Aufstehn, Losfahren, Tränen in der U-Bahn. Die Band Isolation Berlin

Isolation Berlin: Hinter Häuserecken lauert die Melancholie

Isolation Berlin: Hinter Häuserecken lauert die Melancholie

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Album-Promotion ist ein Knochenjob. Nicht nur etablierte Künstler quälen sich durch getimte Interview-Reigen, TV-Auftritte und Fragestunden. Auch für Tobias Bamborschke, Sänger der jungen Berliner Band Isolation Berlin, scheint die Zeit, die er mit Telefon-Interviews verbringt, eine verlorene zu sein. Seine Musik, die Songs, müssen man doch nicht mehr erklären. Oder vielleicht doch?

Um verlorene Lebenszeit dreht sich auch die Musik der vier Berliner Burschen, die mit ihren Lederjacken, der wunderbaren Poesie und verzweifelten Gitarren die Szene gerade wunderbar umkrempeln. Falsche Entscheidungen, falsche Freunde, verlorene Liebe, zu viel wird hinterfragt und auch bereut. „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ heißt nun das Album-Debüt der Berliner Band der Stunde, was soviel bedeuten kann, wie, die Zeit ist zwar aus den Fugen geraten, aber ganz so hoffnungslos ist die Situation dann doch wieder nicht. Und dabei hat die junge Band bereits Mitte Februar das wohl beste und wichtigste deutschsprachige Album des Jahres veröffentlicht. Ja, wie konnte das passieren?

Emotionale Befreiung

„Ein Song beginnt immer mit einem Gefühl“, erklärt Tobias Bamborschke seine Herangehensweise an einen neuen Text. „Danach wird nach der passenden Musik gesucht, die dieses Gefühl am besten transportiert.“ Und weil das Leben, die Liebe und der Alltag nun mal kompliziert sind, stehen am am Ende eines Albums ein ganzes Sammelsurium unterschiedlicher Stile und musikalischer Variationen. „Manchmal hab ich einfach Lust zu schreien,“ meint Sänger Bamborschke lakonisch. Anders gesagt: Wenn der Zorn da ist, muss man ihn auch rauslassen. Aber auch das Songschreiben ist für die Band eine Art emotionale Befreiung. Es geht eben darum, die Wut, die über die letzten Lebensjahre aufgestaut wurde, nicht nur zu kanalisieren, sondern auch zuzulassen.

Die Stadt, die Isolation Berlin, dient als Verstärker von Verzweiflung und Langeweile.

Neben dem Zorn sind es die Alltagsbeobachtungen, die auf „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ eine Stimme finden und hier zu kleinen Großstadtgeschichten verwoben werden, dem Hörer zudem ein Gefühl geben, dass man sofort in dieser dunkelbunte Welt der Melancholie eintauchen möchte; in der Kneipe herumhängen, am See spazieren gehen, in der vollen U-Bahn kauern und mit verschlafenen Augen in die Sonne blinzeln. Die Stadt, die Isolation Berlin, dient als Verstärker von Verzweiflung und Langeweile, von Herzschmerz und Depression, aber auch von Liebe und Sehnsucht. Das richtige Leben beginnt eben erst dann, wenn es auch ein wenig weh tut.

Für einen guten Song braucht es manchmal nur eine besonders gute Beobachtungsgabe. Bei Isolation Berlin klingt der Alltag dann zum Beispiel so: „Aufstehn, Losfahren, Tränen in der U-Bahn, rote Nasen, Schnapsflasche, beide Hände in der Tasche“, singt Bamborschke und erzählt von ihrer Bürgerkinder-Lebenswirklichkeit, „in den Baumeswipfeln rauscht die Nostalgie, und hinter Häuserecken lauert die Melancholie“. Ein Song ist für die vier Berliner eben eine Kurzgeschichte, ein Katalysator. So schön hat seit Element of Crime niemand mehr über die feinen Absurditäten gesungen.

Trennungszyklus

Die nun vorliegende Platte beschreibt aber nicht nur lose Alltagsbeobachtungen, sondern spiegelt den Zyklus einer Trennung wider, wie Bamborschke im Interview erklärt. Am Anfang steht das Geliebt-werden-Wollen („Ich bin ein Produkt / Ich will, dass ihr mich schluckt“), die Aussichtslosigkeit („Der Schlachtensee ist lang und auch ohne dich ganz schön“), der Groll („Du hast mich nie geliebt“) und mit „Herz aus Stein“ das bittere, grandiose Finale: „Liebe, Hass und Eifersucht, Sehnsucht, Furcht und Neid / Ich bin diesen ganzen Mist, so unendlich Leid.“

Auch die Musik, die auf „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ so wunderbar unvermittelt auf den Hörer einprasselt, klingt zuerst vertraut. Der Sound der vier Mittzwanziger schwingt zwischen Postpunk, New Wave und Chanson, klingt nach Rio Reiser und Sven Regener, nach Hildegard Knef und Marlene Dietrich. Kein Wunder also, dass sich die Band am Anfang mit Coversongs von The Jesus & Mary Chain begnügte und erst mal versucht hat, aus diesen Einflüssen einen eigenen Stil zu kreieren. Und auch wenn das nicht immer ganz neu klingt, ist etwas anders bei diesen schwermütigen Songs. Man fühlt sich in diesem See der Traurigkeit hineingezogen, fühlt sich verstanden, will sich dem süßen Schmerz hingeben, sich darin wiederentdecken.

„Und aus den Wolken tropft die Zeit“ vereint nun zwölf hysterisch-betrübte Songs, die in ihrer klaren Sprache aber nicht nur den Finger in die Wunden urbaner Lebenskünstler zwischen Sentimentalität und jugendlicher Verbitterung legen, sondern auch davon erzählen, dass man in der Isolation auch die Freiheit finden kann. Die Zeit scheint zwar aus den Fugen, die Freundin, die Kumpels und die Welt längst verloren, aber zumindest das Herz scheint noch nicht ganz verloren zu sein.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.