Jeff Bridges

Jeff Bridges: "Ernsthaftigkeit kann alles ruinieren“

Der US-Schauspieler Jeff Bridges gilt als König der Gelassenheit. Im profil-Interview spricht er über Moralfragen, Familienbindung und iPhone-Filme, Hollywood und seinen Neo-Western "Hell or High Water“.

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INTERVIEW: STEFAN GRISSEMANN

profil: Ihr neuer Film gehorcht den Regeln des Western-Genres, hat aber eine politische Schlagseite. Das Gangsterpaar dieser Erzählung beschließt, auf die halsabschneiderischen Methoden der Bank mit einer Serie von Überfällen zu reagieren. Ist das der Film zur Ära Trump? Jeff Bridges: Kann sein. Viele halten den Film für ein Werk seiner Zeit, für besonders gegenwärtig, obwohl er ja einem sehr traditionellen Genre verpflichtet ist. "Hell or High Water“ berichtet auch von der aktuellen sozialen Misere. Andererseits haben die Konflikte dieses Films etwas sehr Archaisches: So gehen die Menschen schon miteinander um, seit es sie gibt. Wir schützen uns selbst und unsere Familien, daran führt kein Weg vorbei. Eines der spannenden Themen dieses Films ist letztlich die Frage, worin die Konsequenzen dieses egoistischen Verhaltens bestehen. Was passiert mit uns, wenn wir nur unseren eigenen Interessen folgen - egal, ob man nun ein armer Farmer ist, ein betuchter Banker oder Eigentümer eines Ölkonzerns.

profil: "Hell or High Water“ stellt moralische Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind. Und sein dunkler Humor ist fest in einer bitteren sozialen Wirklichkeit verankert. Wählen Sie mit Vorliebe Rollen, die zwischen existenzieller Not und anarchischer Heiterkeit schillern? Bridges: Klar. Denn was Sie da schildern, klingt wie eine Beschreibung des Lebens selbst.

profil: Aber im Kino ist das selten. Die meisten Filmerzählungen machen es sich in dieser Hinsicht eher leicht und suchen gar nicht erst nach existenzieller Schwere und tragikomischem Realismus. Bridges: Wohl wahr, aber ich mag es, wenn sich im Kino die Dinge real anfühlen.

profil: Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob Sie eine bestimmte Rolle annehmen? Ist das Drehbuch bei Ihnen der wichtigste Aspekt? Oder die Frage, wer Regie führt? Oder gar die Wahl des Schauplatzes? Bridges: Ehrlich gesagt tue ich mein Bestes, um gar nicht erst zur Arbeit gehen zu müssen. Filme zu drehen, ist immer ein wenig beschwerlich. Ich habe eine Menge anderer Interessen: Ich spiele in einer Band, stelle Kunst her, gestalte mit meiner Tochter Kinderbücher. Natürlich ist das Kino eines meiner Hauptinteressen, aber ich weiß leider nur zu genau, was es für mich bedeutet, wenn ich als Schauspieler einen Vertrag unterschreibe: die Trennung von meiner Familie für manchmal mehrere Monate - und die Notwendigkeit, andere, vielleicht viel bessere Projekte abzulehnen. Daher bemühe ich mich sehr darum, mich vom Kino fernzuhalten, so gut es geht. Aber wie sagt Al Pacino in "Der Pate II“ so schön: "Ich versuche ja, da rauszukommen, aber die zerren mich immer wieder rein.“ Wenn einem dann aber ein Script vorgelegt wird, das so verdammt gut und wirklichkeitsnah ist wie "Hell or High Water“, muss man zusagen.

Ich mag es, wenn die Filmemacher mir ein wenig voraus sind, wenn man im Kino nicht genau weiß, was man erwarten soll, wenn Genre-Grenzen mutwillig überschritten werden.

profil: Drehbuchautor Taylor Sheridan weiß sehr genau, wovon er erzählt. Bridges: Ja, er kennt die Welt, die er beschreibt, aus eigener Erfahrung, ist selbst Texaner und hat einen Cousin, der als Polizeichef arbeitet. Taylor ist ein extrem talentierter Mann. Den schottischen Regisseur David Mackenzie kannte ich vorher nicht, also sah ich mir einen seiner Filme an, das Gefängnisdrama "Starred Up“ - und mir war sofort klar, dass das ein erstklassiger Regisseur ist. An diesem Punkt erschien mir "Hell or High Water“ als Projekt dann einfach zu groovy, um es noch ablehnen zu können. Aber normalerweise ist der erste wichtige Punkt das Drehbuch: Ich prüfe, ob es ein Film werden könnte, den ich selbst gerne sehen würde. Ich mag es, wenn die Filmemacher mir ein wenig voraus sind, wenn man im Kino nicht genau weiß, was man erwarten soll, wenn Genre-Grenzen mutwillig überschritten werden.

