Jeder schreit für sich: Cellist Lukas Lauermann über den Corona-Lockdown
Mein neues Soloalbum erschien mitten in der Pandemie. Die Aufnahmen dafür hatte ich noch vor dem ersten Lockdown abgeschlossen, präsentiert habe ich es Mitte Oktober im Wiener Konzerthaus. Ich war sehr glücklich, dass dieser Abend stattfinden konnte, ich habe die Atmosphäre trotz der Abstände im Publikum als sehr dicht empfunden. Meine Musik regt ja auch eher dazu an, in sich zu gehen, als das Tanzbein zu schwingen. Was ich vermisst habe, war die Möglichkeit des Gesprächs mit dem Publikum nach dem Auftritt. Vor allem, da ich gerade neue Werke vorgestellt habe. Die meisten Konzerte, die ich im Zuge der Albumpräsentation gespielt hätte, sind auf nächstes Jahr verschoben worden. Das ist natürlich schade, ich bin jedoch alles andere als allein damit. Es ist ein großer Verlust für unser Zusammenleben, dass Kunst momentan kaum öffentlich stattfinden darf.
Vor dem Lockdown habe ich im Schnitt zwei Konzerte pro Woche gespielt-solo oder mit Bands. Diese Routine und Begegnungen sind momentan weg, und ich bin auf mich selbst zurückgeworfen. Da geht etwas verloren. Aber ich habe auch schon vor der Pandemie viel Zeit für mich allein gebraucht. Die auftrittsfreie Phase nutze ich, um mich noch intensiver mit den technischen Effektgeräten vertraut zu machen, die ich für meine Musik verwende. Aber das Alleinsein in Gesellschaft geht mir sehr ab: im Kaffeehaus oder in einer Bar sitzen, ein Bier trinken, die Atmosphäre aufnehmen, Gesprächsfetzen hören, die Gedanken schweifen lassen. Das war immer eine Inspiration für mich und meine Arbeit.
Alleinsein in Gesellschaft: So gehen wir ohnehin gerade miteinander um. War beim ersten Lockdown noch die Rede von Solidarität und Zusammenhalt, schaut mittlerweile jeder darauf, nicht selbst unter die Räder zu kommen. Die einen wollen, dass der Handel offen bleibt, die anderen, dass die Gastronomie wieder aufsperrt. Jeder schreit für sich. Da nehme ich den Kulturbetrieb nicht aus. Wir sind als Gesellschaft ausgelaugt. Das waren wir auch schon vor der Pandemie. Und meine Hoffnung, dass wir nach der Corona-Krise einen besseren Umgang miteinander finden, ist nicht sehr groß.
LUKAS LAUERMANN, 35, arbeitete als Cellist u. a. für André Heller, Tocotronic und Alicia Edelweiss. Sein Soloalbum "I N" ist im September erschienen.