Schauspieler Jean-Paul Belmondo im Jahr 2007
Nachruf

Jean-Paul Belmondo: Eine Ikone der Nouvelle Vague ist abgetreten

Der französische Schauspieler Jean-Paul Belmondo ist 88-jährig in Paris gestorben.

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Seine Boxervisage, die er nicht zufällig besaß (schon als Teenager betätigte er sich als Box-Amateur), passte bestens zu den halbseidenen Figuren, die er in den 1960er-Jahren gerne darstellte und mit erheblicher Selbstironie ausstattete. Jean-Paul Belmondo, Sohn eines Bildhauers und einer Tänzerin, gehörte zu den prägenden Gesichtern der französischen Nouvelle Vague, die den Autorenfilm dieses Planeten ab Ende der 1950er-jahre erneuerte. Mit seinem proletarischen Charme und einer greifbaren Gleichgültigkeit gegen bürgerliche Normen strahlte er eine gewisse Gefährlichkeit, auch Unberechenbarkeit aus, die er jedoch mit viel Sensitivität fast paradox konterkarierte.

1956 stieß er, der am Theater seine ersten Feuerproben durchlebt hatte, zum Kino, 1960 kam der Weltruhm mit „Außer Atem“: Belmondo trat darin als egozentrischer und selbststilisierter kleiner Gangster in Szene, der – geschult an den Schurken Hollywoods – auf Jean Seberg, eine Amerikanerin in Paris, stößt und sich von ihr in den Untergang treiben lässt. Durch die frühen Filme Jean-Luc Godards, von „Außer Atem“ bis zu „Pierrot le Fou“ (1965) – bewegte sich Belmondo mit einer nie gesehenen Freiheit, wie einer, dem alles egal sein konnte, für den das Leben nur ein Spiel war, das man impulsiv und improvisiert verbringen musste, weil es andernfalls nicht erstrebenswert war: Langeweile ist schlimmer als der Tod. Belmondo fiel gerne kunstvoll aus der Rolle, er machte deutlich, dass er (allerdings mit einem Höchstmaß an physischer Wirklichkeitsnähe) Fiktion herstellte, er tanzte ansatzlos durch die Bilder und bleckte, wenn ihm danach war, spöttisch die Zähne in Richtung Kamera.

Das Theater war ihm so wichtig wie das Kino. Ab 1987 trat er immer wieder auf die Bühne, akklamiert als alter Haudegen, der niemandem mehr etwas beweisen musste. Einen Oscar hat er nie gekriegt, aber das wird ihm, wenn man von seinen Filmfiguren auf ihn selbst zurückschließen mag, herzlich egal gewesen sein. In den 1980er-Jahren avancierte er, schon ein wenig angejahrt, zum amüsierten Actionhelden in Filmen wie „Der Profi“ (1981).

Belmondo schien das, was der große James Baldwin (1924–1987) über die Filmstars seiner Generation geschrieben hat, perfekt zu versinnbildlichen: Man gehe nicht ins Kino, um all die Berühmtheiten schauspielen zu sehen, schrieb Baldwin einst, man gehe ins Kino, um ihnen beim Existieren zuzuschauen. („One does not go to see them act, one goes to watch them be.“) Jean-Paul Belmondo war in seiner großen Zeit, in den 1960er- und 1970er-Jahren, als ihm kein europäischer Filmschauspieler in Sachen Abgeklärtheit und Libertinage das Wasser reichen konnte, genau dies: einer, der seine Faszination aus Freiheit und Charisma bezog, der tun und lassen konnte, was er wollte, ohne dabei auch nur einen Hauch an Souveränität einzubüßen. Am 6. September 2021, auf den Tag genau 60 Jahre nach dem französischen Filmstart der Godard-Sex-Comedy „Eine Frau ist eine Frau“, in dem er sich auf hinreißende Weise über sich selbst lustig gemacht hatte, starb Belmondo 88-jährig in seiner Heimatstadt Paris.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.