profil: Ihr Schauspielstil ist, obwohl Sie sehr verschiedene Figuren gespielt haben, stets erstaunlich entspannt. Ist das Ihr persönliches Markenzeichen? Bridges: Das ist schwer zu beantworten. Und ich sehe es auch ein wenig anders. Viele verweisen gerne auf die Figur des Dude, den ich in "The Big Lebowski“ dargestellt habe, und erklären mir, wie ungeheuer gelassen, fast sediert der Mann doch sei. Aber wenn man genau hinschaut, muss man doch sehen, dass gerade diese Figur auch von Angst und Nervosität getrieben ist. An der Oberfläche erscheint der Typ sanft und leicht benebelt, aber dahinter tut sich ein äußerst unruhiger Charakter auf. Ich bin übrigens selbst so unruhig und ängstlich wie alle anderen auch.

profil: Sie strahlen dennoch eine Gelassenheit aus, die bisweilen fast an Robert Mitchum erinnert. Gilt im Schauspielerberuf ganz grundsätzlich: Weniger ist mehr? Bridges: Vielleicht. Ich bemühe mich, wenn es zur Rolle passt, auch oft darum, noch weniger zu tun, als eigentlich nötig. Aber ich habe mit Lee Marvin gearbeitet. Die meisten Filmschauspieler bremsen sich merklich ein, wenn es zur Großaufnahme kommt. Lee dagegen war stets der Meinung, dass er gerade ins Close-up seinen ganzen Grimm, seine ganze darstellerische Energie legen müsse. Es gibt da kein Rezept: Schauspielen ist nicht so simpel. Aber sich darum zu bemühen, vor der Kamera weniger zu tun, ist sicher keine schlechte Empfehlung. Man hat nicht die Verpflichtung, alle Emotionen möglichst breit auszuspielen.

profil: Würden Sie sich als instinktiven Schauspieler bezeichnen? Bridges: Ich weiß nicht. Ich bin wohl eine Kombination aus Rationalisierung und Bauchgefühl. Ich bereite mich auf meine Rollen sehr intensiv vor. Sobald die Kamera läuft, vertraue ich meinem Instinkt, versuche mich ganz dem Moment hinzugeben, aber in den Wochen davor spiele ich mental gern die vielen verschiedenen Tonlagen durch, mit denen man sich einer gegebenen Szene nähern könnte. Beim Drehen selbst nehme ich Hinweise und Anleitungen aus allen Richtungen auf, nicht nur von der Regieseite, durchaus auch von den Filmtechnikern. Ich bin offen für alle Reize und Impulse, die eine Szene inspirieren könnten, halte einen gewissen Raum für solche Dinge frei.

Ich bin definitiv ein Produkt des Nepotismus.

profil: Wer würde an einem durchschnittlichen Drehtag eher darauf insistieren, eine Szene zu wiederholen: Sie oder Ihr Regisseur? Bridges: Ich tendiere dazu, mich der Regiekraft anzuvertrauen. Ihre Meinungen sind mir da wichtiger als meine eigenen. Ich kann mich daher gut entspannen, ohne mich zu sehr um meine Ansichten kümmern zu müssen. Wenn ich aber eine Idee habe und gerade genug Zeit und Geld vorhanden ist, mache ich schon auch den Vorschlag, eine Szene noch einmal zu versuchen. Einer meiner frühen Filme war Michael Ciminos Regiedebüt aus dem Jahr 1974: "Die Letzten beißen die Hunde“. Ein paar Jahre später arbeitete ich auch an Ciminos berüchtigtem Mega-Flop "Heaven’s Gate“. Michael war berühmt dafür, seinen Schauspielern 60 Takes oder mehr abzuverlangen. "Die Letzten beißen die Hunde“ wurde aber von Clint Eastwood produziert, der dafür berühmt war, nicht mehr als ein oder zwei Takes zu benötigen. Ich als überambitionierter junger Schauspieler, gerade mal 24 Jahre alt, wollte Cimino immer wieder dazu bringen, mir noch einen Take zu gewähren. Und er sagte immer nur: Da müssen wir unseren Boss fragen. Und Eastwood meinte dann nur gönnerhaft: "Okay, gebt dem Kid noch einen Versuch.“ Denn man will dem Schnittmeister ja auch so viele Variationsmöglichkeiten wie möglich geben.

profil: Sie nehmen die Kunst des Schauspielens ja doch sehr ernst. Bridges: Na ja. Das erinnert mich daran, was meine Mutter immer sagte, wenn ich zur Arbeit ging: "Denk dran, Jeff, hab Spaß! Nimm das alles nicht zu ernst.“ Ernsthaftigkeit kann echt alles ruinieren.

