Der tödliche Witz

Joaquin Phoenix als "Joker": Der tödliche Witz

Rückkehr des Horrorclowns: Joaquin Phoenix als "Joker"

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Der Mann lacht grundsätzlich an den falschen Stellen. Niemandem tut das mehr weh als ihm selbst. Das schrille Gelächter, zu dem er sich grundlos gezwungen sieht, scheint ihm den Hals abzuschnüren; es steigt schmerzhaft und sauer in ihm hoch, als müsste er das wahnhafte Kichern regelrecht auskotzen. Der erfolglose Clown Arthur Fleck ist ein depressiver, neurologisch beschädigter Mann. Einer, der einfach nur existieren möchte, obwohl die ganze Welt ihm zu verstehen gibt, dass er nichts ist. Wie ein Unsichtbarer schleicht er durch Gotham, eine von Ratten geplagte New-York-City-hafte Parallelstadt anno 1981, eine Welt der inneren und äußeren Tristesse, verrottet und verroht.

Der Schauspieler Joaquin Phoenix gibt den Joker in dem gleichnamigen Film (ab Ende dieser Woche im Kino) mit maximalem Schmerz und einer Traurigkeit, die er manieristisch, bisweilen hart an der Grenze zur Outrage ausagiert, doch die Unbedingtheit, mit der er diesen Mann spielt, reißt von Beginn an mit. Arthurs ramponierte Mutter, die an seinen psychischen Defekten alles andere als unschuldig ist, nennt ihn „Happy“, und das klingt angesichts seines elenden Zustands fast höhnisch. Er verbringt seine Tage mit Jobs als Clown, Therapiesitzungen und der Einnahme schwerer Psychopharmaka. Sein einziger Halt im täglichen Leben ist die Show des TV-Talkmasters Murray Franklin (Robert De Niro), in der er einmal nur auftreten möchte.

Der traurige Clown, dessen Maske sich Fleck jeden Tag aufschminkt, reißt in den Spitälern, vor kranken Kindern, seine Possen, und in den Straßen macht er so auf irgendeinen Abverkauf aufmerksam. Aber seine gequälte Psyche strahlt toxisch durch jedes Make-up. Ein Wunder ist das nicht: Passanten verprügeln ihn, Kollegen halten sich von ihm fern, Freunde hat er nicht. So driftet Arthur Fleck in eine Zwischenwelt der Fantasie ab, in der er ein gefragter Comedian ist und seine schöne Nachbarin (Zazie Beets) sich trotz der beklemmenden Selbstmordscherze, mit denen er sie im Lift konfrontiert, brennend für ihn interessiert.

Die Gestalt des Joker, der 1940 erstmals in einem Comic des US-Verlags DC auftauchte, entstammt dem Universum des mythischen Verbrecherjägers Batman, der diesen Film allerdings nur streift: Der scheue Achtjährige, dessen Vater, ein vulgärer Millionär, sich hier anschickt, Bürgermeister zu werden, heißt Bruce Wayne. Aus ihm wird erst in vielen Jahren der dunkle Ritter werden, der Dark Knight, der seit 80 Jahren im Fledermauskostüm durch Graphic Novels, Fernsehserien und Kinofilme geistert. Während die noch erfolgreicheren Marvel-Verfilmungen („Avengers“, „Black Panther“) vom Disney-Konzern finanziert und vermarktet werden, konzentriert sich das Studio Warner Bros. seit den 1980er-Jahren auf die Figuren des DC-Verlags (darunter auch Superman und Wonder Woman).

Der US-Kinostart von „Joker“, der vor ein paar Wochen erst die Filmfestspiele in Venedig gewonnen hatte, wurde vergangene Woche in großer Nervosität und mit massivem Polizeiaufgebot vollzogen. Kostüme oder gar Masken zu tragen, blieb den Zuschauern streng untersagt. Im Juli 2012 hatte der Amoklauf eines jungen, sich später selbst als „Joker“ titulierenden Mannes in einem Kino in Aurora, Colorado, wo man gerade Christopher Nolans dritten Batman-Film „The Dark Knight Rises“ zeigte, zwölf Tote und 58 zum Teil schwer Verletzte gefordert. Die Hinterbliebenen hatten die Haltung des neuen „Joker“ kritisiert: Die Inszenierung lasse den in die Gewalt schlitternden Soziopathen, den Phoenix spielt, „zu positiv, zu sympathisch“ erscheinen.

