Häusliche Abgründe: Jakob M. Erwas faszinierendes Kammerspiel „HomeSick“
Die Cello-Studentin Jessica (Esther Maria Pietsch) zieht mit ihrem Freund Lorenz (Matthias Lier) in die erste gemeinsame Wohnung. Hohe Wände, schicker Berliner Altbau. Eigentlich ein Grund zur Freude. Doch nicht nur der anstehende Cello-Wettbewerb in Moskau, für den sie ausgewählt worden ist, macht Jessica zu schaffen. Ein ganzes Haus und vor allem die ältere Nachbarin von oben scheinen sich gegen die junge Frau verschworen zu haben. Jessica fühlt sich beobachtet, hört merkwürdige Geräusche, fühlt sich unerwünscht. Der Bau wird zur Bedrohung, die Nachbarin zum Feindbild – und dann verschwindet auch noch das kleine Kätzchen des jungen Paares.
Ich wollte die Zuseher durch ihre eigene Fantasie aufs Glatteis führen
profil: Ihr Film erzählt die Geschichte einer talentierten Musikerin, die sich in den neuen vier Wänden auf einen Wettbewerb vorbereiten muss, aber zu entdecken glaubt, dass sich das alte Haus gegen sie verschworen hat. Woher nahmen Sie dieses Sujet? Jakob M. Erwa: Eine Wohnung ist für die meisten Menschen der einzige Rückzugsort. Wenn man die Türe hinter sich schließt, hat man seine Ruhe vor der Außenwelt. Ich habe mir die Frage gestellt, was mit einem Menschen passiert, wenn dieses Türeschließen nicht mehr funktioniert.
profil: Ihr Film ist ein atmosphärisches Kammerspiel, in dem man sich als Zuseher nie sicher fühlt, in dem Realität und Einbildung zusehends verwischen. Quälen Sie Ihre Zuseher gerne? Erwa: Atmosphäre ist das Stichwort. Ich brauche keine abgefahrenen Kameraeinstellungen, keine Explosionen und auch nicht das krasseste Sounddesign, um bedrohliche Stimmungen zu erzeugen. Ich wollte die Zuseher durch ihre eigene Fantasie aufs Glatteis führen.
profil: „HomeSick“ wirkt sehr reduziert, die Handlung spielt zu einem Gutteil in der Wohnung der Protagonistin. War diese Enge für den Film notwendig? Erwa: Ich wollte ihn möglichst schnell produzieren, habe mich mit dieser Form der Geschichte genähert: eine Hauptrolle, eine Location, und das alles möglichst so spannend, dass man jene Schauplatzwechsel, mit denen andere Filme punkten können, gar nicht benötigt.
profil: Ihren neuesten Film haben Sie zum Teil mittels Crowdfunding finanziert. Begehren Sie gegen herkömmliche Finanzierungsmethoden auf? Erwa: Ich wollte mich an große Sender oder Förderungen gar nicht erst wenden. Bis man sein Projekt finanziert bekommt, können Jahre vergehen. Ich nutzte lieber meine Energie und startete so schnell wie möglich. Unser europäisches Filmförderungssystem ist eine wichtige Errungenschaft. Aber jeder Film braucht seine individuelle Finanzierungsform.
profil: Ihr Film weckt Assoziationen von Haneke bis Hitchcock. Zitieren Sie bewusst – oder lassen Sie sich inspirieren? Erwa: Jeder kann in „HomeSick“ sehen, was er will. Ich versuche meine eigenen Filme zu drehen, meine eigene Formensprache zu finden. Es gibt natürlich Referenzfilme, aber zu kopieren wäre mir zu einfach.
Man sagt ja auch nicht zum Bäcker: Schenk mir mal deine Weckerln
profil: In einer Szene Ihres Films belächelt der Vater der Heldin ihre Karriereambitionen als schrulliges Hobby. Muss man als Künstler oder Filmschaffender ständig um Akzeptanz kämpfen? Erwa: Man hört das zwischendurch immer wieder mal raus. So nach dem Motto: Magst mir nicht mein Hochzeitsvideo schneiden? Die Leute müssen verstehen, dass das Filmemachen mein Job ist, ein Beruf, für den ich jahrelang studiert habe. Man sagt ja auch nicht zum Bäcker: Schenk mir mal deine Weckerln, du backst doch so gern.
profil: Viele Menschen sind nicht mehr bereit, für Kunst zu bezahlen. Erwa: Dienste wie kino.to tragen dazu bei, dass die Leute nicht mehr wertschätzen, dass ein Film von vielen Menschen gemacht wird. Filme sind kein Allgemeingut. Es steckt ja nicht nur jahrelange Arbeit in einem Projekt, sondern auch ein gewisses Maß an Selbstausbeutung. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, das wieder ins Bewusstsein zu rücken.
profil: Sie leben und arbeiten heute in Berlin. Ist es wichtig, als junger Filmemacher Österreich zumindest eine Zeitlang hinter sich zu lassen? Erwa: Es gibt eine Tendenz in Österreich: Wenn etwas im Ausland groß wird, darf man es auch zu Hause gut finden. Letztlich muss aber ohnehin jeder Film für sich bestehen.
Jakob M. Erwa, 33,
gebürtiger Grazer, gewann bereits mit seinem Regiedebüt „Heile Welt“ (2007) den Diagonale-Preis für den besten österreichischen Spielfilm. Für den ORF erarbeitete Erwa die Jugend-Serie „tschuschen:power“ über Migranten der zweiten und dritten Generation in Wien. Im Rahmen der Berlinale feierte nun sein zweiter Spielfilm, „HomeSick“, Weltpremiere. Im März wird die Arbeit bei der Diagonale in Graz zu sehen sein.