Ist der österreichische Kulturbetrieb für die Gaskrise gerüstet?
Während man hierzulande selbstvergessen den Sommer genießt, werden in Deutschland bereits die großen Fässer aufgemacht: Die Lage sei ernst, es kämen fordernde Zeiten auf uns zu; Städte und Gemeinden müssten sich für den Fall rüsten, dass im Winter nicht mehr genügend Gas zur Verfügung stehe, warnte Helmut Dedy, der deutsche Verwaltungsjurist und Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, jüngst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Einsparungspotenzial sehe er im Kultur-und Sportbereich. "Wir wissen um die besondere Bedeutung von Sport, von Kultur. Wir wissen aber auch, dass es wenig Tabus gibt. Natürlich wird niemand im Krankenhaus einsparen wollen", so Dedy. Das klingt nach einem ungemütlichen Verteilungskampf.
Betreibt der deutsche Jurist Schwarzmalerei? Oder steht dem Kulturbetrieb tatsächlich eine herbe Winterreise bevor? Wird es reichen, die Heizung im Burgtheater um ein paar Grad herunterzufahren, oder sind erneute Lockdowns eine realistische Option? "Die Energiekrise wird gemeinsam mit der Pandemie, die ja auch noch nicht zu Ende ist, eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre werden", davon ist die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler überzeugt. Zugleich warnt sie vor Panikmache. "Angst lähmt, ich denke, wir müssen einen kühlen Kopf bewahren", so Kaup-Hasler gegenüber profil. "Die Stadt Wien ist wie in der Pandemie vom Bund abhängig, der die rechtlichen Vorgaben beschließen muss. Spätestens im Herbst wollen wir dann gemeinsam mit Expertinnen und Experten sowie den Kulturinstitutionen an einem Konzept arbeiten, das sich an konkreten Begebenheiten orientiert."
In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Kunst-und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. "Der Kulturbereich wird in den aktuellen Überlegungen der Bundesregierung und in den dazu stattfindenden Gesprächen natürlich mitbedacht. Die Staatssekretärin Mayer ist dazu auch im direkten Austausch mit Energieministerin Gewessler", erklärt Mayers Pressestelle auf profil-Nachfrage. Zugleich gebe es unter den wirklichen Großverbrauchern, die von einem etwaigen Gas-Engpass betroffen wären, gar keine Kulturbetriebe. "Da geht es ja um einen Gasverbrauch von 50.000 Kilowattstunden pro Stunde", so das Büro der Bundespolitikerin. "Die Kulturszene wäre daher aus aktueller Sicht von etwaigen Energielenkungsmaßnahmen nur wenig betroffen, kleineren Verbrauchern-zu denen der allergrößte Teil der Kulturszene gehört-kommt im Gastnotfallplan des BMK der größte Schutz zu."
"Die Energiekrise wird, gemeinsam mit der Pandemie, eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre werden."
Ein durchschnittliches Stadttheater verbraucht 2,2 Millionen Kilowattstunden Energie pro Jahr, was 880 Tonnen CO2-Emissionen entspricht, rechnete die "Süddeutsche Zeitung" vor. Wenig ist das nicht. Zum Vergleich: 2019 betrugen die jährlichen Treibhausgas-Emissionen pro Kopf in der EU durchschnittlich 8,1 Tonnen. Museen wären stärker von der Gaslieferungskrise betroffen, benötigen sie für die Lagerung und Präsentation ihrer Bestände doch Räume, deren Kühlung nicht einfach abgedreht werden kann. "In den Museen und Depots bewahren und stellen wir einzigartiges Weltkulturerbe aus-und sind dazu auch gesetzlich verpflichtet. Wir werden mit Fernwärme versorgt, und eine generelle Gasknappheit hätte auch Auswirkungen und Folgen für den Betrieb und die Sicherheit der Standorte", bestätigt Sabine Haag, Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums. Laut Haag bereiten sich die Museen "auf den Eintritt von Krisenszenarien vor, soweit sie es überhaupt können",man sei "diesbezüglich auch mit anderen Museen, Museumsvereinigungen, den Behörden und den Ministerien in ständigem Austausch". Das Büro Mayer sieht gerade in der Fernwärme einen Startvorteil: "Die Bundeskultureinrichtungen (Bundesmuseen und Bundestheater) sind allesamt an die Fernwärme angeschlossen und damit nicht direkt vom Gas abhängig."
