"Die Welt is numma so, Huck."
Die Welt, von der James spricht, ist ein Irrenhaus, und das Kaff Hannibal, US-Bundesstaat Missouri, ist dessen heimliche Zentrale. Hannibal, wo Mark Twain als Jugendlicher lebte, ist der Ausgangsort von Hucks und James' Flucht, die beide in ein Niemandsland führt, in dem keine Regeln und Gesetze gelten. James erinnert sich an Hannibal: "Ich war 13 und beging den Fehltritt, mit einer jungen weißen Frau zu sprechen, die hallo zu mir sagte. Was ich genau sagte, war 'Hallo'."Darauf Prügel mit der Bullenpeitsche. Seine "Sklavensprache" rettet James schließlich das Leben: Mark Twains findiger Kniff, sein Personal in einer speziellen Ausprägung des Südstaatenenglisch parlieren zu lassen, führt Everett in "James" kühn fort: "Chhätt auch nix gegen bisschen Bildung", bemerkt James in seltsam rudimentärer Sprache, die bloße Tarnung ist, um gleich darauf mit anderen Schwarzen elaborierte Dialoge zu führen. "James"-Übersetzer Nikolaus Stingl hat einen artifiziellen Dialekt erfunden, der das einfältige Idiom früherer "Huckleberry"-Übertragungen nach allen Regeln der Kunst auseinandernimmt. "So was darf'n Sklave nich ma denken",antwortet James auf Hucks Frage, ob dessen Mutter hübsch gewesen sein. "Wieso nich?",will Huck wissen: "So ist die Welt numma."
"Papa, warum müssen wir das lernen?"
James' Ratschläge an seine kleine Tochter fürs Über-und Weiterleben: "Blickkontakt vermeiden"-"Nie reden, ohne gefragt zu werden"-"Niemals irgendein Thema direkt ansprechen, wenn man sich mit einem anderen Sklaven unterhält." Und was tun, wenn's brennt? "Feuer, Feuer!"schreien? James rät zu der Bemerkung: "Herrmhimmel, Máam! Da!"Warum das? "Weil sie alles vor uns wissen müssen. Weil sie allem einen Namen geben müssen."
"Es war eine vollkommen private Angelegenheit, vollkommen frei und daher vollkommen subversiv."
James lebt in einer Umgebung, in der Lesen und Schreiben für einen Sklaven Schwerverbrechen sind. Es käme einem Todesurteil gleich, wüssten seine Unterdrücker, dass ihm die Namen von John Locke, Voltaire, Montesquieu, John Stuart Mill und Søren Kierkegaard geläufig sind, dass er zudem einen Bleistiftstummel in seiner Hosentasche versteckt: "Ich hatte mir angewöhnt, ihn in regelmäßigen Abständen durch den Stoff meiner Hosentasche hindurch zu berühren, weil ich Trost darin fand."James weiß genau um die Antwort auf jene Frage Bescheid, die er sich selbst stellt: "Was sie wohl mit einem Sklaven tun würden, der den anderen Sklaven das Lesen beigebracht hatte. Was mit einem Sklaven, der wusste, was eine Hypotenuse ist, was Ironie bedeutete und wie man Retribution buchstabierte." Die Vergeltung, auf Englisch retribution, wird fürchterlich sein.
"Das ist kein richtiger Mensch. Der spürt Schmerz nicht so wie wir."
Weitere Sätze aus dem Arsenal des Menschenhasses: "Glauben Sie mir, ich kann einen Sklaven aus einer halben Meile Entfernung riechen. Die haben so einen süßlichen Geruch. Besonders die dunklen."-"Die sind wie kleine Affen, stimmt's?"-"Die sind alle dumm. Simpel. Das ist ein besseres Wort."-"Was kostet es denn, einen zu füttern?-Futter, Wasser. Genau wie bei einem Hund. Außer, dass sie irgendwie reden können."-"Sie hinterlassen nicht überall Haufen, in die man treten kann, pinkeln nicht in Ecken. Sie geraten nicht mit Stinktieren und Stachelschweinen aneinander."-"Dümmer als ein Eimer voll Haare."-"Einen erbärmlicheren Sklaven werden Sie so schnell nicht finden, aber er gehört mir. Eine Verschwendung von Essen und Atemluft." All das muss man kurz innerlich sortieren.
"Gibt es, nachdem ihr mich gefoltert, ausgeweidet, entmannt und einem langsamen Feuertod überlassen habt, noch etwas, was ihr mir antun könnt?"
Gegen Ende kehrt James nach Hannibal zurück. Es entspinnt sich ein Gespräch zwischen Richter Thatcher, dem niederträchtigen Obermoralisten der Kleinstadt, und James: "Nigger, du steckst tiefer in der Patsche, als du dir vorstellen kannst."James erwidert, dass ein lebender Leichnam, der gefoltert, ausgeweidet, entmannt worden sei, keinen Schmerz mehr spüre. Und weiter: "Hätten Sie sich vorstellen können, dass ein Schwarzer, ein Sklave, ein Nigger so mit Ihnen redet? Wem fehlt es hier an Vorstellungskraft?"
"Es ist eine schreckliche Welt."
Das finale Zusammentreffen von Herr und Knecht, das für den selbst ernannten Übermenschen nicht allzu gut ausgehen wird, erzählt tatsächlich mehr als viele politische Analysen über den strukturellen Rassismus in den USA, der bis heute seine Fratze zeigt-und Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Haare, ihres Namens oder ihrer Sprache diskriminiert, ausgrenzt und abwertet. "James" legt die Schnittstellen frei zwischen Alltagsrassismus und weißem Chauvinismus: Die (weißen) Herren der Welt sind Menschenschinder in ihrer reinsten Form. "Es ist eine schreckliche Welt. Die Weißen versuchen, uns einzureden, dass alles gut sein wird, wenn wir in den Himmel kommen", bemerkt ein Leibeigener gegenüber James: "Meine Frage ist: Werden sie dann auch dort sein? Wenn ja, sehe ich mich vielleicht nach was anderem um." æ
Percival Everett: James. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Hanser. 329 S.,EUR 26,80