzlich eine kleine Textlücke auftut, dann muss man eben …

profil: … improvisieren? Huppert: Nein, ein paar Sekunden lang meint man auf offener Bühne vor Peinlichkeit sterben zu müssen. Und plötzlich hat man den Faden wieder – und fühlt sich wie neu geboren. Aber das ist nichts Besonderes, das passiert am Theater jedem. Man überlebt das.

profil: So etwas wie schauspielerische Reife stellten Sie an sich selbst nicht fest, haben Sie einmal gesagt. Hätten Sie einen neurotisch-diffizilen Part wie „Die Klavierspielerin“ schon 1977 spielen können? Huppert: Natürlich. Ich mag über die Jahrzehnte ein bisschen dazugelernt haben. Aber ist das ein Reifeprozess? Ich bezweifle das.

profil: Sie halten schauspielerisches Talent für eine genetische Vorbelastung? Huppert: Ja, genau. Das Spielen ist in einem angelegt, und es kann jederzeit aktiviert werden. Ich bin skeptisch, was die Idee der künstlerischen Entwicklung betrifft. Im Gegenteil: Ich betrachte Leben und Arbeit nicht als Ansammlung oder Aufschichtung von Erfahrung und Können, eher als laufende Reduktion. Es ist viel besser, wenn sich das Spielen immer wieder wie beim ersten Mal anfühlt – jungfräulich, nicht routiniert und erlernt.

Zur Person

Isabelle Huppert, 61, begann bereits als Teenager mit ihrer Bühnenausbildung. 1971 absolvierte sie ihr Filmdebüt, ihr Aufstieg im Kino vollzog sich schnell: 1972 wirkte sie in einem Film von Claude Sautet („César und Rosalie“) mit, und spätestens als Claude Gorettas „Spitzenklöpplerin“ (1977) war sie im Zentrum der cinephilen Welt angekommen. Mit Mitte 20 arbeitete sie schon mit Regisseuren wie Claude Chabrol („Violette Nozière“, 1978), Jean-Luc Godard („Sau au ve qui peut“, 1980) und Maurice Pialat („Loulou“, 1980). Seither arbeitet sie fast unaufhörlich, an die 120 Titel listet ihre aktuelle Filmografie auf – und sie gibt dabei gern, neben etablierten Kräften wie Claire Denis („White Material“, 2009) und Michael Haneke („Die Klavierspielerin“, 2001 ), auch Regie-Neulingen eine Chance.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.