Aus Sicht der Opferfamilien ist dieses Ressentiment verständlich, aber ein vorurteilsfreier Blick bestätigt, dass „Joker“ kein gewaltverherrlichendes Machwerk ist, sondern die präzise Studie einer destruktiven, tragischen Figur. Das Verständnis, das der New Yorker Autor und Regisseur Todd Phillips für seinen Protagonisten aufbringt, ist mit Glorifikation nicht zu verwechseln, sondern vielmehr die Grundbedingung für diese Erzählung. Sie versucht, die Radikalisierung eines psychisch Angeschlagenen zu verstehen, ohne sie dabei gutzuheißen oder das Drama, das aus ihr folgt, zu leugnen. Mitgefühl und Abstoßung wirken in „Joker“ zu gleichen Teilen: Arthur Fleck verwandelt sich nicht einfach nur in den grünhaarigen Joker, sondern auch vom Opfer in den Täter. Die hasserfüllten Anzugträger, die in einem nächtlichen U-Bahn- Waggon erst ihren Spaß mit ihm haben wollen, dann aber von ihm blutig zur Strecke gebracht werden, fungieren als Auslöser einer proletarischen Revolte in der Stadt. Während die Fahndung nach dem anonymen Killer läuft, beginnen sich Menschen mit Clownsmasken gegen die Behüteten und Wohlsituierten zu organisieren: Eat the Rich in Gotham City.

Phillips, 48, wurde als Schöpfer rauer Komödien wie der „Hangover“-Trilogie (2009–2013) bekannt; auf den ersten Blick schien er nicht der geeignetste Regisseur für eine wuchtige Gewaltstudie wie „Joker“ zu sein. Aber Phillips hat durchaus Bezug zu extremen Figuren: Seine Karriere begann er 1993 mit einem Dokumentarfilm über den Punk-Extremisten GG Allin. Und auch wenn sein „Joker“ in den kommenden Wochen mutmaßlich zu einem weltweiten Kassenerfolg werden wird, so verweigert er doch auf eigentümliche Weise jede Anbindung an Hollywoods Blockbuster-Kultur. Er ist in markantem Gegensatz zum Technizismus und zur Überproduktion der handelsüblichen Graphic-Novel-Adaptionen inszeniert, als komplexe Charakterstudie angelegt. Tatsächlich ist der Joker selbst das Gegenteil eines Superhelden; er verfügt auch nach seinem Übertritt in die Welt über keine übermenschlichen Kräfte, muss seine Taten alle mit Waffengewalt begehen.

Und Phillips verweist eben nicht auf aktuelle Comics-Kinohits, sondern lieber zurück in die antiindustriellen Freiheiten des New Hollywood der 1970er-Jahre, auf die Filme von Sidney Lumet, William Friedkin und Walter Hill, insbesondere aber auf die Arbeit des jungen Martin Scorsese. Sein „Joker“, sagt Phillips, sollte sich so anfühlen, als hätte er auch 1979 in die Kinos kommen können. Das Spektrum von Filmzitaten, die sich in „Joker“ finden, reicht von „Taxi Driver“ (De Niro spielte darin 1976 ebenfalls einen sich selbst in die Eskalation treibenden Sonderling) bis zu „King of Comedy“ (1982), der Tragikomödie eines (erneut von De Niro verkörperten) erfolglosen Stand-up-Comedian. Die Nähe zu gerade diesen beiden Filmen ist die einzige Schwachstelle des neuen „Joker“.

Joaquin Phoenix’ tänzerische Performance besitzt eine Eleganz, die der Verzweiflung und dem ausgezehrtem, knochigen Körper dieser Figur fast widerspricht (der Radikaldarsteller Phoenix hungerte sich für die Rolle angeblich 23 Kilo ab). „Comedy is subjective“, sagt er als Joker in Murray Franklins Show gegen Ende, wo er als der unlustigste Stand-up-Comedian vorgeführt wird, den die Welt je gesehen hat. Doch der Plan geht schief. Das blutige mediale Chaos, das der Joker entfesselt, macht ihn erstmals wirklich happy. Und die Welt geht mit ihm mit. Denn der revoltierende Kranke ist den durchgeknallten Hütern einer Ordnung, die nur den Betuchten zugute kommt, vielleicht doch vorzuziehen. So steckt am Ende auch das in diesem fulminanten Film: der kommende Aufstand gegen die Trump-Administration.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.