profil: Sie wurden in Los Angeles geboren und hatten mit Lloyd Bridges schon einen Vater, der Filmstar war. Hat Hollywood Sie bereits als Kind geprägt? Bridges: Nicht so sehr der Ort, aber meine Familie sicher. Mein Vater hatte, anders als die meisten Menschen in diesem Gewerbe, keinerlei Bedenken, seine Kinder dem Showbiz anzuvertrauen, weil er es so sehr liebte. Ich bin definitiv ein Produkt des Nepotismus. Ich wäre sicher kein Schauspieler geworden, hätte ich nicht diesen Vater gehabt. Und meine Mutter, Dorothy Dean Bridges, war sowieso die beste Schauspielerin von uns allen: Sie studierte immerhin Theater an der UCLA.

profil: Wie würden Sie Hollywood heute beschreiben? Bridges: Es ist eine recht aufregende Zeit, in der Filmindustrie zu arbeiten. Es gibt die 200-Millionen-Dollar-Produktionen, aber daneben machen Filme wie "Tangerine“ Furore, die auf einem iPhone gedreht wurden! Und es gibt viele Werke mit mittleren Budgets - wie eben "Hell or High Water“. Und nun mischen sich auch noch Unternehmen wie Amazon ein, die auf exzentrische kleine Filme setzen, ganz ähnlich jenen, die in den 1960- und 1970er-Jahren gemacht wurden. Für Amazon drehte ich gerade einen Film dieser Art: "The Only Living Boy in New York“. Ich habe das Gefühl, dass dieser Tage vermehrt Arbeiten entstehen, wie wir sie damals gemacht haben - Filme wie "The Last Picture Show“. Ich hoffe, das ist nicht nur Wunschdenken.

profil: Wären Sie denn offen für ein Filmprojekt, das mit einem iPhone gedreht werden sollte? Bridges: Klar - es hängt ja nur davon ab, wer hinter dem iPhone steht. Ich habe auch oft Regiedebütanten vertraut und bin eigentlich immer gut damit gefahren. "Citizen Kane“ war zwar nicht dabei, aber ein paar ziemlich gute Filme doch.

profil: Sie singen, spielen Gitarre, produzieren Alben. Ist die Musik Ihre eigentliche Liebe? Bridges: Das würde ich so nicht sagen. Es ist einfach nur ein weiteres meiner Interessen, das übrigens 2008 neu angefacht wurde durch den Film "Crazy Heart“, in dem ich einen Country-Musiker spielte. Daraus wurde dann ein Album, eine Band kam zustande, und so ist die Musik heute, ebenso wie das Kino, wieder Teil meines Lebens.

profil: Für "Crazy Heart“ erhielten Sie vor sieben Jahren einen Oscar - nach Jahrzehnten der Vernachlässigung. Nahmen Sie der Academy nie übel, dass sie Sie so lange schmoren ließ? Bridges: Nicht doch. Es ist schon eine immense Ehre, nominiert zu sein. Man wird wahrgenommen für die Dinge, die man tut. Besser geht’s nicht. Und natürlich ist es dann toll, den Oscar tatsächlich zu kriegen, aber in Wahrheit ist diese Show doch nur eine gigantische Werbeeinschaltung für die Filmindustrie. Es wäre deshalb konsequent, wenn es endlich auch einen Oscar in der Kategorie "Beste PR-Kampagne“ zu verleihen gäbe.

profil: Wenn Sie unter den gut 80 Produktionen, in denen Sie seit 1970 aufgetreten sind, drei Lieblingsfilme nennen müssten - welche wären das? Bridges: Uh, das ist hart. Wahrscheinlich "The Big Lebowski“, ich liebe diesen Film - die Coen-Brüder sind schlicht Meister ihres Fachs. Bei ihnen sieht das Schwierigste ganz einfach aus. Dann "The Last Picture Show“ natürlich. Und "Crazy Heart“.

profil: Wenn Sie einen Ihrer längeren Urlaube vom Kino nehmen: Ertappen Sie sich dabei, das Filmemachen zu vermissen? Bridges: Nein. Ganz ehrlich. Und immer, wenn ich einen Film beginne, fühlt es sich so an, als spielte ich zum allerersten Mal. Ich habe immer wieder keine Ahnung, was ich da genau tun muss.

Jeff Bridges, 67,

trat bereits als Kind in Filmen und Fernsehserien auf, oft an der Seite seines Vaters Lloyd und seines älteren Bruders Beau Bridges. 1971 gelang ihm als Hauptdarsteller in Peter Bogdanovichs "The Last Picture Show“ der Durchbruch, seither gehört Jeff Bridges zu den verlässlichsten und sympathischsten Stars, die Hollywood in den vergangenen Jahrzehnten hervorgebracht hat. Er wirkte in Filmen von John Huston ("Fat City“, 1972), John Carpenter ("Starman“, 1984) und den Coen-Brüdern ("The Big Lebowski“, 1998; "True Grit“, 2010) mit.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.