Dieser Scheinsicherheit widerspricht Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder: "Die Fernwärme ist im Winter auf Gas angewiesen und kann vermutlich Gas nicht zur Gänze durch Öl oder Biomasse und Müllverbrennung substituieren. Wir sollten auf das Beste nur hoffen, aber lieber mit dem Schlimmsten rechnen." Schröder plädiert dafür, Museen in puncto Versorgungssicherheit mit Energie zur "kritischen Infrastruktur" zu erklären-wie das etwa in Italien und Frankreich geschieht-,da sie die kunst-und kulturhistorisch wichtigsten und wertvollsten Schätze der Republik verwahren. Damit wären sie Krankenhäusern gleichgestellt. "Eine Unterversorgung der Ausstellungsgalerien birgt ein zusätzliches Risiko, da Klimaschäden von Versicherungspolizzen nicht abgedeckt sind. Da kämen im Schadensfall hohe Summen auf Museen zu, die sie selbst gar nicht tragen könnten." Zugleich räumt Schröder mit einem Klischee auf: "Nicht das Heizen, Kühlen oder Befeuchten der Räume ist der energieaufwendigste und komplexeste Bereich in Museen, sondern die Entfeuchtung. Dafür muss die Luft in den Klimageräten auf acht Grad abgekühlt werden, bevor sie, nun konditioniert, wieder auf die jeweilige Raumtemperatur erhöht wird."
Welche Maßnahmen wird es noch brauchen? In Deutschland hat sich Carsten Brosda, Präsident des Bühnenvereins und Kultursenator in Hamburg, ebenfalls zu Wort gemeldet: Er spricht sich dafür aus, "in aller Ruhe und Klarheit Dinge zu tun, die wir ohnehin bereits hätten tun müssen."Brosda trifft damit einen neuralgischen Punkt: Theater und Museen haben sich sehr lange viel zu wenig um Nachhaltigkeit gekümmert. Sie haben Ressourcen verschleudert, ohne sich groß darüber Gedanken zu machen. Es wurde rund um den Globus geflogen, obwohl Vorträge oder Treffen auch online stattfinden hätten können. Nach wie vor stehen Thermostate und Lampen im Einsatz, die veraltet und deshalb Stromfresser sind. Bühnenbilder werden selten bis kaum recycelt oder wiederverwendet. Warum hat man nie gefragt: Wie viel Festbeleuchtung braucht ein Theater oder eine Oper von außen? Können wir Solarzellen einsetzen, um selbst Strom zu erzeugen? Erschwerend kommt hinzu: Kunstinstitutionen sind oft in historischer, denkmalgeschützter Bausubstanz untergebracht, Renovierungen sind kostenintensiv, weil sie maßgeschneidert erfolgen müssen-und meist auch Schließtage erfordern.
In den letzten Jahren ist allerdings einiges passiert: Das Kunsthaus Wien hat unter Bettina Leidl daran gearbeitet, den Anforderungen des Österreichischen Umweltzeichens zu entsprechen; im Burgtheater gibt es Nachhaltigkeitsbeauftragte; man plant, eine Photovoltaik-Anlage am Dach zu installieren, um die Sonnenenergie zu nutzen. Auch im Bundesministerium für Klimaschutz überlegt man, an welchen Schrauben gedreht werden kann und muss, um Theater und Museen fit für die Zukunft zu machen und ihre ökologischen Fußabdrücke zu reduzieren. Unter anderem gibt es die Idee, mit den Theatern gemeinsam Kriterien zu erarbeiten, um ein Umweltschutz-Gütesiegel zu etablieren.
Der positive Aspekt einer möglichen Gaskrise im Herbst liegt also auf der Hand: Sie könnte als Beschleuniger wirken für längst nötige Schritte. "Oft reichen schon kleine Eingriffe. Wir sollten Dinge bewusster tun", sagt Kulturstadträtin Kaup-Hasler, die größeren Institutionen dazu rät, einen Energie-Scan durchführen lassen, um zu analysieren, wo ihr größter Energieverbrauch liegt und wie Energiekosten reduziert werden können. Das Büro Mayer möchte ebenfalls zur Selbstverantwortung ermutigen: "In der Kultur kann und sollte genauso Energie gespart werden wie in allen anderen Bereichen-etwa durch weniger Heizen und Kühlen." Im besten aller Fälle wird das einzige Opfer in diesem Herbst und Winter nur der angeblich so gesunde Theaterschlaf sein. Bislang konnte man in den überheizten Zuschauerräumen nämlich schnell und wohlig wegdämmern. Eine Reduktion der Temperatur ließe uns womöglich wacher bleiben. Sicher kein Schaden für die Kunst.