Reinhold Bilgeri: Biss ins Herz

In seinem früheren Leben war Reinhold Bilgeri ein internationaler Popstar. Inzwischen dreht der Vorarlberger Filme und schreibt Romane. Begegnung mit einem Kraftkerl.

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Reinhold Bilgeri sitzt in den Empfangsräumen seines Wiener Verlags und lässt das vergangene Jahr Revue passieren. Es geht um Lust und Liebe, Wut und Tod. Bilgeri lebt am Bodensee, zu Werbezwecken für "Die Liebe im leisen Land" ist er für ein paar Tage nach Wien gekommen. Der Roman erscheint 15 Jahre nach seinem Debüt "Der Atem des Himmels",von dem 65.000 Exemplare verkauft wurden. Tom, der in einem New Yorker Vorort als Journalist arbeitet, träumt in "Die Liebe im leisen Land" seinen Tod. Das Buch erzählt von Menschen in Not. Von den Szenen einer Ehe im Trump-Land. Von einer entvölkerten Weltstadt, der in der Pandemie grassierenden Entfremdung.

"Die Liebe im leisen Land" entstand im ersten Lockdown. In seiner Prosa durchmisst Bilgeri das Terrain der großen Gefühle und Emotionen. Im Roman kondensiert sich auch die amerikanische Misere: "Tom schrieb vom Dilemma seiner Hassliebe zum Fantasyland, das gerade seine Schminke und sein Gesicht verlor, schrieb vom Heimweh, das ihm ins Herz biss, von seinem Amerika, dessen stolzes Kinn auf die Brust gesunken war, oh ja, da mussten Metaphern her und Pathos und nicht zu knapp." Spricht Bilgeri über Trumps Amerika, schießt ihm aufrichtige Wut ins Gesicht. Am Mittelfinger seiner rechten Hand blitzt im Lampenschirmlicht ein klobiger Totenkopfring. Es ist kein Zufall, dass "Die Liebe im leisen Land" an diesem Mittwoch erschien, dem Tag von Joe Bidens Vereidigung zum 46. US-Präsidenten.
 

Die Wintersonne wirft ihr kaltes Licht schräg durch die Fenster. Bilgeri wirkt auf dem Samtgestühl im Zimmer mit den dunkelroten Stofftapeten nicht nur wie ein Popstar in Pension, er ist es tatsächlich. Er ist ein Mann mit schlohweißer Haarmatte, getönter Brille und erfrischend unabhängigem Geist. Wenn er etwas angemessen feierlich formulieren will, sagt er "geil" oder "Leck mich am Arsch". Man weiß dann, dass er es ernst meint, wenn er rhetorisch derart auf den Putz haut. "Natürlich ist mein Bild von Amerika auch von Sozialromantik gestreift", sagt Bilgeri. "Zu Beginn der 1970er-Jahre fuhren wir die Route 666 entlang, die Füße zu den Autofenstern rausgestreckt, ein Ziegelstein auf dem Gaspedal, die Haschpfeife zwischen den Zähnen. Man hatte mich frisch aus dem Internat geschmissen. Und nun gondelte ich durch New Mexiko. Geiler nicht denkbar."

Menschen in ihren Zwanzigern und Dreißigern, die Musik als Dauerstream kennen, muss man erklären, wer Bilgeri ist, was ein Popstardasein vor knapp 40 Jahren ausmachte. "Reinhold Bilgeri, Mag., geboren in Hohenems, Vorarlberg, ist Singer-Songwriter, Drehbuchautor, Filmemacher und Schriftsteller. Als Pop-und Rocksänger verkaufte er international über drei Millionen Tonträger", ist zunächst auf der Verlags-Website vermerkt. Mit ruhiger Stimme berichtet Bilgeri im roten Zimmer dann über sein Leben, als wäre es eine Gutenachtgeschichte, die beim Erzählen immer fantastischere Blüten treibt.

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Reinhold Bilgeri: Die Liebe im leisen Land. Amalthea, 208 S., EUR 22,–

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.